Schikanen gegen Zeugen Jehovas beenden!

Zeichnung von Symbolen der Religionen Christentum, Islam, Judentum und Hinduismus

Die Strafverfahren gegen die Zeugen Jehovas Artur Severinchik, Yevgeniy Fedin und Sergei Loginov unter den Extremismusgesetzen werden trotz ihrer Freilassung fortgesetzt. Die drei Männer werden strafverfolgt, weil sie ihr Recht auf Religionsfreiheit wahrgenommen haben. Nachdem auch Yevgeniy Fedin und Sergei Loginov am 11. April aus der Untersuchungshaft entlassen wurden, unterliegen die drei nun Beschränkungen der Reisefreiheit und weiterer Freiheiten. Die Behörden haben die Folter- und Misshandlungsvorwürfe der drei Zeugen Jehovas sowie weiterer Angehöriger dieser Glaubensgemeinschaft bislang nicht untersucht.

Appell an

Yuriy Yakovlevich Chaika

Prosecutor General’s Office

ul. B. Dmitrovka, d.15a

125993 Moscow GSP- 3

RUSSISCHE FÖDERATION

Sende eine Kopie an

Botschaft der Russischen Föderation

S. E. Herrn Sergei Nechaev

Unter den Linden 63-65, 10117 Berlin


Fax: 030 – 2299 397


E-Mail: info@russische-botschaft.de

Amnesty fordert:

  • Bitte stellen Sie die Strafverfahren gegen Artur Severinchik, Sergei Loginov und Yevgeniy Fedin sowie alle Strafverfahren gegen weitere Zeugen Jehovas in Russland ein, die sich auf die unbegründete Anklagen wegen Extremismus stützen.
  • Leiten Sie bitte umgehend eine zielführende und unparteiische Untersuchung der Folter- und Misshandlungsvorwürfe von Sergei Loginov, Artur Severinchik und Yevgeniy Fedin sowie anderen Mitgliedern der Zeugen Jehovas ein und stellen Sie die Verantwortlichen vor Gericht.

Sachlage

Die Zeugen Jehovas Artur Severinchik, Sergei Loginov und Yevgeniy Fedin werden nur deshalb strafverfolgt, weil sie ihr Recht auf Religionsfreiheit ausgeübt haben. Amnesty International begrüßt die Freilassungen von Artur Severinchik am 15. März und Sergei Loginov sowie Yevgeniy Fedin am 11. April. Gegen die drei Männer wird jedoch auf Basis unbegründeter Vorwürfe nach wie vor ermittelt und sie unterliegen einer Reihe von Beschränkungen, dazu zählen eine Ausgangssperre und ein Telefon- und Internetverbot.

Die Foltervorwürfe von mehreren Zeugen Jehovas nach den Hausdurchsuchungen bei Angehörigen der Glaubensgemeinschaft im Landkreis Surgut am 15. Februar sind bislang nicht wirksam untersucht worden. Mindestens sieben gaben an, im Gewahrsam gefoltert oder anderweitig misshandelt worden zu sein. Angehörige des Inlandsgeheimdienstes hätten auf diese Weise versucht, das "Geständnis" der Beteiligung an einer extremistischen Organisation zu erzwingen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Mitglieder der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas werden in Russland seit 2009 verfolgt und schikaniert. Damals befand ein Gericht in Rostow am Don, dem Verwaltungssitz der Oblast Rostow, dass die örtlich eingetragene religiöse Gemeinschaft der Zeugen Jehovas in Taganrog eine "extremistische Organisation" sei, und löste diese auf. 34 Publikationen der Glaubensgemeinschaft wurden als "extremistisch" eingestuft. In den darauffolgenden Jahren wurden zahlreiche Gemeinschaften der Zeugen Jehovas in ganz Russland per Gerichtsbeschluss als "extremistisch" deklariert. Diese Gerichtsentscheide stützten sich auf die vage gesetzliche Definition von "Extremismus", die zunehmend dazu verwendet wird, kritische Stimmen in Politik, Religion und anderen Bereichen zum Schweigen zu bringen. Im April 2017 urteilte der russische Oberste Gerichtshof, dass die zentrale Organisation der Zeugen Jehovas in Russland aufgelöst und ihr Eigentum konfisziert werden sollte. Damit wurden de facto auch alle Regionalverbände verboten. Seither werden alle Aktivitäten lokaler Gruppen der Zeugen Jehovas als Straftaten betrachtet.

Am Morgen des 15. Februar durchsuchten russische Ordnungskräfte in Surgut im Autonomen Kreis der Chanten und Mansen (Jugra) mindestens 20 Wohnungen von Mitgliedern der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Wenigstens 40 Personen, darunter auch Kinder, wurden festgenommen und in die Zentrale der Ermittlungsbehörde in Surgut gebracht. Dort wurden mindestens sieben der Inhaftierten von Angehörigen des Inlandsgeheimdiensts FSB geschlagen, getreten, gewürgt und mit Elektroschocks gefoltert. So wollte man sie zwingen, zu "gestehen", Mitglied einer "extremistischen Organisation" zu sein. Einige Betroffene berichteten, dass ihnen Vergewaltigung angedroht worden sei. Laut Angaben von Inhaftierten waren die Schreie der misshandelten Personen im gesamten Gebäude zu hören. Weder Beamt_innen noch Besucher_innen der Einrichtung (darunter vermutlich auch hinzugezogene Pflichtverteidiger_innen) protestierten gegen diese Behandlung oder versuchten, einzuschreiten.

Ein Mitglied der Zeugen Jehovas sagte Amnesty International, dass er während der Durchsuchung seiner Wohnung geschlagen und mit Folter bedroht wurde, und dass er beim Verhör eingeschüchtert und später misshandelt wurde. Er berichtete auch über Verstöße gegen die Verfahrensvorschriften. So wurde ihm beispielsweise der Zugang zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl verweigert.

Eingangs stritten die russischen Behörden die Folter- und Misshandlungsvorwürfe schlichtweg ab. Am 22. Februar jedoch kündigte die Ermittlungsbehörde an, eine Voruntersuchung zu den Folterberichten durchführen zu wollen. Doch soweit Amnesty International bekannt ist, hat die Voruntersuchung nicht zur Aufnahme offizieller Ermittlungen geführt. Bei zahlreichen anderen Fällen von Folter und anderen Misshandlungen, die Amnesty International und andere Menschenrechtsgruppen in Russland dokumentiert haben, führte die Voruntersuchung schnell zu dem Schluss, dass es keinen Anlass für umfassende Ermittlungen gäbe – auch bei Fällen, in denen stichhaltige Beweise für Folter und andere Misshandlungen durch die Betroffenen oder ihre Rechtsbeistände vorgelegt wurden.

Die russischen Behörden müssen das Recht auf Religionsfreiheit respektieren, schützen und gewährleisten, da es in der russischen Verfassung festgeschrieben ist und auch in Menschenrechtsverträgen verankert ist, deren Vertragsstaat Russland ist.

Am 26. Februar wies der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die russische Regierung an, umgehend eine medizinische Untersuchung von Sergei Loginov zu ermöglichen. Am 18. März schrieb die russische Regierung in einem Brief an den EGMR, dass Sergei Loginov von medizinischem Personal untersucht worden sei und dieses keinerlei Erkrankungen gefunden habe, die seiner weiteren Inhaftierung entgegenstünden. Das EGMR ließ die dringenden vorläufigen Maßnahmen am 20. März fallen, obwohl die Untersuchung von Sergei Loginov nicht viel mit der vom Rechtsbeistand geforderten unabhängigen medizinischen Untersuchung zu tun hatte. Seine Verteidiger_innen drängen nach wie vor auf eine zielführende Untersuchung seiner Foltervorwürfe.