Aufenthaltsort von Schriftsteller unbekannt

Ein Mann im grauen Anzug steht in einer Einkaufspassage und blickt ernst in die Kamera.

Nagyz Muhammed

Der kasachische Schriftsteller Nagyz Muhammed wurde im März 2018 in der Autonomen Region Xinjiang im Nordwesten Chinas festgenommen, nachdem er aus Kasachstan zurückkam. Seine Familie erfuhr aus inoffizieller Quelle, dass er in einem geheimen Gerichtsverfahren wegen "Separatismus" zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde. Zu seinem Aufenthaltsort, dem Gerichtsverfahren und der Verurteilung gibt es jedoch keine offiziellen Informationen. Es besteht somit Anlass zur ernsten Sorge um Nagyz Muhammed.

Appell an

Director Wang Jiang

Prison Administration Bureau of Xinjiang Uyghur Autonomous Region, No 380

Huanghe lu, Urumqi

830000, Xinjiang Uyghur Autonomous Region


VOLKSREPUBLIK CHINA

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BOTSCHAFT DER VOLKSREPUBLIK CHINA

S. E. Herrn Ken Wu

Märkisches Ufer 54

10179 Berlin


Fax: 030-27 58 82 21

E-Mail: presse.botschaftchina@gmail.com

 

Amnesty fordert:

  • Bitte geben Sie den Aufenthaltsort von Nagyz Muhammed bekannt und gewähren Sie ihm Zugang zu seiner Familie und zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl. Bitte sorgen Sie dafür, dass er nicht gefoltert oder anderweitig misshandelt wird.
  • Lassen Sie Nagyz Muhammed bitte umgehend und bedingungslos frei, es sei denn es existieren glaubwürdige und zulässige Beweise dafür, dass er eine international als Straftat anerkannte Handlung begangen hat, und er erhält ein Verfahren, das den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entspricht.

Sachlage

Der Kasache Nagyz Muhammed ist Schriftsteller und war im Büro für Immaterielles Kulturerbe (Intangible Cultural Heritage Office) in Altay in der Autonomen Region Xinjiang tätig. Anfang 2018 wurde Nagyz Muhammed in Urumqi, der Hauptstadt von Xinjiang, am Herzen operiert. Danach reiste er zu Verwandten nach Almaty in Kasachstan. Im März 2018 bat ihn ein Arbeitskollege, dringend zurück zur Arbeit zu kommen. Nachdem er später im März 2018 zurück nach Altay in Xinjiang kam, wurde Nagyz Muhammed von der Polizei vorgeladen und auf der örtlichen Polizeiwache zu seinem Besuch in Kasachstan verhört. Seitdem konnte niemand mehr Kontakt zu ihm aufnehmen.

Im Dezember 2018 erfuhr seine Familie aus inoffizieller Quelle, dass sich der Gesundheitszustand von Nagyz Muhammed aufgrund von Folter und anderweitiger Misshandlung während eines Verhörs drastisch verschlechtert hatte. Er sei in ein Umerziehungslager gebracht worden. Nachdem sich sein Zustand wieder verbessert hatte, sei er in eine Haftanstalt verlegt worden, wie seine Angehörigen in der ersten Jahreshälfte 2019 aus derselben Quelle erfuhren. Offiziell wurde seine Familie erst Anfang 2019 – nach fast einem Jahr der Unsicherheit – über seine Festnahme unterrichtet. Seitdem erhielt sie keine weiteren offiziellen Informationen.

Im April 2020 erfuhr seine Familie, wieder aus inoffizieller Quelle, dass Nagyz Muhammed wegen "Separatismus" zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war. Die Anklage bezieht sich offenbar auf ein Abendessen zum kasachischen Unabhängigkeitstag, an dem er vor etwa zehn Jahren mit ein paar Freund_innen teilgenommen hatte. Es ist besorgniserregend, dass das Gerichtsverfahren Berichten zufolge unter Geheimhaltung stattfand und Nagyz Muhammed keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl hatte. Da sein derzeitiger Aufenthaltsort unbekannt ist, besteht – insbesondere mit Blick auf die Berichte, denen zufolge er im Jahr 2018 gefoltert und anderweitig misshandelt wurde – Anlass zur Sorge um seinen Gesundheitszustand und sein Wohlergehen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Nagyz Muhammed ist Kasache und besitzt die chinesische Staatsbürgerschaft. Er arbeitete als Schriftsteller im Büro für Immaterielles Kulturerbe (Intangible Cultural Heritage Office) in Altay in der Autonomen Region Xinjiang in Nordwestchina. Er ist Mitglied im Schriftstellerverband von Xinjiang und veröffentlichte zwei Gedichtbände. Seine Familie zog im Jahr 2012 nach Kasachstan, weil es dort bessere Bildungsmöglichkeiten gab. Seitdem reiste Nagyz Muhammed mehrere Male nach Kasachstan, um seine Familie zu besuchen.

Die Autonome Region Xinjiang ist eine der diversesten Regionen in China. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung von 22 Millionen Menschen gehören Turkgruppen an und sind muslimisch. Darunter sind Uigur_innen (etwa 11,3 Millionen), Kasach_innen (etwa 1,6 Millionen) und andere Gruppen, deren Sprachen, Kulturen und Lebensweisen sich erheblich von denen der Han-Chines_innen Zentralchinas unterscheiden, wo diese die Mehrheitsbevölkerung stellen.

Seit Chen Quanguo 2016 das Amt des Parteisekretärs der Autonomen Region Xinjiang angetreten hat, kann man an den Medienberichten ablesen, wie scharf die neu eingeführten Sicherheitsmaßnahmen sind. Im Oktober 2016 gab es zahlreiche Berichte darüber, dass die Behörden in der Region die Reisepässe von Uigur_innen konfisziert hatten, um ihre Bewegungsfreiheit weiter einzuschränken. Im März 2017 erließ die Autonome Region Xinjiang eine Verordnung zur "Entextremisierung", die ein breites Spektrum an Handlungen beschreibt und diese als "extremistisch" verbietet. Dazu zählen unter anderem "Verbreitung von extremistischem Gedankengut", die Verunglimpfung von staatlichen Radio- oder Fernsehsendern und die Verweigerung, diese zu konsumieren sowie das Tragen von Burkas oder "ungewöhnlichen" Bärten. Darüber hinaus zählen Widerstand gegen die nationale Politik sowie das Publizieren, Herunterladen, Aufbewahren und Lesen von Artikeln oder Publikationen und audiovisuellen Beiträgen mit "extremistischem Inhalt" zur Liste dieser "extremistischen" Handlungen. Aufgrund der Verordnung wurde zudem ein "Zuständigkeitssystem" eingerichtet, mit dem die "Antiextremismus-Arbeit" von Regierungsvertreter_innen jährlich überprüft wird.

Es werden schätzungsweise bis zu einer Million Uigur_innen, Kasach_innen und Angehörige anderer mehrheitlich muslimischer Bevölkerungsgruppen in sogenannten "Zentren für Transformation durch Erziehung" festgehalten. Die chinesischen Behörden bestritten bis Oktober 2018 die Existenz dieser Umerziehungseinrichtungen. Danach erklärten sie, die Menschen seien freiwillig in diesen Lagern und würden eine Berufsausbildung erhalten. Ziel dieser Einrichtungen sei es, den Menschen eine fachliche und berufliche Ausbildung zu bieten und ihnen zu ermöglichen, eine Arbeit zu finden und sich zu "nützlichen" Bürger_innen zu entwickeln. Im Widerspruch zu diesen Erläuterungen stehen allerdings die Berichte von ehemaligen Insass_innen dieser Lager, die Schläge, Nahrungsentzug und Isolationshaft beschreiben.

China ist bisher den Aufforderungen der internationalen Gemeinschaft und auch von Amnesty International nicht nachgekommen, unabhängige Expert_innen uneingeschränkt nach Xinjiang einreisen zu lassen. Stattdessen versucht die chinesische Regierung, kritische Stimmen zu unterdrücken, indem sie sorgfältig ausgewählte Delegationen aus verschiedenen Ländern zu streng durchgeplanten und überwachten Besuchen nach Xinjiang einlädt.