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2. Amnesty-Menschenrechtspreis für Eren Keskin aus der Türkei
Menschenrechtspreisträgerin Eren Keskin im Juni 2001
© Amnesty International
Die türkische Rechtsanwältin Eren Keskin wurde bei der Gala zum 40-jährigen Jubiläum mit dem Menschenrechtspreis der deutschen Amnesty Sektion ausgezeichnet. Wir dokumentieren die Laudatio von Roger Willemsen in leicht gekürzter Form.
In der Politik gibt es drei Formen der rhetorischen Annäherung an ein Problem. Entweder es wird "verhandelt", dann ist ein Resultat zu erwarten, oder es wird "diskutiert", dann ist erstmal kein Resultat zu erwarten, oder es wird "angesprochen", dann ist kategorisch gewährleistet, dass es zu keinem Resultat kommen wird! Menschenrechtsfragen existieren politisch überhaupt nur als "angesprochene" Probleme.
Wer immer in den letzten Jahren für die Regierung dieses Landes nach China, in die Türkei oder nach Indonesien gereist ist, kehrte zurück und berichtete pflichtschuldigst, er habe "Menschenrechtsfragen" angesprochen, und zwar am liebsten, wie Klaus Kinkel es ehemals formulierte, auf "nicht-konfrontative Weise". Folter ist eine Konfrontation, die mit solchen Worten nicht beschrieben werden kann, und so erfahren wir auch sicherheitshalber nie, in welchen Worten, mit welchen Resultaten das Skandalon der Folter verhandelt wurde.
Gleichzeitig aber haben wir auch noch nie gehört, dieses Ansprechen habe irgendeinem Beteiligten die Geschäfte verdorben. Chinas Spitzenreiterposition bei der Vollstreckung der Todesstrafe stört kein Transrapid-Geschäft, und die erste Amtshandlung des ehemaligen Außenministers Klaus Kinkel war es, einer Lieferung von NVA-Panzern an die Türkei zuzustimmen. Die beschoss mit den Waffen die Kurden, die sich darauf vermehrt um Asyl in Deutschland bemühten und hier auf die Straßen gingen. Man nannte sie bald "gewaltbereite Kurden" und Kinkel formulierte, man müsse die Ursachen der Zuwanderung im Heimatland bekämpfen. Die Wahrheit ist: Er selbst hatte die Ursache schaffen helfen.
Anders gesagt: Von der Politik ist in Menschenrechtsfragen wenig zu erwarten, wenig im Vergleich zum Grauen, das Menschenrechtsverletzungen darstellen. Weil das so ist, konzentrieren sich unser Vertrauen und unsere Unterstützung auf Amnesty International und Amnesty wiederum sucht und unterstützt überzeugende und couragierte Individuen und Gruppen in den Ländern, Menschenrechtsverteidiger aller Nationen. Eine symbolische Würdigung ihrer Arbeit ist die Verleihung des seit 1998 vergebenen Menschenrechtspreises.
Er geht in diesem Jahr an eine Frau von außergewöhnlichem Mut, unerschütterlicher Energie und selbstloser Verpflichtung für die Sache Humanität, an die türkische Rechtsanwältin und Menschenrechtsverteidigerin Eren Keskin. Sie war stellvertretende Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins IHD, ist seit September 1998 Vorsitzende der Zweigstelle in Istanbul, ist Mitbegründerin eines Rechtshilfeprojektes für Frauen, die von türkischen Sicherheitskräften vergewaltigt oder sexuell missbraucht wurden.
Im September 1994 wurde sie zu zwei Jahren Haft verurteilt, weil sie in einem Brief an das belgische Parlament das Schweigen der internationalen Öffentlichkeit zu den Menschenrechtsverletzungen an Kurden kritisiert und dabei das Wort "Kurdistan" benutzt hatte. Inzwischen laufen gegen Eren Keskin mehr als 70 Verfahren, da sie als Vorsitzende des IHD Istanbul für die Presseerklärungen des Vereins rechtlich verantwortlich ist. Zahllose Male ist sie bedroht, eingeschüchtert, verhört worden, hat mehrfach im Gefängnis gesessen, und seit der Aufnahme ihrer humanitären Arbeit im Jahre 1984 fast permanent bedroht gelebt, was noch erheblich zunahm, nachdem sie Abdullah Öcalan, den Führer der bewaffneten Oppositionsgruppe "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), 1999 vor Gericht vertreten hatte. Eines der augenblicklich gegen Eren Keskin anhängigen Strafverfahren bezichtigt sie der Beleidigung der Armee, weil sie in einem Interview der Wochenzeitschrift "Cuma" Kritik am "Militarismus der Türkei" geäußert hatte.
Amnesty International hat die türkische Regierung aufgefordert, die Rechte der Menschenrechtsverteidiger anzuerkennen und entsprechend der von den Vereinten Nationen verabschiedeten Erklärung ihren Schutz sicher zu stellen. Durch die Verleihung des Menschenrechtspreises 2001 an Eren Keskin würdigt Amnesty-Deutschland ihren hohen persönlichen Einsatz für die Durchsetzung der Menschenrechte, ihre vorbildhafte Zivilcourage, die Leidenschaft, mit der sie die Sache der Opfer zu ihrer eigenen Sache macht und die Kompromisslosigkeit, mit der sie einer Praxis der Humanität in der Türkei zur Durchsetzung zu helfen sucht.
Bei aller notwendigen Klage über Staatsverbrechen in der Türkei, sei zuletzt trotzdem ausdrücklich angemerkt, dass dieser Preis für eine große Kritikerin der Türkei nicht Ausdruck von Missbilligung des Landes ist, sondern im Gegenteil Ausdruck der Liebe zu ihren Menschen und ihren freiheitlichen Möglichkeiten.
40 Jahre Amnesty International - Ein Fest für die Menschenrechte Unterhaltung und Menschenrechte: Geht das überhaupt zusammen? Das war vor der Gala am 27. Mai im Hamburger "Schmidts Tivoli" die bange Frage. Es geht und sogar sehr gut - war am Schluss die einhellige Meinung aller Anwesenden.
Es war ein Abend, an dem musikalische Beiträge von engagierten Künstlern die Gespräche mit Menschenrechtlern in gelungener Weise umrahmten. Das gab den Gästen Gelegenheit, das Gehörte zu verarbeiten. Besonders die eindrücklichen Schilderungen des liberianischen Menschenrechtlers James Torh und der türkischen Rechtsanwältin Eren Keskin machten die Zuschauer nachdenklich.
James Torh wurde wegen seines Einsatzes für die Rechte anderer von Militärs mit dem Tod bedroht. Eren Keskin berichtete von den Morddrohungen, die sie und andere Menschenrechtler in jüngster Zeit erhalten hatten. Sie betonte die wichtige Rolle, die die Öffentlichkeit beim Schutz von Menschenrechtsverteidigern spielt:
"Ich engagiere mich seit zehn Jahren für die Menschenrechte, aber erst nachdem Amnesty International eine Eilaktion für mich gestartet hat, haben die türkischen Behörden mir und meinen Kollegen zum ersten Mal Schutz angeboten."
Den Menschenrechtspreis 2001 der deutschen Sektion von Amnesty international, der ihr an diesem Abend verliehen wurde, bezeichnete sie als: "den wichtigsten Preis in meinem Leben". Gerade Auszeichnungen seien für Menschenrechtsverteidiger ein lebenswichtiger Schutz, erklärte sie in ihrer Dankesrede.