Afghan_innen schützen!

Das Bild zeigt einen Soldat mit schwerer Bewaffnung, er steht auf einem Feld, im Hintergrund ein Waldstück

Polnische Sicherheitskräfte beziehen am 24. August 2021 in der Nähe von Usnarz Górny an der polnisch-belarussischen Grenze Stellung, um Asylsuchende abzuwehren.

An der Grenze zwischen Polen und Belarus sitzen 32 Afghan_innen fest. Seit sie im August im Zuge von Push-Backs der polnischen Behörden nach Belarus zurückgeschoben wurden, sind sie ohne angemessene Unterkunft, Lebensmittel, Wasser und medizinische Versorgung. Polnische und belarussische Grenzposten sorgen dafür, dass sie einen kleinen Streifen Land an der Grenze nicht verlassen können. Somit haben sie keinen Zugang zu Rechtsbeiständen, humanitärer Hilfe oder medizinischem Personal. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat angeordnet, dass Polen die Gruppe mit Lebensmitteln, Wasser, Kleidung und angemessener medizinischer Versorgung ausstatten soll. Bis jetzt ist Polen dieser Aufforderung jedoch nicht nachgekommen. Anstatt den Asylsuchenden die Einreise zu verweigern und sie nach Belarus zurückzudrängen, muss Polen sie unverzüglich aufnehmen, ihnen Schutz gewähren und sie mit dem Nötigsten versorgen.

Appell an

Prezes Rady Ministrów

Mateusz Morawiecki

Kancelaria Prezesa Rady Ministrów,

Al. Ujazdowskie 1/3

00-583 Warszawa

POLEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Polen

S. E. Herrn Andrzej Przylebski

Lassenstr. 19-21

14193 Berlin

Fax: (030) 2231 3155

E-Mail: berlin.amb.sekretariat@msz.gov.pl

Amnesty fordert:

  • Bitte lassen Sie die Gruppe von Asylsuchenden in Polen einreisen, sorgen Sie dafür, dass sie internationalen Schutz beantragen können und stellen Sie ihnen dringend Lebensmittel, Wasser, eine Unterkunft und medizinische Hilfe zur Verfügung.
  • Ich bitte Sie, den ungehinderten Zugang von Organisationen und Rechtsbeiständen zu der Gruppe zu gewährleisten.
  • Ich fordere Ihre Regierung auf, den Asylsuchenden wirksame Möglichkeiten zu geben, in Polen Schutz zu suchen, und von der Verabschiedung von Gesetzen und Maßnahmen abzusehen, die gegen internationales und EU-Recht verstoßen.

Sachlage

Vier Frauen, 27 Männer und ein 15-jähriges Mädchen aus Afghanistan harren seit Wochen an der Grenze aus ‑ ohne angemessene Unterkunft, Lebensmittel, Wasser oder medizinische Versorgung. Polnische Grenzposten haben ihnen den Zugang zu Polen verwehrt und sie unter dem Einsatz von Gewalt nach Belarus zurückgedrängt, ohne ihre individuellen Umstände und Schutzbedürfnisse zu prüfen, was einen Verstoß gegen internationale und EU-Rechtsnormen darstellt. Die Situation der Schutzsuchenden verschlechtert sich von Tag zu Tag, da die polnischen Behörden ihren Zugang zu Rechtsbeiständen, humanitären Organisationen und Institutionen extrem einschränken. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat kürzlich die polnischen Behörden aufgefordert, den Schutzsuchenden dringend Lebensmittel, Wasser, Kleidung und angemessene medizinische Versorgung zur Verfügung zu stellen. Polen ist dieser gerichtlichen Anordnung jedoch nicht vollständig nachgekommen.

Jede_r hat das Recht, Asyl zu beantragen. Dieses Recht ist in internationalen und europäischen Übereinkünften verankert, an die Polen gebunden ist. Asylsuchende sollten nicht in ein Land zurückgeschoben werden, ohne dass ihr Schutzbedarf angemessen und individuell geprüft wurde. Auch wenn sie ohne gültige Dokument in ein Land einreisen, darf ihnen nicht der Zugang zu Schutz verweigert werden, und sie dürfen auch nicht dafür bestraft werden.

In einer Zeit, in der Afghan_innen verzweifelt aus ihrem Land fliehen und im Ausland Schutz suchen, müssen die polnischen Behörden die Gruppe von Asylsuchenden unverzüglich aufnehmen und sicherstellen, dass sie internationalen Schutz beantragen können. Ihnen muss dringend eine Unterkunft, Nahrung, Wasser und medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt werden. Außerdem muss der ungehinderte Zugang von Organisationen und Rechtsbeiständen zu der Gruppe gewährleistet sein.

Hintergrundinformation

Hintergrund

32 Asylsuchende aus Afghanistan sitzen seit Wochen an der polnisch-belarussischen Grenze. Belarussische und polnische Grenzposten halten sie in einem Streifen Land an der Grenze in dem Dorf Usnarz Górny fest, nachdem sie aus Polen zurückgeschoben wurden. Es handelt sich um 27 Männer, vier Frauen und ein 15-jähriges Mädchen.

Anfangs wurde Rechtsbeiständen, Hilfsorganisationen und Aktivist_innen Zugang zu der Gruppe gewährt. Am 20. August füllten die Asylsuchenden Anträge auf internationalen Schutz aus, bei denen ihnen Rechtsbeistände der Warschauer Anwaltskammer helfen wollten. Die polnischen Grenzposten verweigerten den Rechtsbeiständen jedoch die Einreise in das Gebiet. Seit dem 21. August wurde den Aktivist_innen und mehreren Parlamentsabgeordneten der regelmäßige Zugang zu der Gruppe verweigert und somit konnten sie keine humanitäre Hilfe leisten.

Am 24. August besuchte eine Delegation von Amnesty International das Gebiet und versuchte, Zugang zu der Gruppe von Asylsuchenden zu erhalten, doch die Grenzposten verweigerten dies. Amnesty International erhielt glaubwürdige und übereinstimmende Berichte aus verschiedenen Quellen über die Anwendung und Androhung von Gewalt durch polnische Grenzposten bei der Zurückschiebung der Gruppe nach Belarus.

Am 25. August erließ der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einstweilige Maßnahmen und forderte die polnischen Behörden auf, der Gruppe Nahrung, Wasser, Kleidung, angemessene medizinische Versorgung und, wenn möglich, eine vorübergehende Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Urgent Action, am 2. September, waren die polnischen Behörden dieser Anordnung noch nicht vollständig nachgekommen.

Am 1. September leistete das Belarussische Rote Kreuz in Zusammenarbeit mit dem Polnischen Roten Kreuz humanitäre Hilfe für die Gruppe.

Als Reaktion auf die Äußerungen des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko, er werde Menschen nicht daran hindern, die polnisch-belarussische Grenze zu überqueren, haben die polnischen Behörden in aller Eile eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die das Recht auf Asyl einschränken. Im August kündigte die polnische Regierung Änderungen an zwei Gesetzen an – dem Ausländergesetz und dem Gesetz über die Gewährung von internationalem Schutz für Ausländer. Diese Änderungen würden es Menschen, die die Grenze ohne gültige Papiere überschreiten, unmöglich machen, in Polen internationalen Schutz zu beantragen.

Am 20. August ordnete das polnische Innenministerium an, die Grenzen für Personen zu schließen, die "irregulär" ins Land kommen, und sie unverzüglich aus dem polnischen Staatsgebiet abzuschieben. Fünf Tage später begannen Angehörige der polnischen Armee mit dem Bau eines Zauns an der Grenze zu Belarus. Am 31. August beantragte die polnische Regierung beim polnischen Staatspräsidenten die Verhängung des Ausnahmezustands für 30 Tage in den an Belarus angrenzenden Regionen, da die "3.000 versuchten Grenzübertritte im August" eine Gefahr dargestellt hätten. Die Verhängung des Ausnahmezustands würde unter anderem ein Verbot von Versammlungen, Protesten, Massenveranstaltungen und kulturellen Events nach sich ziehen. Amnesty International befürchtet, dass der Ausnahmezustand unverhältnismäßige Auswirkungen auf die Menschenrechte haben könnte und weitere Einschränkungen der legitimen und wichtigen Aktivitäten von Organisationen, Journalist_innen und humanitären Helfer_innen bedeuten könnte. Somit würde beispielsweise die Beobachtung von Menschenrechtsverletzungen an der Grenze oder die Bereitstellung humanitärer Hilfe für Asylsuchende erschwert werden.

Push-Backs sind nach nationalem, internationalem und europäischem Recht unzulässig. Artikel 4 des Protokolls Nr. 4 zur Europäischen Menschenrechtskonvention, die Polen unterzeichnet hat, verbietet kollektive Abschiebungen. Nach EU- und internationalem Flüchtlingsrecht muss Polen Schutzsuchenden die Einreise gewähren und sicherstellen, dass sie Zugang zu einem fairen und wirksamen Asylverfahren haben, in dem ihre individuellen Umstände und ihr Schutzbedarf geprüft werden können. Artikel 31 der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet die Staaten außerdem, Asylsuchende nicht wegen der Einreise ohne gültige Dokumente zu bestrafen.