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Sorge um inhaftierte Anwältin
Die iranische Anwältin Nasrin Sotoudeh
© privat
Aktuell – 4.12.20 – Nasrin Sotoudeh hat den alternativen Nobelpreis erhalten, befindet sich aber inzwischen wieder im Gefängnis. Gesundheitlich geht es ihr sehr schlecht. Bitte setzt Euch weiterhin für die bedingungslose Freilassung der Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh ein!
Die Gesundheit der inhaftierten Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh ist in Gefahr, nachdem die iranischen Behörden sie aus dem Krankenhaus zurück ins Gefängnis gebracht haben - obwohl ein_e Ärzt_in die Notwendigkeit eines medizinischen Eingriffs an ihrem Herz betont hat. Als ihre Gesundheit sich aufgrund des Hungerstreiks dramatisch verschlechtert hatte, wurde Nasrin Sotoudeh ins Krankenhaus gebracht. Sie war aus Protest gegen den Missbrauch des Strafjustizsystems durch die iranischen Behörden, darunter die Weigerung, politische Gefangene freizulassen, in den Hungerstreik getreten. Sie ist eine gewaltlose politische Gefangene, die umgehend und bedingungslos freigelassen werden muss.
Appell an
Oberste Justizautorität
Ebrahim Raisi
c/o Permanent Mission of Iran to the United Nations
Chemin du Petit-Saconnex 28
1209 Geneva
SCHWEIZ
Sende eine Kopie an
Botschaft der Islamischen Republik Iran
S. E. Herrn Mahmoud Farazandeh
Podbielskiallee 67, 14195 Berlin
Fax: 030 83 222 91 33
E-Mail: info@iranbotschaft.de
Amnesty fordert:
- Lassen Sie Nasrin Sotoudeh bitte umgehend und bedingungslos frei, da sie eine gewaltlose politische Gefangene ist und sich nur wegen ihrer friedlichen Menschenrechtsarbeit in Haft befindet.
- Stellen Sie bitte sicher, dass sie bis zu ihrer Freilassung Zugang zu fachärztlicher Behandlung außerhalb des Gefängnisses erhält. Beachten Sie, dass die Medizinethik und die Grundsätze der Schweigepflicht, Patientenautonomie und Einwilligung nach Aufklärung eingehalten werden. Sorgen Sie außerdem dafür, dass Nasrin Sotoudeh der Kontakt zu ihrer Familie gewährt wird.
- Ich fordere Sie höflich auf, die behördliche Schikanierung und Einschüchterung ihrer Familie zu unterbinden.
Sachlage
Am 10. August 2020 trat die 57-jährige, unrechtmäßig inhaftierte Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh in den Hungerstreik, um gegen den fortgesetzten Missbrauch des Strafjustizsystems durch die iranischen Behörden zu protestieren. Am 19. September 2020 wurde Nasrin Sotoudeh, deren Gesundheitszustand sich während ihres Hungerstreiks verschlechtert hatte, aus dem Gefängnis in ein Krankenhaus verlegt. Der Ehemann von Nasrin Sotoudeh, Reza Khandan, teilte auf Twitter mit, dass sie sich in "miserablem Zustand" befinde und an einer Herzrhythmusstörung, schwachem Blutdruck und derartiger Kurzatmigkeit leide, dass sie keine vollständigen Sätze sprechen könne. Nachdem Nasrin Sotoudeh am 23. September in das Evin-Gefängnis zurückgebracht wurde, sagte sie am Telefon, dass sie laut den Ärzt_innen, die sie im Krankenhaus behandelt hatten, einen medizinischen Eingriff an ihrem Herz benötigt. Trotzdem wird sie jetzt in der Quarantänestation des Frauentrakts im Evin-Gefängnis festgehalten. Sie befindet sich weiterhin im Hungerstreik und hat keine Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch medizinisches Personal, das ihren Zustand überwacht. Ihr Transfer vom Krankenhaus in die Quarantäneabteilung des Gefängnisses gibt ernsthaften Grund zur Sorge, da sie nicht die spezialisierte medizinische Versorgung erhält, die sie benötigt. Im Gefängnis ist diese Behandlung nicht möglich. Während ihres Krankenhausaufenthalts untersagten die Sicherheitskräfte ihrer Familie, mit ihr in Kontakt zu treten. Die Familie erhielt keinen Einblick in die Patientinnenakte und durften nicht mit den behandelnden Ärzt_innen sprechen. Die unzureichenden Informationen rund um die Diagnose von Nasrin Sotoudeh steigert die Sorge ihrer Familie um ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen noch zusätzlich.
Nasrin Sotoudeh wurde in zwei unfairen Gerichtsverfahren 2016 und 2018 zu insgesamt 38 Jahren und sechs Monaten Haft sowie zu 148 Stockhieben verurteilt. Die Grundlage der Verurteilung war ihre friedliche Menschenrechtsarbeit, darunter die Widersetzung gegen die missbräuchlichen, erniedrigenden und diskrimierenden Verschleierungsgesetze und die Todesstrafe im Iran. Ende März 2020 teilte ihr ein_e Gefängnisbeamt_in mündlich mit, dass sie für die Strafe von 2016 begnadigt wurde. Sie hat jedoch kein formales Schreiben dazu erhalten. Falls diese Begnadigung Anwendung findet, muss Nasrin Sotoudeh zwölf Jahre Haft verbüßen. Die Menschenrechtlerin und ihre Familie sind immer wieder Vergeltungsmaßnahmen und Schikanen ausgesetzt, darunter die kürzliche Festnahme ihrer Tochter Mehraveh Khandan am 17. August 2020 und die Sperrung ihrer Bankkonten.
Hintergrundinformation
Nach der Verlegung vom Evin-Gefängnis ins Krankenhaus wurde Nasrin Sotoudeh auf die Intensivstation gebracht und von Sicherheitskräften überwacht. Einige der Sicherheitskräfte hielten sich die ganze Zeit in ihrem Zimmer auf und verletzten ihre Privatsphäre, während sie intime medizinische Untersuchungen über sich ergehen lassen musste.
Nasrin Sotoudeh war am 13. Juni 2018 in ihrer Wohnung in Teheran willkürlich festgenommen und ins Evin-Gefängnis gebracht worden, wo sie seitdem im Frauentrakt festgehalten wird. Ihr Prozess fand am 30. Dezember 2018 vor der Abteilung 28 des Teheraner Revolutionsgerichtes in ihrer Abwesenheit statt, da sie sich weigerte, an dem unfairen Gerichtsverfahren teilzunehmen. Der Zugang zu ihrem Rechtsbeistand war ihr verweigert worden. In der Anklageschrift werden sieben Anklagepunkte aufgeführt. Vier davon beziehen sich auf ihren Widerstand gegen das iranische Verschleierungsgesetz: "Anstiftung zu Verdorbenheit und Prostitution", "öffentliche Begehung einer sündigen Handlung durch Nicht-Tragen des Hidschab", "Störung der öffentlichen Ordnung" und "Beeinflussung der öffentlichen Meinung". Die drei weiteren Anklagen gegen sie lauten auf "Gründung einer Gruppe zur Gefährdung der nationalen Sicherheit", "Verbreitung von Propaganda gegen das System" und "Versammlung und Verschwörung gegen die nationale Sicherheit". Sie basieren ebenfalls auf friedlichen Aktivitäten, die von den Behörden als "kriminell" eingestuft werden, so zum Beispiel die Mitgliedschaft in Menschenrechtsgruppen wie dem Zentrum zur Verteidigung der Menschenrechte und der Gruppe Step by Step Abolition of the Death Penalty, die sich für die Abschaffung der Todesstrafe im Iran einsetzt. Als Nasrin Sotoudeh im September 2016 in einem separaten Verfahren zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde, geschah dies ebenfalls in ihrer Abwesenheit vor der Abteilung 28 des Teheraner Revolutionsgerichtes. Die Gerichtsbehörden verweigerten ihr mit der Behauptung, sie sei nicht angemessen islamisch gekleidet, den Einlass in das Gericht. Weitere Informationen finden sich in diesem englischen Bericht: www.amnesty.org/en/documents/mde13/0024/2019/en/.
Nasrin Sotoudeh hat die folgende Erklärung veröffentlicht, als sie am 10. August in den Hungerstreik trat:
Liebe Menschenrechtsaktivist_innen,
mitten in der Corona-Krise, die den Iran und die ganze Welt im Griff hält, sind die Bedingungen für politische Gefangene so schwierig und problematisch geworden, dass ihre fortgesetzte Inhaftierung in dieser furchtbaren Situation nicht mehr möglich ist. Die Fälle der aus politischen Gründen Verurteilten basieren auf unglaublichen Anklagen wie Spionage, Verbreitung von Verdorbenheit auf Erden, Handlungen gegen die nationale Sicherheit, Korruption und Prostitution und die Gründung illegaler Gruppen auf [dem Messenger-Dienst] Telegram – Anklagen, die mit bis zu zehn Jahren Haft oder der Todesstrafe geahndet werden. Vielen Angeklagten wird von Beginn des Verfahrens bis zur Urteilsverkündung der Zugang zu einem unabhängigen Rechtsbeistand verweigert bzw. die Möglichkeit, frei mit dem eigenen Rechtsbeistand zu kommunizieren. Die Richter am Revolutionsgericht teilen aus politischen Gründen Angeklagten [Inhaftierten] ohne jede Scham und wiederholt mit, dass sie ihre Urteile allein auf Berichte der Geheimdienste und anderer Sicherheitsbehörden stützen, und die Ermittler_innen sagen den Angeklagten schon bei der Festnahme, wie das Urteil lauten wird. Rechtsbeistände, die den Zorn der Richter_innen am Revolutionsgericht auf sich ziehen, werden inhaftiert. Angeklagte, die nicht nachvollziehbarer schwerer Straftaten angeklagt werden, erhalten die höchstmögliche Strafe, und in einigen Fälle sogar noch höhere Strafen als die Höchststrafe. Politische Gefangene, gegen die unter solch unfairen Bedingungen Strafen verhängt wurde, bleiben ungläubig zurück und hoffen, dass es noch einen rechtlichen Ausweg für sie gibt.
Versprochen worden sind Berufungsgerichte, Bewährungsstrafen, die Aussetzung oder Verschiebung von Strafen sowie ein neues Gesetz, das darauf abzielt, geringere Strafen zu verhängen, aber in diesen außergerichtlichen Verfahren liegt es im Ermessen der Verhörbeamt_innen, ob diese gesetzlich festgelegten Rechte gewährt werden, und somit sind die letzten Türen, die für rechtliche Schritte noch offen standen, für politische Gefangene geschlossen. Viele dieser Gefangenen haben inzwischen das Recht, auf Bewährung aus der Haft entlassen zu werden, und viele könnten unter Anwendung des neuen Gesetzes freigelassen werden, aber die Inhaftierten werden so behandelt, als gäbe es dieses Gesetz nicht, und ihnen wird das Recht verweigert, diese rechtlichen Möglichkeiten wahrzunehmen. Anträge von Gefangenen, die gesetzlich möglichen rechtlichen Schritte einzuleiten, bleiben unbeantwortet.
Damit diese Anträge bearbeitet werden und alle politischen Gefangenen freigelassen werden, gehe ich jetzt in den Hungerstreik. In der Hoffnung auf Gerechtigkeit in meinem Land, Iran.
Nasrin Sotoudeh, Frauentrakt im Evin-Gefängnis, 10. August 2020.