Brasilien: Gefährliches Gesetzesvorhaben

Junge Menschen bei einer Demonstration, die Plakate hochhalten und Slogans rufen.

Demonstration in der brasilianischen Stadt São Paulo gegen das "Zerstörungsgesetz", das Umweltschutzstandards aufweicht und die Menschenrechte gefährdert (1. Juni 2025).

Trotz scharfer Kritik hat der brasilianische Kongress am 17. Juli das sogenannte "Zerstörungsgesetz" verabschiedet, das die Genehmigung neuer Öl-, Gas-, Bergbau- und Agrarprojekte deutlich erleichtert. Der Prozess war intransparent und es gab keine öffentliche Debatte. Jetzt hat Präsident Lula 15 Tage Zeit, um es zu unterzeichnen – oder ein Veto einzulegen. 

Appell an

Luiz Inácio Lula da Silva
President of the Federative Republic of Brazil
Palácio do Planalto
Praça dos Três Poderes
Brasília - DF, CEP 70150-900
BRASILIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Föderativen Republik Brasilien
Herr Luiz Eduardo Fonseca de Carvalho Gonçalves
Geschäftsträger a.i.
Wallstraße 57
10179 Berlin
Fax: 030-726 283 20
E-Mail: brasemb.berlim@itamaraty.gov.br


 

Amnesty fordert:

  • In Anbetracht der schwerwiegenden Auswirkungen des geplanten Gesetzes und der verfassungsrechtlichen Verantwortung, die Sie tragen, bitte ich Sie eindringlich, Ihr vollständiges Veto gegen das "Zerstörungsgesetz" (PL da Devastação) einzulegen, um das Leben und die Menschenrechte, einschließlich des Rechts auf eine gesunde Umwelt, zu schützen.
  • Ich möchte betonen, dass die Verabschiedung eines solchen Gesetzes den internationalen Menschenrechts- und Umweltverpflichtungen Brasiliens widersprechen würde, insbesondere mit Blick auf den brasilianischen Vorsitz bei der UN-Klimakonferenz 2025 (COP30). Jemand, der sich als Verfechter des Umweltschutzes sieht, kann eine solche Bedrohung der Menschenrechte und der Klimagerechtigkeit nicht zulassen.

Sachlage

Mit dem Gesetzentwurf soll ein Selbsterklärungsverfahren für Umweltlizenzen eingeführt werden, womit wichtige Prüfmechanismen zum Umweltschutz umgangen werden könnten. Außerdem ist der Menschenrechtsschutz nicht gewährleistet. Amnesty International fordert den Präsidenten auf, sein Veto gegen dieses Gesetz einzulegen. Es gefährdet die Rechte auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt, auf den Zugang zu Informationen, auf Öffentlichkeitsbeteiligung und auf den Zugang zur Justiz. Außerdem wären die Rechte indigener Gemeinschaften sowie die Klimagerechtigkeit gefährdet.

Am 17. Juli hat der brasilianische Kongress das "Allgemeine Umweltlizenzgesetz" verabschiedet, das von der Zivilgesellschaft auch als "Zerstörungsgesetz" (PL da Devastação) bezeichnet wird. Jetzt wird es vom Präsidenten geprüft.Wenn Lula da Silva das Gesetz unterzeichnet, wird es die Befugnisse der Bundesbehörden zur Erteilung von Umweltgenehmigungen massiv schwächen. Zukünftig wäre die automatische Genehmigung der meisten Projekte über eine "Lizenz durch Haftung und Verpflichtung" möglich – die ausschließlich auf Selbsterklärungen basiert. Vorherige Umwelt- oder Menschenrechtsprüfungen würden entfallen. Außerdem wären ganze Sektoren wie die Agroforstwirtschaft und die Viehzucht von der Genehmigungspflicht ausgenommen. Stattdessen sieht das Gestz eine "spezielle Umweltlizenz" für sie vor, mit der von der Regierung bestimmte strategische Projekte ohne umfassende Umweltprüfung beschleunigt werden könnten. Diese Änderungen stellen ernste und unumkehrbare Risiken für das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt dar und würden die Umweltzerstörung, den Verlust der biologischen Vielfalt und den Klimawandel beschleunigen.

Der Gesetzesentwurf sieht außerdem eine Einschränkung der Mitspracherechte von Institutionen vor, die sich für den Schutz indigener Rechte einsetzen. Diese sollen nur noch einbezogen werden, wenn es um die Genehmigung von Projekten geht, die sich auf bereits demarkiertem Land befinden. Dabei werden die vielen Gebiete außer Acht gelassen, die nach wie vor auf die formelle Anerkennung als angestammtes Gebiet der indigenen Bevölkerung warten. Dies untergräbt die kollektiven Rechte indigener Gemeinschaften und Quilombolas auf ihr Land, ihre Territorien und Ressourcen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Das Allgemeine Umweltlizenzgesetz (PL 2159/2021), weithin als "Zerstörungsgesetz" (Projeto de Lei da Devastação) bezeichnet, wurde am 17. Juli 2025 von der Abgeordnetenkammer mit 267 gegen 115 Stimmen verabschiedet. Es wird nun von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva geprüft, der ein Veto einlegen kann. 

Der Gesetzentwurf 2159/2021 schwächt die Befugnisse der Bundesbehörden zur Erteilung von Umweltgenehmigungen massiv. Er wurde von der Agrar-, Öl- und Gasindustrie unterstützt und ohne angemessene öffentliche Debatte oder wirksame Beteiligung der Zivilgesellschaft verabschiedet. Zu den umstrittensten Bestimmungen darin gehört die Ausweitung der so genannten "Lizenz durch Haftung und Verpflichtung", die eine Genehmigung der meisten Projekte (mit Ausnahme derer, die als besonders umweltschädlich eingestuft werden) ohne vorherige Umwelt- und Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen ermöglichen würde. Im Rahmen dieses Mechanismus könnten Unternehmen die Genehmigungen für geplante Projekte zukünftig automatisch erhalten – ausschließlich auf der Grundlage einer Selbsterklärung ohne Bewertung durch die zuständigen Behörden.

Außerdem wären ganze Sektoren wie die Agroforstwirtschaft und die Viehzucht von der Genehmigungspflicht komplett ausgenommen. Für das Genehmigungsverfahren für Projekte aus diesen Sektoren wäre dann nur noch ein einfaches Formular erforderlich, ohne weitere Prüfung eventueller Umweltauswirkungen. Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf eine "spezielle Umweltlizenz" für Projekte vor, die von der Regierung als "strategisch" eingestuft werden. Dazu gehört auch die Ölförderung. In diesen Fällen wäre die Prüfung von Projekten beschleunigt, indem das Genehmigungsverfahren von drei bürokratischen Schritten auf einen reduziert und auf eine umfassende Folgenabschätzung verzichtet werden würde. 

Diese Pläne gegen den Umweltschutz stellen eine Gefahr für das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt dar, das von der UN-Generalversammlung anerkannt, im Protokoll von San Salvador zur Amerikanischen Menschenrechtskonvention (von Brasilien ratifiziert) bekräftigt und in Artikel 225 der brasilianischen Verfassung verankert wurde. Außerdem verletzt der Gesetzentwurf die Rechte auf Zugang zu Informationen, Beteiligung der Öffentlichkeit und Zugang zur Justiz.

Was die Rechte der indigenen Gemeinschaften betrifft, so beschränkt der Gesetzentwurf PL 2159/2021 die Einbeziehung der zuständigen Behörden nur noch auf Projekte, die sich auf bereits demarkiertem – also formell als angestammtes Gebiet der indigenen Bevölkerung und Quilombola anerkanntem – Land befinden. Damit wird die Realität der unsicheren Landbesitzverhältnisse in Brasilien ignoriert. Rund 80 % der Quilombola-Territorien und 32,6 % des indigenen Gebietes sind noch nicht demarkiert. Das geplante Gesetz untergräbt die Rechte der indigenen Bevölkerung, die in von Brasilien ratifizierten Instrumenten wie der ILO-Konvention 169 oder der UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker verankert sind. 

Quilombo-Gemeinden sind afro-brasilianische Siedlungen, die Ende des 16. Jahrhunderts in abgelegenen ländlichen Gebieten Brasiliens entstanden, als sich flüchtende und freigelassene Sklav*innen (Quilombolas) der Sklaverei widersetzten. Die brasilianische Verfassung von 1988 (Artikel 215 und 216) und Artikel 68 der Übergangsbestimmungen erkennen das Recht der Nachfahren auf das Land an, das schon seit langem von den Quilombolas besiedelt ist

Fortsetzung (auf Englisch)

A group of UN Special Rapporteurs has already warned of the grave threats posed by the bill to human, including Indigenous Peoples’, rights. Overall, it represents a major setback to Brazil’s international human rights and environmental commitments. Brazil faces significant human rights challenges, including persistent police violence predominantly affecting Black youth, increasing gender-based violence, and ongoing threats to land and environmental defenders, especially those from Indigenous Peoples and Quilombola communities. Despite some progress, systemic issues like overcrowded prisons, limited social policy investment, and insufficient transitional justice measures for dictatorship-era abuses remain critical concerns. 

The surge in deforestation and recurring wildfires, coupled with lax environmental enforcement, intensifies climate risks and undermines Indigenous rights to land and livelihood. The approval of regressive legislation such as the "PL da Devastação" deepens these threats by weakening environmental protections and facilitating exploitation. Brazil must uphold its commitments to human rights, environmental protection, and climate agreements. Not to do so will risk undermining Brazil’s global leadership role in this crucial year for climate action. Effective responses depend on strengthening democratic oversight, ensuring justice for marginalized groups, and restoring robust environmental governance.