Bangladesch: Protestierende freilassen!

Mehrere behelmte und bewaffnete Polizisten halten einen Mann an armen und Beinen und tragen ihn weg.

Polizisten nehmen an der Universität von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka einen Demonstranten fest (17. Juli 2024).

Rony Sheikh ist einer der mehr als 10.000 Demonstrierenden und Passant*innen, die seit Juli 2024 im Zuge des harten Vorgehens der bangladeschischen Regierung gegen Protestierende festgenommen wurden. Nach Angaben seiner Familienangehörigen haben weder sie noch ihre Rechtsbeistände Zugang zu ihm erhalten. Sie befürchten deshalb, dass er in der Haft gefoltert oder misshandelt werden könnte. Im Zuge des scharfen Vorgehens der Regierung wurden mehr als 400 Menschen getötet, darunter Journalist*innen und Passant*innen. Die Behörden müssen die Massenfestnahmen unverzüglich beenden, alle Demonstrierenden freilassen, die nur wegen der Ausübung ihrer Menschenrechte inhaftiert sind, und allen Inhaftierten das Recht auf ein faires Verfahren garantieren.

Appell an

Attorney General
Md Asaduzzaman
Office of the Attorney General
Bangladesh Supreme Court area
Shahabagh
Dhaka-1000
BANGLADESCH

Sende eine Kopie an

Botschaft der Volksrepublik Bangladesch
S. E. Herrn Md Mosharraf Hossain Bhuiyan
Kaiserin-Augusta-Allee 111
10553 Berlin

Fax: 030–39 89 75 10
E-Mail: info.berlin@mofa.gov.bd oder mission.berlin@mofa.gov.bd

Amnesty fordert:

  • Bitte lassen Sie Rony Sheikh und alle anderen Demonstrierenden, die nur wegen der Ausübung ihrer Menschenrechte rechtswidrig inhaftiert wurden, unverzüglich frei.
  • Stellen Sie bitte sicher, dass alle Demonstrierenden, die wegen einer international anerkannten Straftat festgenommen werden oder wurden, ein schnelles und faires Verfahren erhalten.
  • Gewähren Sie den Familien und Rechtsbeiständen unverzüglich Zugang zu den Inhaftierten und sorgen Sie dafür, dass der Aufenthaltsort jeder inhaftierten Person den Familienangehörigen umgehend mitgeteilt wird.
  • Stellen Sie bitte sicher, dass niemand in der Haft gefoltert oder anderweitig misshandelt wird.
  • Bitte sorgen Sie dafür, dass unverzüglich eine gründliche, wirksame, unabhängige und unparteiische Untersuchung der Todesfälle und Verletzungen während des Vorgehens der Sicherheitskräfte eingeleitet werden. Diejenigen, die für die rechtswidrige Anwendung von Gewalt verantwortlich sind, müssen zur Rechenschaft gezogen werden.

Sachlage

Bei der jüngsten Niederschlagung der Proteste in Bangladesch wurden mehr als 400 Demonstrierende getötet und Tausende weitere verletzt. Darüber hinaus wurden Berichten zufolge in den vergangenen Wochen mehr als 10.000 Demonstrierende – Schüler*innen, Studierende, Oppositionelle – festgenommen oder willkürlich inhaftiert. Die Hauptforderung dieser Proteste war ein gerechtes Verfahren für die Einstellung von Staatsbediensteten durch die Abschaffung der 30%-Quote für Nachkommen von Kriegsveteranen.

Zu den Inhaftierten gehört auch der 18-jährige Rony Sheikh, der am 22. Juli bei der Vorbereitung auf seine Prüfungen festgenommen wurde. Er hat seit seiner Festnahme keinen Zugang zu seinen Familienangehörigen und Rechtsbeiständen. Die damalige Ausgangssperre hielt die Familie davon ab, auch nur den Versuch zu unternehmen, bei der Polizei nachzufragen, ob sie ihr Familienmitglied besuchen könnten. Rony Sheikh wurde in einer Sammelklage aufgeführt und wegen rechtswidriger Versammlung, Angriff mit Tötungsabsicht und Körperverletzung angeklagt. Seiner Familie zufolge ist es für die Rechtsbeistände schwierig, Zugang ihm zu erhalten. 

Am 5. August trat die Premierministerin Sheikh Hasina nach 15 Jahren an der Macht zurück und floh aus Bangladesch. Am Wochenende zuvor waren einige Studierende gegen Kaution freigelassen worden, und seit Sheikh Hasina das Land verlassen hat, kam noch weitere Studierende gegen Kaution frei (darunter Arif Sohel und Sabir Rahman). Viele der Festgenommenen befinden sich jedoch nach wie vor in Gewahrsam. Das Recht, sich friedlich zu versammeln, ist ein Menschenrecht, und diese Massenfestnahmen und willkürlichen Inhaftierungen von Demonstrierenden stellen eine alarmierende Verletzung dieses Rechts dar.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Seit dem 1. Juli 2024 kommt es in Bangladesch zu großflächigen Protesten, nachdem bei der Vergabe von Stellen im öffentlichen Dienst eine umstrittene 30-Prozent-Quote für Nachkommen von Veteranen des Unabhängigkeitskrieges wieder eingeführt wurde. Diese Quote, die bereits 2018 aufgrund ähnlicher Proteste abgeschafft wurde, wird von vielen, insbesondere von Studierenden, als unverhältnismäßige Begünstigung der Anhänger*innen der Regierungspartei angesehen. Die zunächst weitgehend friedlichen Proteste schlugen in Gewalt um, nachdem Demonstrierende am 15. Juli an der Universität von Dhaka und anderen Einrichtungen angegriffen worden waren, Berichten zufolge von Mitgliedern der der Regierungspartei nahestehenden Bangladesh Chatra League (BCL). Bei diesen Angriffen wurden Stangen, Stöcke, Ziegelsteine und Schusswaffen eingesetzt, was zu zahlreichen Verletzten führte und die Spannungen im ganzen Land verschärfte. Die Behörden haben seitdem Tausende Demonstrierende festgenommen.

Der 18-jährige Rony Sheikh befand sich mitten in den Vorbereitungen für seine Abschlussprüfung der weiterführenden Schule, als er festgenommen wurde. Nach Angaben seiner Familie suchten ihn Angehörige der Behörden in seinem gemieteten Zimmer auf, überprüften sein Mobiltelefon und nahmen ihn fest, da er Videos von den Protesten auf seinem Mobiltelefon hatte. Er hatte noch keinen Kontakt zu seinem Rechtsbeistand oder seiner Familie. 

Die Lage verschlechterte sich am 19. Juli weiter. Allein an diesem Tag töteten die Sicherheitskräfte bei ihrer Operation 75 Menschen. Die Regierung setzte Militär und paramilitärische Kräfte wie das Rapid Action Battalion (RAB) und die Border Guards Bangladesh (BGB) ein und verhängte eine landesweite Internetsperre sowie eine Ausgangssperre, bei der auf jede Person geschossen wurde, die sich draußen aufhielt. Amnesty International hat mehrere Fälle rechtswidriger Gewaltanwendung untersucht, darunter den Tod von Abu Sayed, einem 25-jährigen Studenten, der von Polizist*innen aus einer Entfernung von 15 Metern erschossen wurde, obwohl er keine Gefahr darstellte. Die Dhaka Metropolitan Police (DMP) eskalierte die Situation weiter, indem sie alle Kundgebungen und Demonstrationen in der Hauptstadt verbot, was zu einem noch aggressiveren Vorgehen der Sicherheitskräfte führte, einschließlich des unrechtmäßigen Einsatzes von Tränengas, Gummigeschossen, Schallgranaten und Sturmgewehren.

Bis zum 31. Juli 2024 wurden mehr als 200 Menschen getötet (die Regierungsstatistik spricht von 145), Tausende verletzt und über 10.000 festgenommen. Die meisten von ihnen wurden in Massenverfahren angeklagt. Medienberichten zufolge wurden die Massenfestnahmen von verschiedenen Sicherheitskräften durchgeführt, die die Internetverbindung in den von ihnen durchsuchten Vierteln abschalteten und in die Häuser gingen, um die Studierenden festzunehmen. Drei Studierende, die im Krankenhaus behandelt werden mussten, wurden genötigt, das Krankenhaus zu verlassen, und dann in Gewahrsam genommen. Der Justizminister erklärte jedoch in einer Stellungnahme, dass diese Studierenden zu ihrer eigenen Sicherheit in Gewahrsam genommen wurden. 

Das internationale Recht ist eindeutig, wie die Strafverfolgungsbehörden reagieren sollten, wenn bestimmte Demonstrierende gewalttätig werden. Laut der Allgemeinen Bemerkung Nr. 37 des UN-Menschenrechtsausschusses über das Recht auf friedliche Versammlung können die Teilnehmenden einer Versammlung nicht für einzelne Gewalttaten einiger weniger Demonstrierender verantwortlich gemacht werden. Selbst wenn eine Person ein gewalttätiges Verhalten an den Tag legt (wodurch sie nicht in den Schutzbereich des Rechts auf friedliche Versammlung fällt), müssen ihre anderen Rechte geschützt werden. Es ist von größter Bedeutung, dass die rechtswidrige Anwendung von Gewalt durch die Sicherheitskräfte untersucht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. 

Diese Krise unterstreicht ein breiteres Muster der Unterdrückung in Bangladesch, wo Gesetze wie das Gesetz über die digitale Sicherheit von 2018 (Digital Security Act) und sein Nachfolger, das Cybersicherheitsgesetz von 2023 (Cyber Security Act), dazu dienen, abweichende Meinungen und freie Meinungsäußerungen zu unterdrücken. Das Eingreifen der internationalen Gemeinschaft ist von entscheidender Bedeutung, um die Regierung von Bangladesch zur Einhaltung ihrer Menschenrechtsverpflichtungen und zur Wiederherstellung des öffentlichen Vertrauens in die Rechtsstaatlichkeit zu drängen.