Amnesty Journal Deutschland 02. Juni 2023

Ungesunde Gemengelage

Kinder spielen unter freiem Himmel vor einem großen Zelt, Fußballtore, jemand hat seine Kapuze über den Kopf gezogen und beschäftigt sich mit einem Handy, im Hintergrund steht eine Gruppe von Menschen zusammen.

Traumatisierte Geflüchtete werden in Deutschland kaum psychotherapeutisch behandelt, eine umfassende Reform der Versorgung ist nötig.

Von Uta von Schrenk

Geflüchtete haben häufig Traumatisches erlebt, sei es im Herkunftsland durch Krieg, Folter oder andere Gewaltsituationen, sei es auf der Flucht selbst, in der Gewalt von Schleppern oder durch die erlebten Gefahren auf unsicheren Fluchtwegen wie etwa dem Mittelmeer. Wie viele der hier ankommenden Menschen traumatisiert sind, ist nicht genau zu beziffern – es gibt keine repräsentativen Daten. Verschiedene Studien zeigen jedoch, dass mindestens 30 Prozent der geflüchteten Menschen in Deutschland unter einer posttraumatischen Belastungsstörung oder depressiven Erkrankungen leiden. "Nicht alle Betroffenen benötigen eine Therapie, wenn ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen ansonsten stimmen", sagt Yukako Karato. "Aber es ist notwendig, dass jeder von ihnen die Möglichkeit hat, diagnostiziert zu werden und bei Bedarf Zugang zu einer Behandlung erhält." Karato ist Referentin bei der Bundesarbeitsgemeinschaft psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF), die ­Betroffene unterstützen.

Im Jahr 2021 gab es rund 1,9 Millionen Geflüchtete in Deutschland. Die BAfF geht aufgrund dieser Zahl von mindestens 500.0000 Menschen aus, die einen psychosozialen Bedarf haben – konservativ gerechnet. "In unseren Zentren können im Jahr rund 20.000 Klient*innen behandelt werden. Knapp 2.000 Personen konnten 2021 an niedergelassene Psychotherapeut*innen, Kliniken oder andere Beratungsstellen weitervermittelt werden. An diesen Zahlen sieht man schon, dass die Lage dramatisch ist", sagt Karato. Die Versorgungsquote hätte demnach im Jahr 2021 bei 4,1 Prozent gelegen.

Wie kann jemand in ­einer Sammelunterkunft zur Ruhe kommen, wenn er weder eine Ausbildung machen noch einer Arbeit nachgehen kann, sich das Asylverfahren über Monate oder Jahre zieht und die Gefahr besteht, morgen abgeschoben zu werden?

Yukako
Karato
Referentin bei der BAfF

Die psychosoziale Unterversorgung geflüchteter Menschen hat mehrere Ursachen. Seit der Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes im Jahr 1993 besteht in den ersten 18 Monaten nach der Ankunft nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen Anspruch auf medizinische Behandlung. Zwar lässt das Asylbewerberleistungsgesetz auch psychotherapeutische Leistungen zu, doch wird der BAfF zufolge von dieser Kann-Regelung kaum Gebrauch gemacht. Und selbst nach der 18-Monatsfrist gebe es zu hohe Hürden für eine angemessene Versorgung – unter anderem lange Wartezeiten auf einen Therapieplatz, Sprachbarrieren sowie Ausbildungsdefizite der Psychotherapeut*innen hinsichtlich Psychotraumata, Migration und Flucht sowie interkultureller Kompetenzen. "Die Situation lässt sich nur verbessern, wenn geflüchtete Menschen regulär in das Krankenversicherungssystem übernommen werden, wenn Flucht und Trauma Teil der Ausbildung werden und Sprachmittlung im Gesundheitssystem finanziert wird", sagt BAfF-Referentin Karato.

Bleiben jedoch die Lebensbedingungen für Geflüchtete in Deutschland. Auch diese seien eine psychische Belastung, kritisiert Karato: "Wie kann jemand in ­einer Sammelunterkunft zur Ruhe kommen, wenn er weder eine Ausbildung machen noch einer Arbeit nachgehen kann, sich das Asylverfahren über Monate oder Jahre zieht und die Gefahr besteht, morgen abgeschoben zu werden?"

Uta von Schrenk ist Redakteurin des Amnesty Journals.

Mehr Info zur BAfF und Spendenmöglichkeiten finden Sie hier: www.baff-zentren.org

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