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Verschwinden zweier Männer muss aufgeklärt werden
Mustafa Yılmaz und Gökhan Türkmen: Beide verschwanden im Februar 2019. Die türkischen Behörden haben inzwischen mitgeteilt, wo sie sich befinden.
© Privat
Gökhan Türkmen und Mustafa Yılmaz werden seit dem 7. bzw. 19. Februar 2019 vermisst. Vermutlich wurden sie verschleppt und sind dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen. Die Behörden streiten bislang ab, dass sie sich in ihrem Gewahrsam befinden. Am 29. Juli tauchten vier andere Männer wieder auf, die etwa zur selben Zeit verschwunden waren – sie sind bei der Antiterrorabteilung des Polizeipräsidiums in Ankara inhaftiert.
Appell an
Abdülhamit Gül
Minister of Justice
Adalet Bakanligi
06659 Ankara
TÜRKEI
Sende eine Kopie an
Botschaft der Republik Türkei
S. E. Herrn Ali Kemal Aydin
Tiergartenstr. 19-21
10785 Berlin
Fax: 030-275 90 915
E-Mail: botschaft.berlin@mfa.gov.tr
Amnesty fordert:
- Ich fordere Sie auf, sicherzustellen, dass umgehend eine unabhängige und unparteiische Untersuchung durchgeführt wird, um den Aufenthaltsort und das Wohlergehen von Mustafa Yılmaz und Gökhan Türkmen festzustellen, ebenso wie die Umstände ihres Verschwindenlassens, mit dem Ziel, die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen.
Sachlage
Am 7. und 19. Februar verschwanden jeweils Gökhan Türkmen in Antalya und Mustafa Yılmaz in Ankara. Die Familien haben seither keinerlei Kontakt mit den Männern aufnehmen können, obwohl sie sich zu diesem Zweck in jeder möglichen Weise an die Behörden gewandt hatten. Die Sorge um das Wohlergehen der beiden nahm zu, als am 29. Juli bekannt wurde, dass vier zur selben Zeit verschwundene Männer in Haft der Antiterrorabteilung des Polizeipräsidiums in Ankara wieder aufgetaucht waren.
Die Angehörigen der beiden Männer haben stichhaltige Beweise dafür, dass die beiden verschleppt wurden. Die Behörden müssen umgehend eine Untersuchung durchführen, um den Verbleib von Gökhan Türkmen und Mustafa Yılmaz festzustellen und ihre Familien darüber zu informieren.
Hintergrundinformation
Mustafa Yılmaz ist Physiotherapeut und war nach dem Putschversuch im Juli 2016 durch einen Präsidialerlass entlassen worden. Er wurde im Oktober 2018 in Untersuchungshaft genommen, strafrechtlich verfolgt und dann am 8. Januar 2019 der "Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrorgruppe" für schuldig befunden. Mustafa Yılmaz legte Rechtsmittel ein. Er kam bis zur Verhandlung seines Rechtsmittels auf freien Fuß und kehrte zu seiner Arbeit als Physiotherapeut zurück. Am 19. Februar verließ er in Ankara morgens das Haus, um zur Arbeit zu gehen. Seither fehlt jede Spur von ihm. Die Bemühungen seiner Frau, seinen Aufenthaltsort festzustellen, waren bislang erfolglos. Und das, obwohl es viele Informationen, darunter auch Aufnahmen von Überwachungskameras gibt, auf denen offenbar zu sehen ist, wie Unbekannte Mustafa Yılmaz schlagen, eine weiße Tüte über seinen Kopf ziehen und ihn gegen seinen Willen mitnehmen – vermutlich in einem schwarzen VW-Transporter.
Gökhan Türkmen ist Beamter und wurde nach dem Putschversuch 2016 ebenfalls unter den Befugnissen des Ausnahmezustands entlassen. Er hatte bis dahin als Experte bei der Behörde für Landwirtschaft und Unterstützung der ländlichen Entwicklung gearbeitet. Im August 2016 durchsuchte bewaffnete Polizei den Wohnort von Gökhan Türkmen im Zusammenhang mit einer Untersuchung wegen "Aufbau und Führung einer bewaffneten Terrororganisation". Gökhan Türkmen war zum Zeitpunkt der Durchsuchung nicht zuhause und stellte sich auch anschließend nicht den Behörden. Zur Zeit seines Verschwindens war er bereits seit fast drei Jahren auf der Flucht und hatte nur unregelmäßigen Kontakt zu seinen Eltern. Zuletzt sah ihn seine Mutter in der Provinz Antalya im Süden der Türkei am 7. Februar 2019, als er sich einen Roller auslieh und sagte, dass er später zurückkomme. Am nächsten Tag fand sein Vater den Roller in einer nahegelegenen Straße. Am 12. Februar erstattete er eine Vermisstenanzeige.
Am 29. Juli gaben die Behörden bekannt, dass Salim Zeybek, Yasin Ugan, Özgür Kaya und Erkan Irmak, die ebenfalls im Februar aus Istanbul, Ankara und Edirne verschwunden waren, bei der Antiterrorabteilung des Polizeipräsidiums in Ankara festgehalten würden. Sie durften nur ganz kurz und in Anwesenheit von Polizist_innen ihre Ehefrauen sehen. Das Recht auf Rechtsbeistand wurde ihnen rechtswidrig verweigert. Ihre Familien berichten, dass sie Gewicht verloren hatten und sehr blass und nervös waren. Sie sollen nicht darüber gesprochen haben, was mit ihnen in den fast sechs Monaten geschehen ist, in denen sie verschwunden waren. Am 10. August 2019, nach 12 Tagen in Polizeigewahrsam, wurden die Männer in Untersuchungshaft genommen; beim Verfassen dieser Urgent Action waren die Gründe für die Untersuchungshaft nicht bekannt.
Die Geschichte der Türkei weist Hunderte Fälle von Verschwindenlassen in den 1980er- und 1990er-Jahren auf. In den vergangenen Jahren gab es zwar kaum Fälle von Verschwindenlassen, doch Human Rights Watch hat für 2017 die Fälle von mindestens vier Männern dokumentiert.
Vom Verschwindenlassen betroffen sind Personen die nach einer Festnahme, Entführung oder jeder anderen Form der Freiheitsberaubung durch Bedienstete des Staates oder durch Personen oder Personengruppen, die mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates handeln, nicht mehr auftauchen; gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen, oder der Verschleierung des Schicksals oder des Verbleibs der verschwundenen Person. Dadurch wird sie dem Schutz des Gesetzes entzogen. Manchmal begehen auch bewaffnete nichtstaatliche Akteure, z.B. bewaffnete Oppositionsgruppen, das Verbrechen des Verschwindenlassens. Dieses stellt immer ein Verbrechen nach dem Völkerrecht dar. Auch wenn die Türkei kein Vertragsstaat des Internationalen Übereinkommens zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen ist, so ist sie doch durch das Verbot des Verschwindenlassens unter dem Völkergewohnheitsrecht und anderen Menschenrechtsverträgen, deren Vertragsstaat sie ist – darunter der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte und die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – daran gebunden.