Aktuell 16. Dezember 2016

"Ich wusste, ich bin nicht allein"

Interview mit Fred Bauma
"Ich wusste, ich bin nicht allein"

Fred Bauma, Demokratieaktivist aus der Demokratischen Republik Kongo, vor Plakaten des Briefmarathons 2016 in Berlin    

Fred Bauma, 26, ist Mitglied der zivilgesellschaftlichen Bewegung "Lucha" in der Demokratischen Republik Kongo und eine der wichtigsten demokratischen Stimmen im Land. Als er für seinen friedlichen Einsatz im Jahr 2015 in Haft kam, setzte sich Amnesty International im Rahmen des Briefmarathons für ihn ein. Im Interview spricht er über die aktuelle politische Lage im Kongo, die Rolle der Zivilgesellschaft und die Bedeutung internationaler Solidarität für seine Menschenrechtsarbeit.

Fragen: Ralf Rebmann

Am 19. Dezember 2016 endet die Amtszeit des derzeitigen kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila, der sich jedoch weigert, seine Macht abzugeben. Wie ist die Stimmung im Land? Eigentlich hätten bereits am 27. November 2016 Präsidentschaftswahlen stattfinden sollen. Die kongolesische Regierung hat jedoch alles getan hat, um sie zu verhindern. Die Verfassung sieht maximal zwei Amtszeiten für den Präsidenten vor. Joseph Kabila hätte laut Verfassung also gar nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren dürfen. Niemand weiß, wie sich die Situation entwickeln wird. Wir wissen nur, dass es ohne Wahlen nach dem 19. Dezember keine legitime Regierung mehr gibt.

Befürchten Sie, dass es in den kommenden Wochen zu Demonstrationen und Repressionen durch Sicherheitskräfte kommen wird? Ja, eine Eskalation der Situation ist möglich. Schon seit Monaten versucht die Regierung alle Stimmen, die sich für Wahlen aussprechen, zum Schweigen zu bringen. Aktivistinnen und Aktivisten, die sich gegen Kabila und eine dritte Amtszeit seiner Regierung wenden, werden festgenommen und inhaftiert. Viele erhalten Todesdrohungen. Ich befürchte, dass es zu Gewalt von Sicherheitskräften kommen wird, wie bereits im September dieses Jahres, als 50 Personen getötet wurden. All das könnte verhindert werden, wenn Joseph Kabila seinen Rücktritt erklärt. Ich befürchte außerdem, dass es zu einer Eskalation unter den bewaffneten Gruppen im Osten des Landes kommt.

Eine der größten zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich friedlich für einen Wandel einsetzt, ist "Lucha". Welche Ziele verfolgen Sie mit der Initiative? Die Bewegung wurde 2012 in Goma von Jugendlichen gegründet, die sich mit der damaligen sozialen Situation nicht abfinden wollten: mit der Armut, den bewaffneten Gruppierungen, dem fehlenden Zugang zu Grundbedürfnissen wie Wasser. Wir haben schnell gemerkt, dass die sozialen Probleme mit politischen Entscheidungen und der Regierungsführung zusammenhängen. Also haben wir damit angefangen, Menschen über ihre demokratischen Einflussmöglichkeiten aufzuklären. Wir wollen sie dafür sensibilisieren, dass sie ihre Regierung mit demokratischen und friedlichen Mitteln zur Verantwortung ziehen können. Demokratie funktioniert nur, wenn wir aktiv sind und uns einbringen.

Was motiviert Sie, sich für Menschenrechte einzusetzen? Ich bin in Goma geboren, also in einer Region, die von gewalttätigen Konflikten geprägt ist. Den Kreislauf der Gewalt und die soziale Ungerechtigkeit wollte ich nicht akzeptieren. Ich habe gemerkt, dass wir mit "Lucha" eine Bewegung schaffen können, um die Situation zu verändern. Es gibt noch ein anderen Grund: Als Jugendliche haben wir unsere Eltern gefragt, wieso wir in einer solchen Situation leben und was sie dafür getan haben, um eine bessere Zukunft zu schaffen. Sollten meine Kinder oder andere junge Leute mich in der Zukunft das Gleiche fragen, will ich eine Antwort darauf haben. Zumindest will ich ihnen sagen können: Wir haben es versucht.

Für Ihren Einsatz und die Kritik an der Regierung wurden Sie im März 2015 mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten festgenommen und für 17 Monate inhaftiert. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit? Eine solche Erfahrung wünsche ich niemandem. In den ersten 50 Tagen der Haft war ich in einem Gefängnis untergebracht, das sich 2000 Kilometer entfernt von meinem Heimatort befand. Ich hatte keinen Kontakt zur Außenwelt und bekam keine Besuche von einem Anwalt oder meinen Eltern. Die psychologische Folter war schwer auszuhalten. Erst nach diesen 50 Tagen wurde ich in ein größeres Gefängnis verlegt, in dem ich die restlichen 15 Monate verbrachte. Dort waren auch andere politische Gefangene untergebracht, die mir halfen, diese Zeit im Gefängnis zu überleben.

Amnesty International und andere Gruppen haben sich nach ihrer Festnahme schon bald für Sie und Ihren Kollegen Yves Makwambala eingesetzt. Haben Sie in Haft etwas davon bemerkt? Erst als ich in das größere Gefängnis verlegt wurde, habe ich erfahren, dass es eine große internationale Bewegung gab, die unsere Inhaftierungen kritisierte. Vielleicht war dieser öffentliche Druck auch der Grund dafür, wieso ich überhaupt verlegt wurde. Die Sicherheitskräfte im ersten Gefängnis haben sich irgendwann gewundert und mich gefragt: Wer bist du? Wieso reden so viele Menschen über dich? Ich glaube auch, dass diese Öffentlichkeit sie von bestimmten Schikanen abgehalten hat. Irgendwann habe ich die Briefe von Amnesty-Mitgliedern und andere NGOs erhalten - eine schöne Erfahrung, die mir Hoffnung machte. Denn ich wusste, ich bin nicht allein. Ich kann nur betonen, wie wichtig diese Unterstützung für Menschen ist, die Ungerechtigkeit erfahren und eine solche schwierige Situation durchstehen müssen.

Sie wurden am 29. August 2016 freigelassen, die Anklage besteht jedoch weiter. Wie kann die deutsche Bundesregierung in dieser Situation Ihre Arbeit und die von anderen Menschenrechtsverteidigern im Kongo unterstützen? Ein erster Schritt wäre es, Präsident Kabila dazu aufzurufen, nach dem Ende seiner Amtszeit abzutreten. Nur so kann der Weg für ein demokratisches System geöffnet werden. Die deutsche Regierung könnte mehr Druck ausüben, damit Übergriffe auf zivilgesellschaftliche Initiativen im Kongo beendet werden. Gerade jetzt sind viele Aktivistinnen und Aktivisten Menschenrechtsverletzungen von Seiten der Sicherheitskräfte ausgeliefert. Die Unterstützung der Zivilgesellschaft, der Respekt für Menschenrechte und Demokratie sind Forderungen eines Großteils der Bevölkerung – dafür sollte sie sich stark machen.

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