Aktivisten droht Haft

Eine kleine Gruppe Männer blockiert den Weg mit einem Baumstamm, darüber hängt ein Banner

Angehörige der indigenen Gruppe Adivasi protestieren im indischen Bundesstaat Odisha gegen die Landnahme durch Konzerne

Die Aktivisten Judhishtira Jena und Babula Samal, die der indigenen Gemeinschaft der Adivasi angehören, wurden wegen ihrer Rolle im Widerstand gegen die Landnahme für ein Stahlwerk festgenommen. Beide Männer sind außerdem mit zahlreichen weiteren Anklagen konfrontiert, einige davon wegen mutmaßlicher Aktionen vor zehn Jahren. Bei einer Verurteilung drohen ihnen lebenslange Haftstrafen.

Appell an

Ministerpräsident von Odisha

Naveen Patnaik

Odisha Secretariat, 3rd Floor

Bhubaneshwar-751001

Odisha, INDIEN

Sende eine Kopie an

Distrikt-Polizeichef

Jai Narayan Pankaj


Jagatsinghpur Police Station

Jagatsinghpur,

Odisha 754103, INDIEN


Fax: (00 91) 672 422 05 70

E-Mail: spjsp.orpol@nic.in

Botschaft der Republik Indien

I. E. Frau Mukta Dutta Tomar

Tiergartenstr. 17

10785 Berlin

Fax: 030–2579 5102

E-Mail:
dcm@indianembassy.de

Amnesty fordert:

  • Bitte lassen Sie Judhishtira Jena und Babula Samal frei und alle politisch motivierten Anklagen gegen sie fallen.
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass alle politisch motivierten Anklagen gegen andere Aktivist_innen fallengelassen werden und setzen sie den Repressionen gegen Gemeinden im Projektgebiet ein Ende.
  • Bitte bearbeiten Sie individuelle und gemeinschaftliche Rechte zur Waldnutzung, bevor das erworbene Land einer anderen Nutzung zugeführt wird.

Sachlage

Judhishtira Jena und Babula Samal wurden am 18. bzw. 19. Dezember 2017 im Zusammenhang mit Vorwürfen festgenommen, die 2010 wegen ihres friedlichen Aktivismus gegen sie erhoben wurden. Beide sind indigene Bewohner des Dorfs Dhinkia im ostindischen Bundesstaat Odisha. Sie gehören zu den vielen Bewohner_innen des Distrikts Jagatsinghpur, die sich aktiv gegen die Bemühungen der Regierung zur Übernahme von Acker- und Gemeindeland für den Bau eines Stahlwerks eingesetzt haben, der vom Stahlgiganten POSCO geplant worden war. Die beiden Aktivisten, denen zahlreiche Straftaten wie Aufruhr, kriminelle Einschüchterung, versuchter Mord und rechtswidrige Versammlung vorgeworfen werden, befinden sich gegenwärtig im Gefängnis Kujang in Jagatsinghpur, während ihre Anträge auf Freilassung gegen Kaution vor dem Bezirksgericht anhängig sind. Im Falle eine Verurteilung droht ihnen lebenslange Haft.

Der erste Informationsbericht, auf dessen Grundlage die Aktivisten verhaftet wurden, bezieht sich auf einen Vorfall vom 15. Mai 2010, bei dem die Polizei mit Tränengas und Schlagstöcken eine Demonstration von etwa 1000 Angehörigen kleinbäuerlicher Gemeinschaften auflöste. Einige Protestierende hatte mit Steinen auf die Polizei geworfen. Im Bericht werden keine Namen genannt. Bei mehreren früheren Gelegenheiten wurden Aktivist_innen, die sich gegen Stahlwerke in der Region einsetzten, wegen politisch motivierter Anschuldigungen festgenommen. Amnesty International geht davon aus, dass auch die Vorwürfe gegen Judhishtira Jena und Babula Samal politisch motiviert sind.

Sowohl Judhishtira Jena als auch Babula Samal sind in der lokalen Widerstandsgruppe namens POSCO Prathidrodh Sangram Samiti (PPSS) aktiv. Sie wurde gegründet, nachdem POSCO 2005 angekündigt hatte, in der Region Aktivitäten aufnehmen zu wollen. Indigene Bewohner_innen der Region organisierten friedliche Proteste, um ein Ende der Landnahme und der Zerstörung von Wäldern und Anbauflächen zu fordern. Von 2006 bis 2014 wurden gegenüber 2000 indigene Dorfbewohner_innen, darunter Judhishtira Jena und Babula Samal, Strafverfahren eingeleitet, nachdem sie von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hatten.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Im Juni 2005 unterzeichnete der südkoreanische Stahlkonzern POSCO eine Absichtserklärung mit der Regierung von Odisha, um in ein Projekt zu investieren, das aus Eisenerzminen (ein integriertes Stahlwerk) und einem Hafen in Jagatsinghpur im Bundesstaat Odisha besteht. Ein großer Teil des Landes, das für das Projekt vorgeschlagen wurde, ist Gemeindeland – Dorfeigentum, das unter die Zuständigkeit kommunaler Behörden fällt – mit Betel-Anbauflächen, mit denen viele Familien ihren Lebensunterhalt verdienen. Lokalen Aktivist_innen zufolge haben die Behörden des Bundesstaates es immer wieder versäumt, die individuellen und gemeinschaftlichen Rechte lokaler Gemeinschaften auf Gemeindeländereien anzuerkennen, wie sie im historischen Gesetz über die Rechte der Waldnutzung (Forest Rights Act) 2006 anerkannt wurden. Viele Dorfbewohner_innen gaben an, dass sie Ansprüche auf die Waldnutzung bei den lokalen Behörden eingereicht hätten, diese Ansprüche aber nicht bearbeitet worden seien. Laut PPSS, der lokalen Widerstandsgruppe, wurden im Jahr 2011 insgesamt 8 km2 Gemeindeland gegen den Willen der Bewohner_innen von der Regierung übernommen. Im Jahr 2013 wurden im Dorf Dhinkia weitere 2,8 km2 Gemeindeland übernommen. Die Bewohner_innen wurden weder vorher konsultiert noch rechtzeitig informiert, und das Land jener, die eine Entschädigung ablehnten, wurde ohne ihre Zustimmung beschlagnahmt.

Seit der Unterzeichnung der Absichtserklärung hat das Projekt starken Widerstand seitens der lokalen Gemeinschaften sowie ernsthafte Fragen von Menschenrechts- und Umweltgruppen zu seinen sozialen und ökologischen Auswirkungen ausgelöst. Auf Dorfversammlungen in den betroffenen Gebieten wurden zahlreiche Beschlüsse gefasst, die die Nutzung von Land für das POSCO-Indien-Projekt verbieten. Im Juni 2013 wurde in einem Bericht des internationalen NGO-Netzwerks ESCR-Net auf mehrere Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Projekt hingewiesen und die Aussetzung des Projekts gefordert. Im Oktober 2013 riefen acht unabhängige UN-Menschenrechtsexpert_innen, darunter die UN-Sonderberichterstatter_innen über angemessenes Wohnen, das Recht auf Nahrung, das Recht auf Gesundheit und für Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, zu einem Stopp des Projekts auf. Sie verwiesen auf ernste Menschenrechtsprobleme, einschließlich der Auswirkungen rechtswidriger Zwangsräumungen auf die Existenzgrundlagen, den Zugang zu natürlichen Ressourcen und konstruierte Anklagen. Nach internationalem Protest angesichts der Umwelt- und Menschenrechtsrisiken von POSCO-Projekten beschloss die Norges Bank im Jahr 2015, das Unternehmen aus dem Anlageportfolio des staatlichen norwegischen Pensionsfonds Global auszuschließen. Im März 2017 gab POSCO bekannt, dass es sich aus dem Projekt zurückzieht, und forderte die Regierung von Odisha auf, an das Unternehmen übertragenes Land zurückzunehmen.

Kurz nach der Rückgabe des Landes von POSCO an den Bundesstaat Odisha verkündete das indische Stahlunternehmen JSW Steel Limited Pläne zur Aufnahme von Aktivitäten in der Region. Der lokale Widerstand gegen das Vorhaben nimmt angesichts der laufenden Bauarbeiten an einer Grenzmauer für das neue Projekt zu, ohne dass Fragen der Waldnutzung und Ansprüche auf das Land geregelt wurden. Lokale Aktivist_innen befürchten, dass die Festnahmen von Judhishtira Jena und Babula Samal unter Berufung auf alte Fälle aus der POSCO-Ära die ersten in einer Reihe taktischer Maßnahmen sind, um friedliche Proteste künftig zu unterdrücken.