COVID-19: Gewalt statt Unterstützung

Eine Gruppe von Menschen mit Mundschutz und Einkaufstüten in der Hand.

San Roque 21

Die Polizei in Quezon City hat eine friedliche Protestveranstaltung gewaltsam aufgelöst. Bewohner_innen der wegen der Corona-Pandemie abgeriegelten Stadt hatten kritisiert, dass sie seit Verhängung der Ausgangsbeschränkungen keine Lebensmittelpakete oder andere Hilfsgüter erhalten hatten. 21 Protestierende wurden festgenommen, inhaftiert und fünf Tage später auf Kaution entlassen. Die Anklagen bestehen weiterhin.

Appell an

PBGEN Ronnie S. Montejo

Director, Quezon City Police District

21 Makadios Street, Diliman

Quezon City, 1101

PHILIPPINEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Philippinen

I.E. Theresa Dizon-De Vega


Luisenstr. 16

10117 Berlin


Fax: 030-873 2551


E-Mail: info@philippine-embassy.de

Amnesty fordert:

  • Bitte lassen Sie alle Anklagen gegen die 21 Einwohner_innen von San Roque fallen. Die Anklagen widersprechen entweder dem Völkerrecht oder tragen Strafen, die für die betroffene Gruppe unverhältnismäßig sind.
  • Leiten Sie bitte unverzüglich eine unabhängige und unparteiische Untersuchung der Gewaltanwendung durch die Polizei ein. Die Gewaltanwendung könnte als Folter oder anderweitige Misshandlungen gelten. Bitte ermöglichen Sie den Verantwortlichen ein faires Gerichtsverfahren.
  • Stellen Sie bitte sicher, dass alle Bewohner_innen von San Roque unverzüglich angemessenen Zugang zu Nahrung, Medizin und anderer Grundversorgung haben und dazu befähigt und darin unterstützt werden, sich an die Quarantänemaßnahmen zu halten.

Sachlage

Am 1. April versammelten sich zahlreiche Einwohner_innen des Stadtteils San Roque von Quezon City an einer Straße, an der ein Privatunternehmen Hilfsgüter für Betroffene der COVID-19-Quarantäne ausgeben sollte. Als dies nicht geschah, entschieden sich die Anwesenden, friedlich zu protestieren und öffentliche Hilfsleistungen zu fordern. Die Polizei löste die friedliche Protestveranstaltung jedoch gewaltsam auf und nahm 21 Protestierende fest. Die Quarantäne war am 17. März als Maßnahme gegen die COVID-19-Pandemie verhängt worden. Seitdem ist Quezon City abgeriegelt und Millionen Menschen können ihren Lebensunterhalt nicht mehr verdienen.

Gemeindesprecher_innen berichteten, dass im Rahmen des Protests Anwohner_innen und unbeteiligte Dritte gewaltsam auseinandergetrieben wurden, wobei die Polizei Holzstöcke einsetzte. Dabei wurden auch ein unbeteiligter Mann und sein Kind verletzt, die sich zwar in der Nähe aufgehalten, aber nicht an der Protestveranstaltung teilgenommen hatten. 21 Personen wurden festgenommen, inhaftiert und nach fünf Tagen auf Kaution wieder freigelassen.

Doch angeklagt sind sie weiterhin: unter anderem wegen "rechtswidriger Versammlung" und "Nicht-Mitwirkung in einem Gesundheitsnotfall". Bei einer Verurteilung drohen ihnen Strafen von über 1,1 Mio. Philippinischen Pesos (ca. 19.800 Euro) pro Person und bis zu 20 Monate Haft. Dieses Strafmaß ist unverhältnismäßig und die Anklagen widersprechen zum Teil dem Völkerrecht. Amnesty International ruft alle Regierungen dazu auf, Menschen nicht zu inhaftieren, weil sie Gesundheitsvorschriften nicht einhalten. In der derzeitigen Situation sind Haftstrafen eine unverhältnismäßige Maßnahme.

Es ist alarmierend, dass die philippinischen Behörden mit Gewalt, Inhaftierungen und möglichen Strafen auf die Bitten der Anwohner_innen reagierten. Eine örtliche Gruppe hatte eine Gemeinschaftsküche aufgebaut, die die Nachbarschaft täglich mit Nahrung versorgen sollte. Diese war ebenfalls von der Polizei aufgelöst worden und darf nicht weiter betrieben werden. Angeblich verstieß sie gegen die staatlichen Quarantäne-Anordnungen, die Menschenansammlungen untersagen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Nach Angaben der Gruppe Save San Roque Alliance versammelten sich am 1. April zahlreiche Anwohner_innen von San Roque, einem Bezirk in Quezon City, an einem Abschnitt der EDSA, einer der Hauptschnellstraßen in Metro Manila. Sie hatten die Mitteilung erhalten, dass hier Hilfsgüter verteilt werden sollten. Als keine Hilfsgüter verteilt wurden, entschieden sie sich dazu, eine Protestveranstaltung durchzuführen, um öffentliche Hilfen von der Kommunalregierung von Quezon City zu fordern.

Nach Angaben zivilgesellschaftlicher Organisationen und Polizeiberichten zufolge forderten Polizeibeamt_innen die Anwesenden zunächst dazu auf, das Gebiet zu verlassen. Dann wandten die Beamt_innen Gewalt an, um die Versammlung aufzulösen und nahmen Anwohner_innen fest, die sich weigerten, zu gehen. Die Save San Roque Alliance gibt an, dass die Polizei bei der gewaltsamen Auflösung der Veranstaltung Holzstöcke einsetzte. Amnesty International sprach mit einem führenden Gruppenmitglied der Save San Roque Alliance, das berichtete, dass ein Mann und sein Kind unter den Betroffenen sind, die nur vor Ort waren, weil sie finanzielle Hilfen von der Firma des Mannes abholen wollten, die ebenfalls an der EDSA liegt.

Insgesamt wurden 21 Protestierende in der Polizeizentrale von Quezon City inhaftiert. Nach Angaben der San Roque Alliance wurden Stunden nach der Festnahme Verwandte daran gehindert, mit den Betroffenen zu sprechen oder ihnen Nahrung zu bringen. Fünf Tage später, am 6. April 2020, wurden die 21 Festgenommenen wieder freigelassen. Sie hatten eine Kaution von 367.500 Philippinischen Pesos (ca. 6.600 Euro) hinterlegt, die gespendet worden waren. Angeklagt sind sie wegen "rechtswidriger Versammlung", "Widerstand gegen die Staatsgewalt", "Verbreiten von Fehlinformationen", "Nicht-Mitwirkung in einem Gesundheitsnotfall" und "Behinderung des Straßenzugangs".

Die Anwohner_innen von San Roque gaben an, dass sie protestiert hätten, weil sie keinerlei öffentliche Hilfen erhielten. Die Kommunalregierung von Quezon City hat dem widersprochen und angegeben, die Liste der Empfänger_innen überprüfen zu wollen, um sicherzugehen, dass niemand ausgelassen wird. Währenddessen laufe die Ausgabe von öffentlichen Hilfen weiter. Die Regierung hatte im Zuge der COVID-19-Krise Finanzhilfen in Höhe von 200 Milliarden Philippinischen Pesos (ca. 3,6 Milliarden Euro) für besonders Betroffene angekündigt, von denen viele im Zuge der Ausgangssperren ihre Einkommensquellen verloren haben. Die finanziellen Hilfen schließen eine monatliche Auszahlung von 100-158 US-Dollar (ca. 91-144 Euro) für Bedürftige ein. Am 6. April 2020 verkündete die Regierung, sie brauche mehr Geldmittel, um die versprochenen Hilfspakete auszahlen zu können.

Das Völkerrecht erlaubt zum Schutz der öffentlichen Gesundheit Einschränkungen des Rechts auf friedliche Versammlung. Diese Einschränkungen müssen aber notwendig und verhältnismäßig sein. Deshalb muss die Polizei gewaltlose Maßnahmen anwenden, bevor sie zu Gewalt greift. Gewaltsame Maßnahmen darf sie nur dann anwenden, wenn andere Maßnahmen nicht wirksam sind oder wenn absehbar ist, dass andere Maßnahmen nicht wirksam sein werden. Das Verbot von Folter und anderweitiger Misshandlung ist notstandsfest – es kann auch im Notstand nicht gelockert werden.

Die Verhängung von Haftstrafen verschlimmert voraussichtlich während der Pandemie die Gefahr für die öffentliche Gesundheit, da in Gefängnissen und anderen Haftanstalten die Gefahr der Verbreitung von COVID-19 höher ist. Zudem könnten sich viele der Haftstrafen als nicht notwendig und nicht verhältnismäßig erweisen. Deshalb sollten Menschen nicht inhaftiert werden, nur weil sie gegen Einschränkungen im Zuge der COVID-19-Pandemie verstoßen. Die Verhängung von Geldstrafen kann besonders negative Auswirkungen auf Personengruppen haben, die die Einschränkungen besonders hart treffen – auch wenn die Verordnungen für alle Menschen gleichermaßen gelten. Wenn Behörden Geldstrafen für die Zuwiderhandlung gegen die Einschränkungen verhängen möchten, müssen sie die Umstände von Personengruppen berücksichtigen, die überproportional von den Auswirkungen der Schutzmaßnahmen betroffen sein könnten und Alternativen in Betracht ziehen, die eine unverhältnismäßige Belastung durch die Strafen minimieren.