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China: Regisseur wegen Protestfilm inhaftiert
Der chinesische Regisseur Chen Pilin ist seit Januar 2024 inhaftiert (undatiertes Foto).
© privat
+++ Update: Am 7. Juni findet die Gerichtsverhandlung von Chen Pinlin statt. Bitte setz euch jetzt verstärkt für ihn ein.+++
Chen Pinlin ist der Regisseur des Dokumentarfilms "Urumqi Middle Road" (乌鲁木齐中路), der Szenen aus der landesweiten Bewegung einfängt, bei der die Demonstrierenden ein leeres Blatt Papier hochhielten. Mit dieser Reihe friedlicher Proteste wehrten sie sich gegen den drei Jahre andauernden Lockdown im Rahmen von Chinas Null-Covid-Politik und die Zensur und Überwachung im Land. Chen Pinlin stellte den Film anlässlich des einjährigen Jubiläums der "Proteste der weißen Blätter" ins Internet. Am 5. Januar 2024 wurde er festgenommen. Derzeit wird er im Baoshan-Gefängnis in Shanghai festgehalten. Ihm wird vorgeworfen, "Streit angefangen und Ärger provoziert zu haben". Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu fünf Jahre Haft.
Appell an
Chief Procurator Chen Yong
Shanghai People's Procuratorate
75 Jian'guo West Rd,
Shanghai, 200020
VR CHINA
Sende eine Kopie an
Botschaft der Volksrepublik China
S.E. Herrn Wu Ken
Märkisches Ufer 54
10179 Berlin
E-Mail: presse.botschaftchina@gmail.com oder de@mofcom.gov.cn
Fax: 030-27 58 82 21
Amnesty fordert:
- Lassen Sie Chen Pinlin umgehend und bedingungslos frei.
- Bitte sorgen Sie dafür, dass er in Haft weder gefoltert noch anderweitig misshandelt wird.
- Beenden Sie die Bedrohung, Schikane und Festnahme von Chen Pinlins Familienmitgliedern, anderen Personen, die mit der "Leeres-Blatt-Papier-Bewegung" in Verbindung stehen, und allen, die friedlich ihr Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit wahrnehmen.
Sachlage
In den Jahren 2022 und 2023 drehte und veröffentlichte Chen Pinlin (陈品霖), auch bekannt als Plato, den Dokumentarfilm "Urumqi Middle Road" (乌鲁木齐中路). Dieser Film dokumentiert eine Reihe friedlicher Proteste gegen die über den Zeitraum von drei Jahren immer wieder verhängten Lockdowns im Rahmen der chinesischen Null-COVID-Politik und die strenge Zensur und Überwachung in China.
Am 5. Januar 2024 nahm ihn die Polizei in Shanghai unter dem Vorwurf "Streit angefangen und Ärger provoziert zu haben" fest. Am 18. Februar wurde sein Fall der Staatsanwaltschaft übergeben. Chen Pinlin befindet sich derzeit in Untersuchungshaft im Baoshan-Gefängnis in Shanghai. In der Untersuchungshaft drohen Chen Pinlin Folter und andere Misshandlungen sowie Verletzungen seiner Rechte auf ein faires Gerichtsverfahren. In den letzten zehn Jahren hat Amnesty International eine Reihe von Fällen in China dokumentiert, in denen Personen, die aufgrund dieser Anschuldigungen inhaftiert wurden, oft wegen ihrer Tätigkeit zum Schutz der Meinungsfreiheit und zur Verteidigung anderer Menschenrechte, Folter und andere Misshandlungen erlitten haben und keinen Zugang zu rechtlichen Mitteln gegen diese Menschenrechtsverletzungen hatten.
Die Familie von Chen Pinlin wird Berichten zufolge von der Polizei schikaniert und eingeschüchtert, was bei inhaftierten Menschenrechtsverteidiger*innen in China ebenfalls üblich ist. Seit den Protesten der "Leeres-Blatt-Papier-Bewegung" wurden mehrere andere daran Beteiligte oder ihre Familien von den chinesischen Behörden schikaniert und verhört. Es ist schwer zu sagen, wie viele Personen bedroht oder festgenommen wurden oder dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen sind, weil die Behörden versuchen, Informationen über die Proteste zu kontrollieren und die Grundfreiheiten weiter einzuschränken.
Chen Pinlin ist allein wegen der friedlichen Ausübung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung inhaftiert, ein Recht, das in den internationalen Menschenrechtsnormen garantiert wird.
Hintergrundinformation
Während der Proteste der "Leeres-Blatt-Papier-Bewegung" drehten Chen Pinlin und seine Freund*innen zahlreiche Videos in der Urumqi Middle Road, dem Schauplatz einer großen Demonstration in Shanghai. Um den ersten Jahrestag der Proteste im November 2023 herum stellte Chen den Dokumentarfilm fertig und veröffentlichte ihn mit den Titeln "Urumqi Middle Road" und "Not the Foreign Force" (etwa: "Keine ausländische Macht") im Internet.
Ans Ende des Films stellte Chen Pinlin folgenden Text:
Manche Leute sagen, "was bringt es, auf der Straße zu protestieren?" Letztendlich bleibt es immer gleich, unterdrückt, abgeschirmt und falsch verstanden. Aber wie Churchill sagte, ist Mut eine der wichtigsten Eigenschaften des Menschen, und mit Mut sind alle anderen menschlichen Eigenschaften automatisch verfügbar". Uns fehlte es an Erfahrung, wir waren feige und wankelmütig, aber heute haben wir den Mut, aufzustehen und unsere Stimme zu erheben. Was wir dieses Mal nicht geschafft haben, können wir beim nächsten Mal besser machen. Wenn ich es noch einmal tun könnte, würde ich mich immer noch dafür entscheiden, dabei zu sein. Denn eine Regierung, die selbst vor einem leeren Blatt Papier Angst hat, kann den Wunsch nach Gerechtigkeit in den Herzen der Menschen nicht zerstören.
Ende November 2023 wurde Chen Pinlin von den chinesischen Behörden festgenommen, weil er "Streit angefangen und Ärger provoziert hat". Am 5. Januar 2024 erging gegen Chen unter demselben Vorwurf ein formeller Haftbefehl; er befindet sich derzeit im Baoshan-Gefängnis. Am 18. Februar wurde sein Fall der Staatsanwaltschaft übergeben.
Dies ist die zweite Festnahme wegen der Weitergabe von Informationen über die "Leere-Blatt-Papier-Bewegung", die Amnesty International dokumentiert hat. Die erste Festnahme war die der uigurischen Universitätsstudentin Kamile Wayit. Weitere Informationen zu ihrem Fall finden Sie hier. Amnesty geht davon aus, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist und dass viele weitere Berichte über Festnahmen, Inhaftierungen oder Verschwindenlassen im Zusammenhang mit den Protesten vom November 2022 glaubwürdig sind. Aufgrund der raschen und harten Reaktion der Behörden ist es jedoch wahrscheinlich unmöglich, die tatsächliche Zahl und das Ausmaß der Fälle im Zusammenhang mit der "Leeres-Blatt-Papier-Bewegung" zu ermitteln.
Amnesty dokumentiert Folter und Misshandlung in Haftanstalten in China seit mindestens 2015, mit dem Bericht "No end in sight – Torture and forced confessions in China" (Kein Ende in Sicht – Folter und erzwungene Geständnisse in China) und zuletzt im Länderkapitel China des Amnesty International Report 2023/24.
Über die "Weiße-Blätter-Bewegung" bzw. die "A4-Proteste" in China
Am 24. November 2022 brach in einem Wohnhaus in Urumqi ein Feuer aus, bei dem nach Angaben der Regierung mindestens zehn Menschen ums Leben kamen. Viele machten die Corona-Beschränkungen für die Todesfälle verantwortlich, aber die örtlichen Behörden wiesen diesen Vorwurf zurück. Dennoch kam es in Urumqi, der Hauptstadt der Uigurischen Autonomen Provinz Xinjiang, zu Protesten. Am nächsten Morgen erklärte die Regierung, dass der Corona-Ausbruch unter Kontrolle sei und die Abriegelung der Stadt gelockert werde. Dies beendete mehr als 100 Tage eines Lockdowns, in dem die Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt waren.
Am 25. November protestierte ein*e Studierende*r der Medienhochschule in Nanjing mit einem weißen Blatt Papier auf dem Campus, und andere Studierende schlossen sich ihm*ihr an. Die Aktion verbreitete sich mittels Videos in den sozialen Medien rasch im Land. Darauf war der Ausbruch von Protesten an Universitäten und in Städten in ganz China zu sehen, darunter in Peking, Guangzhou, Shanghai und Wuhan.
Friedliche Protestierende gedachten der Opfer des Brandes in Urumqi und forderten die Aufhebung der Lockdown-Maßnahmen. Viele forderten auch ein Ende der Zensur und einige forderten den Rücktritt von Präsident Xi. Zahlreiche Menschen wurden festgenommen, weil sie sich an diesen friedlichen Protesten beteiligt hatten. Es ist unklar, wie viele von ihnen inhaftiert wurden und ob sich heute, fast 18 Monate später, noch Protestierende in Haft befinden. Im Internet kursierende Videos zeigten, wie die Polizei bei Festnahmen auf Demonstrierende einprügelt.
Die "Leere-Blatt-Papier-Bewegung" zeichnete sich auch durch den transnationalen Charakter der Proteste aus: Im Ausland studierende Chines*innen demonstrierten häufig in Solidarität mit den Studierenden im Land. Anlässlich des einjährigen Jubiläums hat Amnesty International die Geschichten von sechs Teilnehmenden veröffentlicht, die berichten, wie die Protestbewegung ihr Leben verändert hat.