Beduinensprecher in Haft

Diese Urgent Action ist beendet

Der Menschenrechtsverteidiger und Beduinensprecher Scheich Sayyah Abu Mdeighim al-Turi wurde am 22. Juli aus dem Maasiyahu-Gefängnis in Ramle entlassen. Der israelische Gefängnisdienst gestand ihm eine vorzeitige Freilassung zu. Scheich Sayyah Abu Mdeighim al-Turi hatte sieben Monate im Gefängnis verbracht, weil er seine Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit wahrgenommen hatte. Er ist das Oberhaupt der Beduinendorfes al-Araqib in der Negev-Wüste, das die israelischen Behörden nicht anerkennen.

Israel: Planierraupe in der Negev-Wüste bereitet am 25. Mai 2011 Land nahe al-Araqib zur Aufforstung vor

Am 25. Dezember 2018 musste Scheich Sayyah Abu Mdeighim al-Turi eine zehnmonatige Haftstrafe antreten, zu der er wegen der Wahrnehmung seiner Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit verurteilt worden ist. Er wird derzeit im Maasiyahu-Gefängnis in Ramla im Zentrum von Israel festgehalten. Amnesty International betrachtet Scheich Sayyah Abu Mdeighim al-Turi als gewaltlosen politischen Gefangenen und fordert seine sofortige und bedingungslose Freilassung.

Appell an

Präsident

Reuven Rivlin

President of the State of Israel

Office of the President

3 Hanassi Street

Jerusalem 92188, ISRAEL

Sende eine Kopie an

Botschaft des Staates Israel

S. E. Herrn Jeremy Nissim Issacharoff

Auguste-Viktoria-Straße 74-76

14193 Berlin


Fax: 030 – 8904-5555

E-Mail: botschaft@israel.de

Amnesty fordert:

  • Lassen Sie Scheich Sayyah Abu Mdeighim al-Turi bitte sofort und bedingungslos frei, da er ein gewaltloser politischer Gefangener ist, der sich nur deshalb in Haft befindet, weil er sich friedlich für den Schutz seiner eigenen und der Menschenrechte seiner Gemeinde eingesetzt hat.
  • Bitte stoppen Sie sofort alle Abrissarbeiten in al-Araqib, da sie eine systematische Verletzung der Rechte der Beduin_innen auf angemessenen Wohnraum darstellen.
  • Zudem bitte ich Sie, die Rechte der Beduin_innen auf ihr angestammtes Land zu respektieren und al-Araqib sowie weitere "nicht anerkannte" Dörfer anzuerkennen.

Sachlage

Am 25. Dezember 2018 musste der 69-jährige Menschenrechtsverteidiger Scheich Sayyah Abu Mdeighim al-Turi eine zehnmonatige Haftstrafe antreten, zu der er wegen seiner Rolle beim Aufbau von Unterkünften in seinem Dorf verurteilt worden war. Scheich Sayyah Abu Mdeighim al-Turi ist eine bekannte Persönlichkeit im friedlichen Kampf für die Rechte der Beduin_innen. Zudem ist er der Sprecher des Beduinen-Dorfes al-Araqib, welches sich in der Negev-Wüste im Süden Israels befindet und von der israelischen Regierung als illegale Siedlung betrachtet wird. Am 24. Dezember 2017 sprach ihn ein Gericht in Beerscheba in 19 Fällen des unerlaubten Betretens  eines öffentlichen Grundstücks und in einem Fall des Rechtsbruchs für schuldig und verurteilte ihn zu zehn Monaten Haft und weiteren fünf Monaten Bewährung. Zudem erhielt er eine Geldstrafe in Höhe von 36.000 Schekel (etwa 8.500 Euro). Am 21. November 2018 wurde das von Scheich Sayyah Abu Mdeighim al-Turi eingelegte Rechtsmittel vom Obersten Gerichtshof von Israel abgelehnt.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Scheich Sayyah Abu Mdeighim al-Turi wurde im Dorf al-Araqib im Süden Israels geboren. Er ist eine bekannte Persönlichkeit sowohl im Kampf für die Rechte der Bewohner_innen von al-Araqib auf angemessenen Wohnraum als auch für die Landrechte der Beduin_innen in der Wüste Negev insgesamt.

Das Dorf al-Araqib liegt im Süden Israels in der Wüste Negev, nördlich von Beerscheba. Es befindet sich mitten in einem 17.200 Hektar großen Gebiet, in dem ein Aufforstungsprojekt des Jüdischen Nationalfonds, einer halbstaatlichen israelischen Organisation, umgesetzt wird. Laut dem Negev-Koexistenz-Forum (NCF) wurde das Dorf al-Araqib während des Osmanischen Reichs auf einem Gebiet gegründet, das zu der Zeit von den Bewohner_innen des Dorfes gekauft worden war. Das NCF ist eine israelische NGO, die sich ausschließlich um die Probleme der Einwohner_innen der Negev-Wüste kümmert. In den frühen 1950er-Jahren wurden Bewohner_innen des Dorfes gewaltsam vertrieben, nachdem das Gebiet zu einer Militärzone erklärt worden war. In den 1970ern beantragten sie mehrfach die Anerkennung ihrer Landrechte bei der israelischen Regierung, die jedoch stets abgelehnt wurden. Anfang der 2000er kehrten sie ohne Genehmigung der israelischen Behörden nach al-Araqib zurück. Das Dorf gilt als nicht anerkannt. Am 27. Juli 2010 zerstörten israelische Streitkräfte das gesamte Dorf al-Araqib. Seitdem kam es noch mindestens 134 weitere Male zu einem Abriss des Dorfes durch die Streitkräfte. Laut NCF lebten mindestens 400 Menschen vor dem Abriss in al-Araqib. Seitdem hat die Anzahl der Bewohner_innen immer weiter abgenommen. Zahlreiche von ihnen wurden durch die wiederholten Abrissarbeiten dazu gezwungen, in ein angrenzendes Gebiet auszuweichen.

In al-Araqib gibt es keinerlei Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen. Daher müssen die Bewohner_innen in das sechs Kilometer entfernte Rahat reisen, um derartige Leistungen in Anspruch zu nehmen. Zudem ist das Dorf nicht an die israelischen Wasser- und Elektrizitätsnetze angebunden, sodass die Bewohner_innen auf private Generatoren und Solaranlagen sowie auf Wasserlieferungen mit Tanklastern angewiesen sind, die weitaus teurer sind. 

Seit neun Jahren halten die Dorfbewohner_innen wöchentlich friedliche Demonstrationen ab, bei denen sie die Regierung auffordern, ihre Rechte an dem Land anzuerkennen. Zudem erinnern sie mit den Demonstrationen an den Abriss ihres Dorfes. Scheich Sayyah Abu Mdeighim al-Turi hat diese Bewegung angeführt. In der Folge wurden Angehörige von ihm mehrfach wegen des Verdachts des unerlaubten Betretens und der rechtswidrigen Nutzung von staatlichem Land inhaftiert und verhört. Auch zwei seiner Söhne, Saif und Aziz, stehen derzeit wegen derartiger Vorwürfe vor Gericht.

Die gegen Scheich Sayyah Abu Mdeighim al-Turi erhobenen Anklagen sind Teil eines bereits mehrere Jahre andauernden Streits zwischen dem Staat Israel und den Beduin_innen der Negev-Wüste. Das Dorf al-Araqib gehört zu den mehr als 40 palästinensischen Dörfern in Israel, die von den israelischen Behörden nicht anerkannt werden, obwohl die Bewohner_innen über die israelische Staatsbürgerschaft verfügen und schon seit langem bestehende Besitzansprüche vorweisen können. Viele davon befinden sich in der Negev-Wüste.

Menschenrechtsverteidiger_innen in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten werden seit langem von israelischer Seite drangsaliert, um ihrem Engagement die Legitimation abzusprechen. Mit ihrem Vorgehen in al-Araqib verstoßen die israelischen Behörden systematisch gegen das Recht der Dorfbewohner_innen auf angemessenen Wohnraum. Dieses Menschenrecht wird durch den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte geschützt, zu dessen Vertragsstaaten Israel gehört. Amnesty International hat die Abrissarbeiten – die darauf abzielen, die Bewohner_innen von al-Araqib gewaltsam von dem Land zu vertreiben, auf dem sie bereits seit Generationen leben – bereits mehrfach verurteilt.