Saudi-Arabien: zehn Nubier aus Ägypten freilassen!

Eine dunkle Graphik eines Gefängniskorridors. Mehrere Zellen befinden sich nebeneinander und werden im Hintergrund des Bildes immer kleiner.

Sonderstrafgerichtshof - ein politisches Instrument der saudi-arabsichen Behörden, um kritische Stimmen mundtot zu machen 

Zehn Nubier aus Ägypten, die seit dem 14. Juli 2020 inhaftiert sind, sollen am 10. November 2021 zum ersten Mal vor dem Sonderstrafgericht in Riad angehört werden. Die saudi-arabischen Behörden nahmen die Männer im Zusammenhang mit einer friedlichen Veranstaltung, die sie organisiert hatten, fest. Bisher haben die Behörden keine Anklage erhoben. Mindestens zwei der Männer sind betagt und leiden an gesundheitlichen Problemen. Amnesty International fordert die saudi-arabischen Behörden auf, die zehn Männer unverzüglich freizulassen.

Appell an

His Majesty King Salman bin Abdul Aziz Al Saud

Office of His Majesty the King

Royal Court, Riyadh

SAUDI-ARABIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft des Königreichs Saudi-Arabien

S.E. Herr Essam Ibrahim H. Baitalmal


Tiergartenstr. 33-34

10785 Berlin

Fax: 030-8892 5176


E-Mail: deemb@mofa.gov.sa

 

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie auf, alle zehn Männer unverzüglich freizulassen, da sie nur deshalb inhaftiert sind, weil sie friedlich ihre Menschenrechte ausgeübt haben.
  • Stellen Sie bitte außerdem sicher, dass sie bis zu ihrer Freilassung uneingeschränkten Zugang zu medizinischer Behandlung, zu den Rechtsbeiständen ihrer Wahl und zu ihren Familien haben.
  • Darüber hinaus fordere ich Sie auf, Minderheiten aller ethnischen, kulturellen und sprachlichen Identitäten zu schützen und ihnen ihre grundlegende Menschenrechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigung in Saudi-Arabien zu gewährleisten.

Sachlage

Am 10. November 2021 werden zehn Nubier aus Ägypten zu ihrer ersten Anhörung vor dem Sonderstrafgericht (SCC) erwartet, nachdem sie fast 16 Monate lang ohne Anklage inhaftiert waren. Der Geheimdienst des Innenministeriums (auch als al-Mabahith bekannt) nahm die Männer am 14. Juli 2020 im Zusammenhang mit einer Kulturveranstaltung zum Gedenken an den arabisch-israelischen Krieg von 1973 fest. Die Männer hatten die Veranstaltung für den 25. Oktober 2019, dem Jahrestag des Waffenstillstandsabkommens, organisiert.

Laut einem Angehörigen eines Inhaftierten waren die Männer erstmals am Morgen des 25. Oktober 2019 festgenommen worden. Die saudischen Sicherheitsbeamt_innen befragten sie zu der Veranstaltung und warfen ihnen vor, dass sie kein Foto des ägyptischen Präsidenten General Abdelfattah al-Sisi und anderer ägyptischer Armeegeneräle auf dem Ankündigungsplakat der Veranstaltung abgebildet hatten. Die Männer erklärten, die Veranstaltung sei nicht politisch, sondern diene vielmehr der Ehrung nubischer Soldaten, die an diesem Krieg teilgenommen hätten. Am 25. Dezember 2019, nach zwei Monaten Haft ohne Anklage, wurden die Männer bis zur Wiederaufnahme des Verfahrens freigelassen, jedoch mit einem Reiseverbot belegt. Am 14. Juli 2020 wurden alle zehn Männer erneut festgenommen und im al-Ha'ir-Gefängnis in der saudischen Hauptstadt Riad inhaftiert. Im April 2021 wurden sie in das Assir-Gefängnis in der Stadt Abha verlegt und weiterhin ohne Anklage festgehalten. Sie erhielten keinen Zugang zu Rechtsbeiständen ihrer Wahl und stattdessen teilten die Behörden ihnen Anwält_innen zu. Das ägyptische Konsulat in Riad hat den Inhaftierten bisher weder konsularischen Beistand geleistet noch Unterstützung bei der Durchsetzung der konsularischen Rechte angeboten, obwohl ihre Familien immer wieder darum gebeten haben. Stattdessen gab das Konsulat am 29. Oktober 2020 eine Erklärung ab, in der sie die Inhaftierung der nubischen Männer befürwortete.

Ein Familienmitglied sagte gegenüber Amnesty International: "Einige der Gefangenen sind fortgeschrittenen Alters und leiden an Krankheiten wie Diabetes, Wundbrand und Herz-Kreislauf-Problemen. Sie dürfen nur selten Kontakt zu ihren Familien aufnehmen und haben Angst zu telefonieren, weil sie überwacht werden."

Hintergrundinformation

Hintergrund

Die Nubier_innen sind eine ethnische Minderheit in Ägypten und im Sudan und wurden in der Vergangenheit aufgrund ihrer kulturellen, ethnischen und sprachlichen Identität marginalisiert und diskriminiert. 1964 vertrieb die ägyptische Regierung Tausende Nubier_innen gewaltsam aus ihren Häusern in Südägypten, um den Assuan-Staudamm zu bauen. Der Staudamm führte zur Überflutung mehrerer nubischer Dörfer und zu weiteren Vertreibungen. Die vertriebene nubische Bevölkerung siedelte sich in anderen Gebieten an und viele wanderten auf der Suche nach Arbeit in die arabischen Golfstaaten, z.B. nach Saudi-Arabien, aus. Um ihre Kultur und ihr Erbe zu bewahren, gründete die nubische Diaspora Kultur- und Sozialverbände. Seit Jahrzehnten wirken nubische Vereinigungen in Saudi-Arabien und konzentrieren sich ausschließlich auf kulturelle und soziale Aktivitäten.

Seit Anfang der 2000er Jahre fordern nubische Aktivist_innen zunehmend die Rückgabe ihres angestammten Landes sowie Entschädigungen für die Vertreibung. In Artikel 236 der ägyptischen Verfassung von 2014 wurde zum ersten Mal ein umfassender Entwicklungsplan für marginalisierte Gebiete, darunter auch Nubien, unter Beteiligung der lokalen Gemeinschaften festgelegt, um deren Erbe zu bewahren. Anfang 2020 bildeten 40 nubische Verbände in Riad eine Koalition und forderten den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi dazu auf, Artikel 236 einzuhalten und die Rückkehr der Nubier_innen in ihre Heimat zu ermöglichen.

Die Festnahme der zehn Nubier fand nach der Gründung der Koalition statt, am Morgen der jährlichen Veranstaltung zum Gedenken an die nubischen Soldaten, die im als Jom-Kippur bekannten Krieg vom 6. – 25. Oktober 1973 gekämpft hatten. In den vergangenen Jahren konnte die Veranstaltung in Saudi-Arabien stets durchgeführt werden, ohne dass es zu Repressalien gegen die nubische Gemeinschaft kam.

Die zehn festgenommenen ägyptisch-nubischen Männer sind: Adel Ibrahim Faqir (Leiter der nubischen Gemeinschaft in Riad, 65 Jahre alt), Dr. Farjallah Ahmed Youssef (ehemaliger Leiter der nubischen Gemeinschaft in Riad), Jamal Abdullah Masri (Vorsitzender der Dhamit Nubian Village Association in Riad), Mohamed Fathallah Gomaa (37 Jahre alt), Sayyed Hashem Shater, Ali Gomaa Ali Bahr (37 Jahre alt), Saleh Gomaa Ahmed, Abdulsalam Gomaa Ali Bahr (43 Jahre alt), Abdullah Gomaa Ali und Wael Ahmed Hassan Ishaq (Mitglied der Thomas Nubian Village Association, 53 Jahre alt).

Am 3. September 2017 nahmen die ägyptischen Behörden 25 nubische Aktivist_innen fest, nachdem die Polizei ihren friedlichen Protest im Gouvernement Assuan gewaltsam aufgelöst hatte. Später wurden sie freigelassen und alle Anklagen fallen gelassen, wobei Gamal Sorour, einer der Aktivist_innen, in der Haft starb. 2021 dokumentierte Amnesty International die anhaltende Schikane nubischer Rechtsaktivist_innen durch den Geheimdienst (NSA), unter anderem durch Vorladungen zu Zwangsverhören ohne richterliche Anordnung.

Darüber hinaus führt das Sonderstrafgericht routinemäßig Verfahren durch, die als grob unfair bewertet werden und zu harten Urteilen führen, darunter Haftstrafen von bis zu 20 Jahren, gefolgt von ebenso langen Reiseverboten, bis hin zur Todesstrafe. Diese Gerichtsverfahren gelten als Instrument zur Unterdrückung von Andersdenkenden.

Amnesty International fordert die saudi-arabischen Behörden in einer Petition auf, alle gewaltlosen politischen Gefangenen, die nur deshalb inhaftiert sind, weil sie friedlich Reformen gefordert oder ihr kulturelles Erbe gefeiert haben, unverzüglich und bedingungslos freizulassen. Zu den Inhaftierten gehören neben den zehn nubischen Männern auch Mohammed al-Bajadi, Gründungsmitglied der saudi-arabischen Organisation für bürgerliche und politische Rechte (ACPRA) und prominenter Menschenrechtsverteidiger, sowie Salman al-Awda, ein reformorientierter Geistlicher, dem wegen einer Meinungsäußerung in einem Tweet die Todesstrafe droht.