USA: Drohende Hinrichtung trotz psychischer Erkrankung

Soll in den USA hingerichtet werden: Johnny Johnson.
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Johnny Johnson soll am 1. August im US-Bundesstaat Missouri hingerichtet werden, obwohl er an schweren psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie und schizoaffektiver Störung leidet. Er wurde 2005 wegen des Mordes an einem sechsjährigen Mädchen zum Tode verurteilt. Seine Rechtsbeistände haben ein neuropsychiatrisches Gutachten vorgelegt, nach dem ihr Mandant die Gründe für seine Strafe nicht rational erfassen kann. Das Völkerrecht verbietet die Hinrichtung von Personen, die schwere geistige Behinderungen aufweisen und die Gründe für ihre Bestrafung nur eingeschränkt begreifen können.
Appell an
Gouverneur von Missouri
Michael L. Parson
P.O. Box 720
Jefferson City
MO 65102,
USA
Sende eine Kopie an
Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika
I. E. Frau Amy Gutmann
Clayallee 170
14195 Berlin
Fax: 030-83 05 10 50
E-Mail: feedback@usembassy.de
Amnesty fordert:
- Die von Johnny Johnson begangene Tat ist zweifellos eine schwere Straftat und ich möchte ihre Ernsthaftigkeit und das verursachte Leid keinesfalls herunterspielen. Ich möchte Sie jedoch bitten, ihn zu begnadigen und sein Todesurteil in eine Haftstrafe umzuwandeln.
Sachlage
Johnny Johnson soll am 1. August um 18.00 Uhr Ortszeit im US-Bundesstaat Missouri hingerichtet werden. Er war Anfang 2005 wegen Mordes an einem sechsjährigen Mädchen im Jahr 2002 zum Tode verurteilt worden.
Johnny Johnson leidet seit seiner Kindheit an schweren geistigen (psychosozialen) Behinderungen, die mit psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie, schizoaffektiver Störung und schwerer Depression einhergehen. Zur Tatzeit befand er sich wegen Schizophrenie in Behandlung, und seit seiner Festnahme wird er weiterhin wegen dieser Erkrankungen behandelt. Bei seiner Gerichtsverhandlung Anfang 2005 stellte sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung fest, dass der Angeklagte an schizoaffektiver Störung litt. Die Verteidigung plädierte auf Schuldunfähigkeit und machte geltend, dass ihr Mandant aufgrund seiner geistigen Einschränkungen zum Tatzeitpunkt nicht in der Lage gewesen sei, wohlüberlegt zu handeln, und eine Mordanklage daher unangemessen sei. Die Staatsanwaltschaft führte hingegen an, dass Johnny Johnson diese Fähigkeit zur Tatzeit sehr wohl besaß, und stützte sich auf ein Sachverständigengutachten, das jegliche Halluzinationen des Angeklagten zum Tatzeitpunkt auf den Konsum von Methamphetaminen und nicht auf eine Psychose zurückführte. Johnny Johnson wurde in diesem Verfahren wegen Mordes zum Tode verurteilt. Zudem erhielt er eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Entführung und versuchter Vergewaltigung des Mädchens.
In der Rechtssache Ford gegen Wainwright aus dem Jahr 1986 bestätigte der Oberste Gerichtshof der USA, dass die Hinrichtung von "unzurechnungsfähigen" Menschen gegen die US-Verfassung verstößt. Im Jahr 2007 stellte der Gerichtshof in der Rechtssache Panetti gegen Quarterman klar, dass diese Definition auch auf Menschen zutrifft, deren "Geisteszustand derart von einer psychischen Erkrankungen vereinnahmt" ist, dass sie "die Gründe des Staates für ihre Hinrichtung nicht rational erfassen können". Anfang 2023 kam ein von der Verteidigung bestellter neuropsychiatrischer Sachverständiger zu dem Schluss, dass es gemäß dieser Rechtslage nicht verfassungsmäßig sei, Johnny Johnson hinzurichten. Denn obwohl ihm bewusst sei, dass er wegen Mordes zum Tode verurteilt wurde, könne er den Zusammenhang zwischen der Straftat und seiner Bestrafung nicht rational erfassen und glaube stattdessen, dass Satan den Bundesstaat dafür einsetze, ihn hinzurichten, um so das Ende der Welt herbeizuführen.
Dennoch urteilte der Oberste Gerichtshof von Missouri, dass die Hinrichtung von Johnny Johnson verfassungsmäßig sei.
Die 13 Hinrichtungen, die bisher im Jahr 2023 in den USA vollzogen wurden, entfallen auf nur vier Bundesstaaten: Texas (5), Florida (4), Missouri (3) und Oklahoma (1). Diese vier Bundesstaaten allein sind verantwortlich für 57% aller Hinrichtungen, die in den USA seit 1976 vollzogen worden sind.
Hintergrundinformation
Johnny Johnson litt während seiner Kindheit an Entwicklungsstörungen und wurde mit 14 Jahren erstmals in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Dort wurde festgestellt, dass er bereits sechs Monate lang über Suizid nachgedacht hatte. Noch bevor er 18 Jahre alt war, hatte man ihn bereits vier Mal wegen Suizidgedanken und Suizidversuchen in psychiatrische Obhut gegeben und bei ihm unter anderem schwere Depressionen diagnostiziert. Im Jahr 1996, im Alter von 18 Jahren, wies Johnny Johnson sich selbst in eine medizinische Einrichtung ein. Dort gab er an, einen Bewusstseinsverlust erfahren zu haben, und dass er Stimmen höre und seine gestorbenen Freunde sehe, die ihn aufforderten, sich etwas anzutun. Er wurde mit schwerer Depression und einer psychotischen Störung diagnostiziert.
Zwischen dem Alter von 18 und 25 (als er zum Tode verurteilt wurde) kam er weiterhin regelmäßig in psychiatrische Behandlung. Zu seinen Diagnosen zählten Schizophrenie, paranoide Schizophrenie, schizoaffektive Störung, schwere depressive Erkrankung, unterdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten und Abhängigkeit von mehreren Substanzen. Anfang 2002 wurde bei ihm paranoide Schizophrenie festgestellt, woraufhin ein Behandlungsplan erstellt wurde. Im Juni 2002 nahm er einige Termine zur psychiatrischen Behandlung nicht wahr. Ihm wurde zudem ein*e Sozialarbeiter*in zugewiesen, doch ab dem 28. Juni 2002 erschien er nicht mehr zu den Treffen. Knapp einen Monat später, am Morgen des 26. Juli, verschwand ein sechsjähriges Mädchen. Johnny Johnson war am Vormittag mit ihr gesehen worden. Der damals 24-Jährige wurde festgenommen, gestand, sie getötet zu haben, und gab der Polizei Informationen über den Verbleib der Leiche.
Nach seiner Verurteilung und seiner Inhaftierung im Todestrakt im Jahr 2005 hatte Johnny Johnson laut der medizinischen Unterlagen des Gefängnisses weiterhin Symptome wie z. B. akustische Halluzinationen, erhielt Medikamente und wurde häufig zur Suizidprävention überwacht. Im Februar 2023 kam ein von den Rechtsbeiständen von Johnny Johnson bestellter neuropsychiatrischer Sachverständiger zu dem Schluss, dass es nicht verfassungsmäßig sei, Johnny Johnson hinzurichten: "Mr. Johnson ist bewusst, dass er sich im Todestrakt befindet und wegen Mordes verurteilt wurde. Allerdings kann er den Zusammenhang zwischen seiner Tat und der Bestrafung rational nicht erfassen. Er glaubt, dass Satan den Bundesstaat Missouri 'einsetzt', um ihn hinzurichten und so das Ende der Welt herbeizuführen. Die Stimme Satans habe ihm diesen Plan bestätigt... Seine Überzeugung, den Plan abzuwenden, indem er in die Köpfe des Richters und der Rechtsbeistände eindringt, um sie von seiner Hinrichtung abzuhalten, ist ebenso irrational und wahnhaft wie sein Glaube, dass die Geister der Unterwelt die Hinrichtung abwenden können. Er weist wahnhafte Überzeugungen hinsichtlich seiner Sterblichkeit auf und räumt zwar ein, zu 'glauben', durch die Giftspritze zu sterben, hat jedoch auch angegeben, ein Vampir zu sein und die Möglichkeit zu haben, seine Organe zu 'reanimieren' und durch Lernen des korrekten 'Codes' in die Seele eines Tieres eindringen zu können, um nach der Hinrichtung weiterleben zu können. Dies zeigt, dass er die Endgültigkeit seiner Bestrafung rational nicht erfassen kann. Mr. Johnson ist trotz Behandlung mit angemessenen und erheblichen Mengen starker Antipsychotika nach wie vor sehr psychotisch. Er leidet an stark beeinträchtigenden halluzinatorischen und wahnhaften Vorfällen. Seine Ansichten bezüglich der Gründe für seine Hinrichtung entstammen wahnhaftem Gedankengut und sind das Produkt einer schweren psychotischen Erkrankung und eines kognitiv beeinträchtigten Gehirns."
Die Behörden haben eine eidesstattliche Erklärung des Leiters der Abteilung für geistige Gesundheit des Potosi Correctional Center (der Hafteinrichtung für Todeskandidat*innen in Missouri) vorgelegt. Darin heißt es, dass Johnny Johnson "die Bedeutung seiner anstehenden Hinrichtung zu begreifen scheint". Am 8. Juni 2023 weigerte sich der Oberste Gerichtshof von Missouri, die Hinrichtung auszusetzen. Die Rechtsbeistände von Johnny Johnson haben sich nun an die Bundesgerichte gewandt, um einen Hinrichtungsaufschub und eine Anhörung zu erwirken. Der Bundesstaat Missouri ist der Ansicht, dass die Hinrichtung ohne eine erneute Anhörung vollzogen werden sollte.
Die Hinrichtung von Personen, die die Gründe bzw. die Realität ihrer Exekution nicht rational erfassen können, verstößt gemäß eines Urteils des Obersten Gerichtshofs von 1986 gegen die US-Verfassung. Im Jahr 2007 stellte der Oberste Gerichtshof zudem klar, dass "es nicht dasselbe ist, ob [einer Person] die [behördliche] Begründung für eine Hinrichtung bewusst ist oder ob sie diese rational erfassen kann." Internationale Menschenrechtsnormen verbieten die Verhängung von Todesurteilen gegen Menschen mit psychosozialen und geistigen Behinderungen. Der UN-Menschenrechtsausschuss, der die Umsetzung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte überwacht (welcher 1992 durch die USA ratifiziert wurde), gibt vor, dass Vertragsstaaten "Personen mit verminderter Kapazität zum Begreifen der Gründe für ihre Bestrafung nicht hinrichten" dürfen.
Im Gefängnis hatte Johnny Johnson weiterhin einschlägige Symptome wie z. B. Halluzinationen und Paranoia, weshalb ihm Medikamente verabreicht wurden und er zur Suizidprävention überwacht wurde. Im November 2003 stellte ein gerichtlich in Auftrag gegebenes Gutachten fest, dass er verhandlungsfähig sei. Bei ihm wurde eine wiederkehrende schwere depressive Erkrankung mit psychotischen Elementen in Teilremission festgestellt sowie Abhängigkeit von mehreren Substanzen, antisoziale Persönlichkeitsstörung und unterdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten (bei einem Intelligenzquotienten von 70). In Gefängnisunterlagen vom Februar 2004 heißt es: "Symptome von Psychose und Depression. Durchläuft regelmäßig Stimmungsschwankungen, Gefühle der Unwirklichkeit, akustische/visuelle Halluzinationen und Gefühle von Paranoia."