Russland: Nawalnys Haftbedingungen verschärft

Menschen mit Plakaten, eines zeigt das Porträt von Alexej Nawalny

Amnesty-Mahnwache vor dem Kanzleramt in Berlin für die Freilassung des in Russland inhaftierten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny (21. April 2021)

+++ Update 12.12.23: Am 5. Dezember hörten die Anwält*innen von Alexej Nawalny zum letzten Mal von ihrem Mandanten. Seither weigern sich die russischen Behörden, Auskunft über sein Schicksal und seinen Verbleib zu geben. +++

Politiker und Kremlkritiker Alexej Nawalny ist nach einem weiteren Verfahren mithilfe konstruierter Anklagen inzwischen zu insgesamt 19 Jahren Haft verurteilt, die er bereits jetzt in einem Hochsicherheitsgefängnis verbüßt. Vor kurzem wurde er vom Leiter dieses Gefängnisses für ein Jahr in eine Einzelzelle verlegt, weil er angeblich ein "systematischer Rechtsverletzer" sei. Seit seiner willkürlichen Festnahme im Januar 2021 und der anschließenden Inhaftierung ist Alexej Nawalny ständig Schikanen durch die Strafvollzugsbehörden ausgesetzt, darunter verlängerte Einzelhaft und andere Misshandlungen. Diese haben nun eine neue Stufe erreicht.

Appell an

Arkady Aleksandrovich Gostev

Director of the Federal Penitentiary Service

Zhitnaya Street 14

GSP-1


119991 Moscow

RUSSISCHE FÖDERATION

Sende eine Kopie an

Botschaft der Russischen Föderation

S. E. Herrn Sergej J. Netschajew

Unter den Linden 63-65

10117 Berlin

Fax: 030-2299 397

E-Mail: info@russische-botschaft.de

Amnesty fordert:

  • Alexej Nawalny hätte gar nicht erst inhaftiert werden dürfen und muss sofort bedingungslos freigelassen werden.
  • In der Zwischenzeit bitte ich Sie, Ihre Befugnisse zu nutzen, um die Entscheidung des Leiters der IK-6-Kolonie, Alexej Nawalny in EPKT zu nehmen, unverzüglich rückgängig zu machen.
  • Ich fordere Sie außerdem dringend auf, dafür zu sorgen, dass die Misshandlungen von Alexej Nawalny unverzüglich eingestellt werden und dass seine Behandlung in allen Haftanstalten sowie während des Transports zwischen ihnen dem Völkerrecht und internationalen Standards entspricht.
  • Alle Personen, die für die Misshandlung von Alexej Nawalny verantwortlich sind oder dessen verdächtigt werden, einschließlich der Mitglieder der IK-6-Verwaltung, sollten unverzüglich suspendiert werden. Bitten sorgen Sie dafür, dass je nach Sachlage ein Disziplinar-, Verwaltungs- oder Strafverfahren gegen sie eingeleitet wird.

Sachlage

Alexej Nawalny ist nicht nur zu Unrecht inhaftiert, die jeweilige Gefängnisverwaltung unterzieht ihn auch ständig einer immer härteren Behandlung. Nach zahlreichen und lange währenden ungerechtfertigten Disziplinarstrafen, wie z. B. der Verlegung in eine "SHIZO"-Strafzelle (Strafisolationszelle), wurde er kürzlich in eine "EPKT"-Zelle verlegt. "EPKT" bezeichnet einen speziellen Bereich innerhalb der Gefängniskolonie. Diese Strafe wird ohne jede gerichtliche Überprüfung von der Leitung der Gefängnisverwaltung verhängt und kann deshalb missbräuchlich eingesetzt werden. Genau das ist Alexej Nawalny widerfahren. Er wurde zunächst wiederholt willkürlich wegen angeblicher Verstöße gegen die Gefängnisvorschriften gemaßregelt und soll nun als angeblicher "systematischer Rechtsverletzer" zwölf Monate im EPKT verbringen.

Diese wiederholten Bestrafungen von Alexej Nawalny durch die Gefängnisbehörden sind Vergeltungsmaßnahmen für seine legitimen politischen Aktivitäten und seinen zivilgesellschaftlichen Aktivismus. Es ist offensichtlich, dass damit bezweckt wird, seine Bedingungen im Gefängnis noch weiter zu verschärfen – obwohl er gar nicht erst hätte inhaftiert werden dürfen. Die Haftbedingungen von Alexej Nawalny kommen Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gleich und haben zu einer ständigen Verschlechterung seines Gesundheitszustands geführt.

Es ist bekannt, dass Alexej Nawalny bereits zwanzig Mal in eine SHIZO-Strafisolationszelle verlegt wurde. In dieser Zelle waren ihm Besuche und Telefonate mit seinen Angehörigen untersagt. Alexej Nawalny hat nach dem Gesetz ein Recht auf Besuche, doch seine Familie darf ihn bereits seit einem Jahr nicht mehr besuchen. In der Strafzelle ist die Zeit zum Essen auf 12-15 Minuten begrenzt und der Kauf zusätzlicher Lebensmittel im Gefängnisladen nicht möglich. Diese Behandlung gefährdet das Leben und die Gesundheit von Alexej Nawalny, sowohl physisch als auch psychisch.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Alexej Nawalny ist ein prominenter russischer Oppositionspolitiker, Korruptionsgegner und Kritiker von Präsident Wladimir Putin und der russischen Regierung. Im August 2020 wurde er mit einem später von Expert*innen als das militärische Nervengift Nowitschok identifizierte Mittel vergiftet. Die russischen Behörden gestatteten, dass er noch im Koma zur Behandlung nach Berlin evakuiert wurde.

Nach seiner Genesung kehrte Alexej Nawalny am 17. Januar 2021 nach Moskau zurück und wurde sofort willkürlich festgenommen. Ihm wurde vorgeworfen, gegen die Bewährungsauflagen im Rahmen einer früheren politisch motivierten Verurteilung ohne Freiheitsentzug verstoßen zu haben. Diese Bewährungsstrafe wurde am 4. Februar 2021 durch eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten ersetzt. Am 22. März 2022 wurde er wegen weiterer willkürlicher und politisch motivierter Vorwürfe, darunter Betrug, zu weiteren neun Jahren Haft und am 4. August 2023 zu insgesamt 19 Jahren Haft verurteilt, unter anderem wegen Finanzierung und Anstiftung zum "Extremismus" und "Rehabilitierung der Nazi-Ideologie".

Alexej Nawalny wurde in jeder Strafvollzugsanstalt, in der er seit seiner Festnahme untergebracht war, einer härteren Behandlung unterzogen. Er verbüßt seine Strafe derzeit in der Hochsicherheits-Strafkolonie IK-6 im Gebiet Wladimir 240 km östlich von Moskau, soll aber nach seinem jüngsten Urteil in eine Strafkolonie mit "Sonderregime" verlegt werden, es sei denn, das Urteil wird im Berufungsverfahren aufgehoben. In der zukünftigen Strafkolonie gelten noch strengere Gefängnisregeln als in der jetzigen. Während seiner Haft wurde Alexej Nawalny wiederholt wegen angeblicher Verstöße gegen die Gefängnisregeln in eine Strafzelle gesteckt, darunter zwanzig Mal in die so genannte SHIZO-Strafisolationszelle, in der er keine Besuche oder Briefe empfangen durfte, keinen Sport treiben oder draußen spazieren gehen konnte und keine Möglichkeit hatte, im Gefängnisladen zusätzliche Lebensmittel zu kaufen.

Laut den UN-Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen (Mandela-Regeln) handelt es sich um verlängerte Einzelhaft, wenn Gefangene 15 Tage oder länger mindestens 22 Stunden täglich keinen sinnvollen Kontakt mit anderen Gefangenen haben zu dürfen. Verlängerte Einzelhaft ist ein Verstoß gegen das Verbot von Folter und anderer Misshandlung.

Die gesetzliche Höchstdauer, für die ein Gefangener in SHIZO untergebracht werden kann, liegt in Russland bei 15 Tagen. Alexej Nawalny befindet sich jedoch seit dem 27. September 2023 für die nächsten zwölf Monate in einer so genannten Einzelstrafzelle (EPKT). Die EPKT ist die strengste und längste Form der Disziplinarstrafe für einen Gefangenen und ist Inhaftierten mit "systematischen Verstößen" gegen die Gefängnisregeln vorbehalten. Während dieser Zeit kann er allein in der Zelle untergebracht sein oder sie mit anderen Gefangenen teilen.

Es ist noch nicht bekannt, in welcher Gefängniskolonie Alexej Nawalny seine neueste Strafe verbüßen wird, aber er wird nach seiner Verlegung in EPKT bleiben. In Russland ist die Verlegung von Gefangenen ein mit Menschenrechtsverletzungen einhergehendes Verfahren, das sich über Wochen und in manchen Fällen Monate hinziehen kann. Die Familie und Rechtsbeistände erhalten keine Informationen über das Schicksal und den Aufenthaltsort der Gefangenen, bis sie ihren endgültigen Bestimmungsort erreicht haben. Diese Vorgehensweise kommt dem Verschwindenlassen gleich.