Verhaftungswelle gegen Protestierende

Zeichnung einer Figur mit Mütze und Jacke, auf der "Polizei" steht

In Nicaragua hat die Inhaftierung von Studierendenvertreter_innen und anderen Aktivist_innen zugenommen. Die Regierung setzt damit ihre Strategie fort, diejenigen strafrechtlich zu verfolgen und zu kriminalisieren, die sich an den landesweiten Protesten beteiligen.

Appell an

Francisco Javier Díaz Madriz

Centro Comercial Metrocentro

2 Cuadras al Este

Edificio Faustino Ruíz Policía Nacional (Plaza el Sol)

Managua, NICARAGUA

Sende eine Kopie an

Amnesty International Team Zentralamerika
E-Mail: equipoca@amnesty.org

Botschaft der Republik Nicaragua
I.E. Frau Karla Luzette Beteta Brenes

Werftstraße 2, 10775 Berlin
Fax: 030 – 22 48 78 91
E-Mail: embajada.berlin@embanic.de od.
karla.beteta@embanic.de

Amnesty fordert:

  • Lassen Sie bitte alle Studierendenvertreter_innen, Aktivist_innen und andere Demonstrierende frei, die sich nur aufgrund der friedlichen Wahrnehmung ihrer Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Haft befinden.
  • Wahren Sie bitte auch die Rechte aller inhaftierten Studierendenvertreter_innen, Aktivist_innen und anderer Demonstrierender auf ein faires Verfahren. Dazu zählen eine baldige gerichtliche Haftprüfung sowie die Gewährleistung des Zugangs zu Rechtsbeiständen ihrer Wahl und zu ihren Familienangehörigen.
  • Bitte stoppen Sie umgehend die systematische Strafverfolgung, Inhaftierung und Kriminalisierung von Studierenden und anderen Aktivist_innen, die lediglich ihre Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit wahrnehmen.

Sachlage

Das strategische Vorgehen der nicaraguanischen Regierung, diejenigen strafrechtlich zu verfolgen und zu kriminalisieren, die an den anhaltenden Protesten im ganzen Land teilnehmen, wurde diese Woche weiter verschärft: Dutzende Menschen wurden inhaftiert, darunter befanden sich auch der 30-jährige Sergio Midence und die 23-jährige Amaya Coppens, die nicaraguanisch-belgische Sprecherin der Medizinstudent_innen. Beide wurden in der Stadt Leon im Nordwesten des Landes inhaftiert. Die Polizei behauptet in Medienbeiträgen, die beiden seien für "terroristische Aktivitäten", "Brandstiftungen", "tätliche Angriffe" und "illegalen Schusswaffenbesitz" verantwortlich. Bislang wurden sie keinem ordentlichen Gericht vorgeführt.

Die beiden sind zwei weitere der über 400 zivilgesellschaftlichen Sprecher_innen und Aktivist_innen, die lokalen und internationalen zivilgesellschaftlichen Organisationen zufolge im Zusammenhang mit den sozialen Protesten festgenommen wurden. Kleinbäuer_innen, Feministinnen, Studierende und Händler_innen haben sich den Protesten inzwischen angeschlossen, ohne dass sie irgendwo organisiert wären.

Berichten des Nicaraguanischen Zentrums für Menschenrechte (Centro Nicaragüense por los Derechos Humanos – CENIDH) zufolge erfüllen die jüngsten Inhaftierungen nicht die Mindestgarantien für ein rechtsstaatliches Verfahren: Der Regierung nahestehende bewaffnete Gruppen nehmen Personen fest, die Polizei dringt ohne Durchsuchungsbefehl in Häuser ein und Inhaftierte werden erst nach 48 Stunden – also zum letztmöglich rechtlich erlaubten Zeitpunkt – einem Gericht vorgeführt. Dieses Vorgehen und weitere Praktiken bei der Inhaftierung von Personen kommen der willkürlichen Inhaftierung gleich. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte äußerte sich besorgt über die Tatsache, dass die jüngsten Festnahmen eine fortgesetzte Praxis willkürlicher Inhaftierungen darstellt, die auch in dem kürzlich vorgelegten Bericht über Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit den Protesten in Nicaragua offengelegt wird.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Nach einem Gesetzesvorschlag über Reformen des Sozialversicherungssystems kam es in Nicaragua im April zu zahlreichen Protesten. Die ursprünglich von Präsident Daniel Ortega angekündigte und beschlossene Reform sah eine Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge sowohl für Arbeitnehmer_innen als auch für Arbeitgeber_innen sowie einen Zusatzbeitrag für Rentner_innen vor, der die Renten senken würde. Nach tagelangen Protesten zeigte sich Präsident Ortega gesprächsbereit und gab am 22. April bekannt, dass die Reformen vom nicaraguanischen Sozialversicherungsinstitut rückgängig gemacht worden seien.

Doch zu dem Zeitpunkt hatte das harte Vorgehen der Behörden bereits mehrere Todesopfer gefordert, Dutzende Personen wurden inhaftiert. Die Menschen gingen erneut auf die Straße, dieses Mal, um die repressiven Strategien der nicaraguanischen Regierung aufzudecken und demokratische Reformen zu fordern. Die Proteste dauern bis heute an.

Amnesty International hat vor Ort die Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, die in der aktuellen Krise in Nicaragua begangen werden. Der englischsprachige Bericht Shooting to Kill: Strategies for the Repression of Social Protest in Nicaragua fasst einen Großteil der Erkenntnisse und Schlussfolgerungen dieser Recherchen und Beobachtungen zusammen (https://www.amnesty.org/en/documents/amr43/8470/2018/en/). Er kommt zu dem Schluss, dass die nicaraguanischen Behörden systematisch repressiv vorgehen und dabei auch vorsätzlich töten, um abweichende Meinungen zu unterdrücken, der anhaltenden Kritik der Bevölkerung entgegenzuwirken und Menschenrechtsverletzungen zu vertuschen.

Am 4. September veröffentlichte Amnesty International einen offenen Brief an den nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega und brachte Besorgnis über die Inhaftierungen von Juan Pablo Alvarado, Christopher Olivas, Bayron Correa, Luis Quiroz, Yaritza Rostrán, Levis Artola und Victoria Obando von der Universitätsgruppe Coordinadora Universitaria por la Democracia y La Justicia zum Ausdruck.

In dem Bericht Human Rights Violations and Abuses in the Context of the Protests in Nicaragua. 18 April – 18 August 2018 beleuchtet das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte die Inhaftierung mehrerer zivilgesellschaftlicher Sprecher_innen und Aktivist_innen. Unter ihnen sind auch Medardo Mairena und Pedro Mena, die einer kleinbäuerlichen Bewegung angehören, die bekannte Händlerin Irlanda Jerez, die an den Protesten teilnahm, sowie Christian Fajardo und María Peralta von der Studierendenbewegung vom 19. April (Movimiento 19 de Abril) in Masaya, einer Stadt im Südwesten Nicaraguas.