Amnesty Journal Mexiko 21. Juli 2016

Yecenia Armenta: "Die Gerechtigkeit siegt doch"

Yecenia Armenta: "Die Gerechtigkeit siegt doch"

Briefe der Solidarität. Yecenia Armenta im Gefängnis während des Besuchs einer Amnesty-Delegation im Januar 2016

Die Mexikanerin Yecenia Armenta wurde von Polizisten festgenommen, vergewaltigt und unter Folter gezwungen, eine Straftat zu gestehen, die sie nicht begangen hat. Seit Juni ist sie wieder frei. Hunderttausende hatten sich während des Amnesty-Briefmarathons für sie eingesetzt.

Von Vera Dudik

Die Sommer waren am schlimmsten. Dann war es immer unerträglich heiß in der Zelle, 40 Grad und mehr. Atmen, denken, hoffen – alles fiel schwer. Doch dieser Sommer ist anders für Yecenia Armenta. Denn sie ist nach vier Jahren Haft endlich frei.

Im Juli 2012 war die Mexikanerin im Auto von der Polizei des Bundesstaates Sinaloa angehalten worden. Eigentlich wollte sie nur Verwandte zum Flughafen bringen. Stattdessen brachte man sie auf eine Polizeiwache, wo sie 15 Stunden lang gefoltert wurde. Man schlug auf sie ein, erdrosselte sie fast und vergewaltigte sie mehrfach. Sie sollte mit allen Mitteln gezwungen werden, zu gestehen, ihren Mann getötet zu haben.

"Sie sagten, sie würden meine Kinder holen, um sie zu vergewaltigen und in Stücke zu schneiden", erinnert sich die 39-Jährige. Mit verbundenen Augen muss­te sie ein "Geständnis" unterschreiben. "Ich habe nicht gelesen, was ich unterschrieb. Ich dachte, hier komme ich nicht mehr raus, nicht lebendig."

Sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist in Mexiko weit verbreitet. Amnesty hat mit 100 Frauen in mexikanischen Bundesgefängnissen über die Umstände ihrer Festnahme und Vernehmung gesprochen. Alle Frauen gaben an, sexualisierte Gewalt oder psychische Misshandlungen durch Sicherheitskräfte erfahren zu haben. 97 sagten, sie seien körperlichen Misshandlungen ausgesetzt gewesen. 72 berichteten, sie seien während ihrer Festnahme oder in den darauf folgenden Stunden sexuell missbraucht worden. 33 gaben an, sie seien vergewaltigt worden.

"Die unglaubliche Grausamkeit der Folter, die Yecenia Armenta erlitten hat, gehört zum alltäglichen Vorgehen der mexikanischen Polizei", sagt Erika Guevara Rosas, Leiterin der Amerika-Abteilung von Amnesty. Wie so oft wurden auch in Yecenia Armentas Fall die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen.

"Bevor das alles passiert ist, habe ich mich als ein wertvoller Teil der Gesellschaft gefühlt und es geliebt, mich um andere zu kümmern", sagt die Mexikanerin. Und auch während ihrer Zeit in Haft fand sie Wege, sich einzusetzen: Sie schloss sich einer Gruppe von Frauen an, die eine Kampagne mit dem Titel "Das Schweigen brechen" ins Leben gerufen hat und auf sexualisierte Gewalt und Folter in Mexiko aufmerksam machen will.

Doch auch andere Menschen erhoben ihre Stimme gegen die Ungerechtigkeit, die Yecenia Armenta widerfuhr: Während des Amnesty-Briefmarathons 2015 erhielt sie fast 8.000 Briefe und Karten aus der ganzen Welt, die ihr in den langen Stunden in der Zelle Mut gaben. Hunderttausende Briefe gingen bei den mexikanischen Behörden ein, in denen Menschen weltweit ihre Freilassung forderten.

Noch vor einem Jahr schrieb sie in ­einem Brief an Amnesty: "Ich glaube, viele Menschen werden sich in meiner Geschichte wiedererkennen. Amnesty hat mich vor Kurzem besucht und mir von anderen erzählt, die freigelassen wurden, weil weltweit Tausende von euch Solidarität gezeigt und Druck ausgeübt haben. Ich bin hoffnungsvoll und dankbar."

Am 7. Juni hatte das Bangen schließlich ein Ende: ein Richter im Norden ­Mexikos sprach Yecenia Armenta frei und ordnete ihre Entlassung aus der Haft an. "Ich möchte mich bei denen bedanken, die weiter kämpfen, die mit dieser wichtigen Arbeit, dem Kampf für die Rechte anderer Menschen, weitermachen. Manchmal braucht die Gerechtigkeit ­länger – aber irgendwann siegt sie doch", sagte Yecenia Armenta.

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