NGO-Mitarbeiter vor Gericht

Mitarbeiter einer taiwanesischen NGO: Lee Ming-che

Der NGO-Mitarbeiter Lee Ming-che ist der erste Betroffene des chinesischen Gesetzes über ausländische NGOs

Lee Ming-cheh ist der erste Mitarbeiter einer ausländischen NGO, der in China unter dem neuen Gesetz über ausländische NGOs festgenommen wurde. Er soll in Yueyang in der Provinz Hunan wegen "Umsturzes der Staatsmacht" vor Gericht gestellt werden. Bislang gibt es noch keinen offiziellen Gerichtstermin. Der Verbleib von Lee Ming-cheh ist nach wie vor unbekannt.

Appell an

Luo Qing

Yueyang City People’s Procuratorate

No. 216 Jin’ezhonglu, Yueyangliu Qu, Yueyang Shi, 414000,

VOLKSREPUBLIK CHINA


 

Sende eine Kopie an

Premierminister

Li Keqiang Guojia Zongli

The State Council General Office

2 Fuyoujie, Xicheng Qu

Beijingshi 100017


VOLKSREPUBLIK CHINA

Fax: (00 86) 10 6596 1109

(c/o Ministry of Foreign Affairs)

Botschaft der Volksrepublik China

S. E. Herrn Mingde Shi

Märkisches Ufer 54

10179 Berlin

Amnesty fordert:

  • Lassen Sie Lee Ming-cheh bitte umgehend und bedingungslos frei, es sei denn es existieren glaubwürdige und zulässige Beweise dafür, dass er eine international als Straftat anerkannte Handlung begangen hat, und er erhält ein Verfahren, das den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entspricht.
  • Geben Sie bitte umgehend seinen Aufenthaltsort bekannt und stellen Sie sicher, dass er bis zu seiner Freilassung weder gefoltert noch anderweitig misshandelt wird.
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass er Zugang zu seiner Familie, einem Rechtsbeistand seiner Wahl und angemessener medizinischer Versorgung erhält.

Sachlage

Lee Ming-cheh, der bei einer taiwanesischen NGO arbeitet, ist in China wegen "Umsturzes der Staatsmacht" angeklagt. Am 6. September 2017 verkündete ein Sprecher des Büros für Taiwan-Angelegenheiten beim chinesischen Staatsrat, dass Lee Ming-cheh vor das Mittlere Volksgericht der Stadt Yueyang gestellt werden soll. Der Sprecher teilte außerdem mit, dass Lee Ming-cheh zwei Rechtsbeistände beauftragt habe und dass einer von ihnen bereits die Familie des Angeklagten über die Vorkehrungen für das bevorstehende Gerichtsverfahren unterrichtet hätte. Bislang wurde offiziell kein Gerichtstermin bekanntgegeben, doch tauchte am 7. September das Bild eines gerichtlichen Hinweises im Internet auf, das darauf schließen lässt, dass die Anhörung bereits am 11. September stattfinden könnte.

Lee Ching-yu, die Frau von Lee Ming-cheh, sagte am 6. September in Taipeh auf einer Pressekonferenz, sie habe einen Anruf von einem Rechtsbeistand auf dem chinesischen Festland erhalten, der angab, für ihren Mann zu arbeiten. Er sagte ihr, dass das Verfahren recht bald stattfinden würde und sie Vorbereitungen für eine Reise nach China treffen solle. Darauf habe Lee Ching-yu entgegnet, sie werde ein Visum beantragen und ihre taiwanesischen Rechtsberater_innen bitten, sie zu begleiten.

Weiter sagte Lee Ching-yu, dass sie kein möglicherweise von Lee Ming-cheh abgelegtes Geständnis akzeptieren noch die von ihm vorgeblich eingestellten Rechtsbeistände anerkennen würde, bevor sie sich nicht persönlich mit ihrem Mann getroffen habe. Da er sich ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft befindet und seine Familie keine schriftliche Mitteilung erhalten hat, ist unklar, ob Lee Ming-cheh die Rechtsbeistände tatsächlich selbst beauftragt hat. In jüngster Vergangenheit ist es in China in Fällen, die die Staatssicherheit betreffen, zur Regel geworden, betroffenen Personen keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand ihrer Wahl zu gewähren.

Lee Ming-cheh ist Leiter einer NGO in Taipeh, dem Wenshan Community College, und unterstützt seit vielen Jahren zivilgesellschaftliche Organisationen und Aktivist_innen in China. Dieses Mal reiste Lee Ming-cheh jedoch aus persönlichen Gründen nach China, da er für seine Schwiegermutter eine ärztliche Behandlung organisieren wollte.

Hintergrundinformation

Hintergrund

In jüngster Vergangenheit ist es in China in Fällen, die die Staatssicherheit betreffen, zur Regel geworden, dass die betroffenen Personen keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand ihrer Wahl erhalten. Da er sich ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft befindet, ist derzeit unklar, ob Lee Ming-cheh die Rechtsbeistände tatsächlich selbst angeheuert hat.

Lee Ming-cheh ist der erste Mitarbeiter einer ausländischen NGO, der unter dem am 1. Januar 2017 in Kraft getretenen Gesetz über ausländische NGOs festgenommen wurde.

Lee Ming-cheh "verschwand" am 19. März, nachdem er in Gongbei die Grenze von Macau in die chinesische Provinz Zhuhai überquert hatte. Nach einigen Tagen ohne Nachricht kontaktierte seine Ehefrau das taiwanesische Wirtschafts- und Kulturamt in Macau und bat um Hilfe. Dort konnte jedoch nur bestätigt werden, dass Lee Ming-cheh Macau verlassen hatte. Zusätzlich zur taiwanesischen Straits Exchange Foundation nahm sich auch der taiwanesische Rat für Festlandangelegenheiten (Mainland Affairs Council) der Sache an und konnte bestätigen, dass Lee Ming-cheh am 19. März 2017 um 23:51 Uhr nach China eingereist war. Sie fanden jedoch weder einen Nachweis über eine Übernachtung im Hotel noch über eine Festnahme.

Lee Ching-yu, die Ehefrau von Lee Ming-cheh, forderte die chinesische Regierung wiederholt auf, den Aufenthaltsort ihres Mannes bekanntzugeben, hat jedoch bis heute keine Antwort erhalten. Taiwanesische Beamt_innen ließen sie am 27. März 2017 indirekt wissen, dass ihr Ehemann von Angehörigen der Staatssicherheit festgehalten wird. Sie reiste vom 16.-18. Mai in die USA, um sich beim Kongress und der Regierung der USA für die Freilassung von Lee Ming-cheh einzusetzen. Am 26. Mai wurde schließlich bekanntgegeben, dass die Staatsicherheitsbehörden der südlichen Provinz Hunan wegen des Verdachts auf "Umsturz der Staatsmacht" offiziell Haftbefehl gegen Lee Ming-cheh erlassen haben. An Fengshan, der Sprecher des Büros für Taiwan-Angelegenheiten beim chinesischen Staatsrat, gab damals jedoch keine weiteren Informationen über den Aufenthaltsort von Lee Ming-cheh bekannt. Er bestätigte allerdings, dass Lee Ming-cheh am 19. März bei der Einreise nach China von den Staatssicherheitsbehörden festgenommen wurde.

Mithilfe des Gesetzes über ausländische NGOs wurden zusätzliche Barrieren zu den schon eingeschränkten Rechten auf Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit geschaffen. Obwohl das Gesetz vorgeblich zur Regulierung und zum Schutz der Aktivitäten von ausländischen NGOs konzipiert wurde, übergab es die Verantwortung für die Kontrolle der Registrierung dieser NGOs, der Überwachung ihrer Tätigkeiten und die Vorab-Genehmigung ihrer Aktivitäten dem Ministerium für öffentliche Sicherheit – der Behörde, der auch die Polizei untersteht. Die weitreichenden Befugnisse, die der Polizei zur Kontrolle und Verwaltung ausländischer NGOs gegeben werden, haben das Risiko erhöht, dass das Gesetz zur Einschüchterung und Strafverfolgung von Menschenrechtsverteidiger_innen und NGO-Personal missbraucht wird.

Während der Konsultationsphase reichte Amnesty International bei der chinesischen Regierung eine Vorlage ein und bat die Regierung darin, den Gesetzentwurf zurückzuziehen oder grundlegende Änderungen durchzuführen, sodass das Gesetz mit internationalen Menschenrechtsabkommen und -standards im Einklang steht. Siehe dazu auch den englischsprachigen Artikel: https://www.amnesty.org/en/documents/asa17/1776/2015/en/.