Gefängnisstrafen für Demokratie-Aktivisten

Viele Menschen sitzen auf dem Boden und halten geöffnete Regenschirme in der Hand

Studierende der sogenannten "Regenschirm-Bewegung" für Demokratie in Hong Kong 2014

Vier Anführer der Hongkonger Regenschirm-Proteste von 2014 sind zu Haftstrafen zwischen acht und 16 Monaten verurteilt worden. Sie wurden wegen Anklagen im Zusammenhang mit der Erregung öffentlichen Ärgernisses und des Blockierens von Straßen schuldig gesprochen. Sie sind gewaltlose politische Gefangene, die lediglich aufgrund der friedlichen Wahrnehmung ihres Rechts auf Meinungsfreiheit in Haft sind. Das Urteil gegen sie ist ein bedenklicher Präzedenzfall.

Appell an

The Hon. Carrie Lam

Chief Executive,

Government of the Hong Kong SAR

Office of the Chief Executive

Tamar, Hong Kong, CHINA

Sende eine Kopie an

Botschaft der VolksRepublik China

S. E. Herrn Ken Wu

Märkisches Ufer 54

10179 Berlin


Fax: 030-27 58 82 21

E-Mail:
de@mofcom.gov.cn oder

presse.botschaftchina@gmail.com

 

Amnesty fordert:

  • Bitte sorgen Sie dafür, dass Professor Benny Tai Yiu-ting, Professor Chan Kin-man, Raphael Wong Ho-ming und Shiu Ka-chun umgehend und bedingungslos freigelassen werden. Sie sind gewaltlose politische Gefangene, die nur deshalb inhaftiert sind, weil sie sich friedlich für Demokratie in Hongkong eingesetzt haben. Daher möchte ich an Sie appellieren, ihre Verurteilungen umgehend rückgängig zu machen.

Sachlage

Am 24. April 2019 wurde das Strafmaß gegen acht Anführer_innen der Proteste der Hongkonger Regenschirm-Bewegung für mehr Demokratie von 2014 verkündet. Vier von ihnen wurden zu Gefängnisstrafen zwischen acht und 16 Monaten verurteilt: Professor Benny Tai Yiu-ting, Professor Chan Kin-man, Raphael Wong Ho-ming und Shiu Ka-chun waren der "Erregung öffentlichen Ärgernisses" und des "Blockierens öffentlicher Orte und Straßen" für schuldig befunden worden.

Insgesamt standen in diesem Fall neun Personen vor Gericht. Am 9. April waren sie alle wegen vage formulierter Anklagen im Zusammenhang mit der Erregung öffentlichen Ärgernisses schuldig gesprochen worden. Grundlage war einzig und allein die friedliche Wahrnehmung ihrer Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Dies ist das erste Mal, dass sich in Hongkong friedlich Protestierende wegen solcher Anklagen verantworten mussten. Die Staatsanwaltschaft berief auf das Gewohnheitsrecht, unter dem schärfere Strafen verhängt werden können. Die Schuldsprüche und Verurteilungen auf der Grundlage dieser Anklagen im Zusammenhang mit der Erregung öffentlichen Ärgernisses werden sich langfristig nachteilig auf die Versammlungs- und Meinungsfreiheit in Hongkong auswirken. Die Beweise, die gegen die Angeklagten vorgebracht wurden, umfassten z. B. Zeitungsartikel, Stellungnahmen auf Pressekonferenzen sowie Medieninterviews, die Monate vor den Protesten gegeben wurden. Zudem stützte man sich auf von der Polizei aufgenommenes Videomaterial, in dem zu sehen ist, wie die Angeklagten per Lautsprecher andere Protestierende aufforderten, weitere Personen zur Teilnahme an den Protesten zu animieren.

Amnesty International befürchtet, dass die Verurteilung und Inhaftierung dieser vier prominenten Mitglieder der Regenschirm-Bewegung dazu führen könnte, dass diese vage formulierten Anklagen pauschal dazu genutzt werden, um friedliche Protestierende strafrechtlich zu verfolgen und zu inhaftieren. Alle neun Betroffenen haben angegeben, Rechtsmittel einlegen zu wollen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Benny Tai Yiu-ting, Chan Kin-man und Chu Yiu-ming sind Mitbegründer der "Occupy Central with Love and Peace"-Kampagne, die als späterer Teil der Regenschirm-Bewegung speziell den Finanz- und Regierungsbezirk Central besetzte. Der Kampagne ging es darum, durch zivilen Ungehorsam und Straßenblockaden freie und demokratische Wahlen für den Posten der Regierungschefin bzw. des Regierungschefs (Chief Executive) von Hongkong einzufordern. Die Regenschirm-Proteste dauerten insgesamt 79 Tage, von September bis Dezember 2014, und verliefen zum Großteil friedlich.

Unter den am 24. April verurteilten Aktivist_innen befinden sich auch die Mitbegründer der "Occupy Central with Love and Peace"-Kampagne: der Professor der Rechtswissenschaften Benny Tai Yiu-ting und der Soziologieprofessor Chan Kin-man erhielten eine je 16-monatige Gefängnisstrafe. Der Politiker Raphael Wong Ho-ming und der Abgeordnete Shiu Ka-chun wurden zu je acht Monaten Haft verurteilt.

Der pensionierte Pastor Reverend Chu Yiu-ming, der Studierendensprecher Eason Chung Yiu-wah und der Politiker Lee Wing-tat wurden zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Der Studierendensprecher Tommy Cheung Sau-yin muss Sozialstunden ableisten. Die Urteilsverkündung gegen die Abgeordnete Tanya Chan wurde aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands auf den 10. Juni vertagt.

Die Behörden von Hongkong haben seit Beginn der Regenschirm-Bewegung im Jahr 2014 viele friedliche Protestierende festgenommen, meistens auf Grundlage von vage formulierten Anklagepunkten wie "rechtswidrige Versammlung", "nicht genehmigte Versammlung" und "Störung der öffentlichen Ordnung" unter dem Gesetz für öffentliche Ordnung. Der Inhalt und die Anwendung dieses Gesetzes sind vom UN-Menschenrechtsausschuss wiederholt kritisiert worden, weil sie den internationalen Menschenrechtsabkommen und -normen zum Recht auf friedliche Versammlung nicht vollständig entsprechen. Der UN-Menschenrechtsausschuss überwacht die Umsetzung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, dessen Vertragsstaat China und damit Hongkong ist.

Drei Protestierende wurden im Juli 2016 schuldig gesprochen, nachdem sie am 26. September 2014 im Rahmen der Proteste der Regenschirm-Bewegung auf den Civic Square, einen Versammlungsplatz vor dem Hauptsitz der Regierung, vorgedrungen waren. Joshua Wong, Alex Chow und Nathan Law wurden für schuldig befunden, an einer rechtswidrigen Versammlung teilgenommen beziehungsweise andere zur Teilnahme an einer rechtswidrigen Versammlung angestiftet zu haben. Das Gericht hatte ursprünglich keinen Freiheitsentzug vorgesehen, aber die Staatsanwaltschaft legte Rechtsmittel ein und forderte härtere Strafen. Daraufhin wurden die drei Studierendensprecher im August 2017 zu sechs bis acht Monaten Gefängnis verurteilt. Sie wurden inhaftiert, kamen aber im Oktober bzw. November 2017 gegen Kaution frei. Im darauffolgenden Rechtsmittelverfahren im Februar 2018 hob das Gericht die Freiheitsstrafen schließlich auf.

Bis zum Ende der Regenschirm-Proteste, die insgesamt 79 Tage andauerten, hatte die Regierung 955 Teilnehmer_innen festnehmen lassen. Im Nachgang der Proteste wurden 48 weitere Personen festgenommen. Viele von ihnen kamen nach kurzer Zeit wieder frei, allerdings wurden sie von der Polizei darüber informiert, dass die Ermittlungen gegen sie noch laufen und dass sie bei ausreichendem Beweismaterial wieder festgenommen und angeklagt würden. Das Vorgehen, viel Zeit zwischen der ursprünglichen Festnahme und der Entscheidung über eine strafrechtliche Verfolgung verstreichen zu lassen, hat dazu geführt, dass erst eine kleine Anzahl von Protestierenden vor Gericht gestellt wurde.

Da prominente Mitglieder der Regenschirm-Bewegung auch nach langen Verzögerungen plötzlich strafverfolgt werden, leben Hunderte Protestierende in Unsicherheit, da sie nicht wissen, ob die Regierung auch sie anklagen wird oder nicht. Diese Unsicherheit, gepaart mit vage formulierten Anklagen und harten Strafen, wirkt sich negativ auf die Versammlungs- und Meinungsfreiheit in Hongkong aus.