Aktivistin angegriffen und inhaftiert

Diese Urgent Action ist beendet.

Am 23. Dezember 2021 wurde die ägyptische Menschenrechtsaktivistin und Filmemacherin Sanaa Seif aus dem Gefängnis freigelassen. Sie hatte die 18-monatige Haftstrafe verbüßt, zu der sie mithilfe konstruierter Anklagen verurteilt worden war. Ihr war "Verbreitung von Falschinformationen", "Missbrauch sozialer Medien" und "Beleidigung eines Polizisten im Dienst" vorgeworfen worden – doch ins Visier geriet sie allein wegen der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte.

Eine Person hinter komplett vergitterten Scheiben hebt den Arm

Ein Angeklagter im Gerichtssaal des Tora-Gefängnisses in Kario im August 2015

Am 23. Juni 2020 nahmen ägyptische Sicherheitskräfte die Menschenrechtsaktivistin Sanaa Seif vor dem Büro der Staatsanwaltschaft in Neu-Kairo fest. Sie wollte dort Anzeige erstatten, weil sie am Vortag brutal angegriffen worden war. Sanaa Seif, ihre Schwester und ihre Mutter waren vor dem Tora-Gefängnis von mehreren Frauen zusammengeschlagen worden – in der Gegenwart von Sicherheitskräften. Seitdem ist sie in Haft.

Appell an

Counsellor

Hamada al-Sawi

Office of the Public Prosecutor

Madinat al-Rehab

Cairo, ÄGYPTEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Arabischen Republik Ägypten

S.E. Herr Khaled Mohamed Galaleldin Abdelhamid

Stauffenbergstraße 6-7

10785 Berlin

Fax: 030-477 1049

E-Mail:
embassy@egyptian-embassy.de

Amnesty fordert:

  • Bitte lassen Sie Sanaa Seif umgehend und bedingungslos frei und lassen Sie alle Anklagen gegen sie fallen.
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass sie bis zu ihrer Freilassung umgehend regelmäßigen Zugang zu ihrer Familie und einem Rechtsbeistand ihrer Wahl, sowie zu einer angemessenen medizinischen Versorgung erhält.
  • Ergreifen Sie die nötigen Maßnahmen, um die unablässige Schikanierung ihrer Familie zu stoppen und veranlassen Sie eine unabhängige, unparteiische und gründliche Untersuchung zur Aufklärung des Angriffs auf Sanaa Seif, ihre Mutter und ihre Schwester am 22. Juni vor dem Tora-Gefängnis in Anwesenheit von Sicherheitskräften.

Sachlage

Die 26-jährige Menschenrechtsaktivistin Sanaa Seif ist seit dem 23. Juni 2020 willkürlich inhaftiert und wird wegen unbegründeter "Terrorismus"-Vorwürfen und anderen Scheinanklagen, die allein auf ihre Ausübung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung und ihren friedlichen Aktivismus zurückgehen, festgehalten. Sie ist eine gewaltlose politische Gefangene und muss umgehend und bedingungslos freigelassen werden.

Am 23. Juni 2020 führten ägyptische Sicherheitskräfte Sanaa Seif ab, als sie vor dem Büro der Staatsanwaltschaft in Neu-Kairo wartete, um wegen einem brutalen Angriff am Vortag Anzeige zu erstatten. Sanaa Seif wurde zur Staatsanwaltschaft für Staatssicherheit (Supreme State Security Prosecution – SSSP) gebracht – einer Sondereinheit der Staatsanwaltschaft, die für die Untersuchung von Aktivitäten zuständig ist, welche mutmaßlich die nationale Sicherheit bedrohen. Dort wurde sie von Staatsanwält_innen zu Vorwürfen wegen "Verbreitung falscher Tatsachen", "Anstiftung zu terroristischen Straftaten" und "Missbrauch sozialer Medien" verhört. Am 9. August 2020 wurde sie erneut ins Hauptquartier der SSSP in Kairo gebracht, ohne dass ihre Rechtsbeistände davon unterrichtet wurden. Die SSSP leitete zu zwei zusätzlichen Anklagepunkten Ermittlungen ein, nämlich "Beleidigung eines Polizisten in Dienst" und "Diffamierung eines Polizisten". Diese Vorwürfe sind darauf zurückzuführen, dass Sanaa Seif gegen einen Polizisten intervenierte, der ihre Mutter am Tag des Angriffs gestoßen hatte, und dass sie den Vorfall in den Sozialen Medien geteilt hatte.

Am 30. August 2020 wurde Mona Seif gestattet, ihre Schwester im Frauengefängnis al-Qanater zu besuchen. Sanaa Seif teilte ihrer Schwester mit, dass sie bei guter Gesundheit war und glaubte, dass sie bald vor Gericht gestellt würde.

Auch der Aktivist und Bruder von Sanaa Seif, Alaa Abdel Fattah, befindet sich seit September 2019 in willkürlicher Haft. Am 22. Juni 2020, als Sanaa Seif, ihre Mutter und Schwester von einer Gruppe Frauen mit Stöcken zusammengeschlagen und ausgeraubt wurden, hatten sie darauf gewartet, einen Brief von Alaa Abdel Fattah abzuholen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Am 22. Juni 2020 wartete Sanaa Seif zusammen mit ihrer Mutter, Laila Soueif, und Schwester, Mona Seif, vor dem Tora-Gefängnis auf einen Brief von ihrem willkürlich festgenommenen Bruder Alaa Abdel Fattah. Eine Gruppe Frauen näherte sich der Familie und schlug sie mit Stöcken zusammen, zerriss ihre Kleidung, zerrte sie zu Boden und stahl einige ihrer Besitztümer. Berichten zufolge stieß ein Polizist Laila Soueif in Richtung der Angreiferinnen, während ein anderer Polizist die Angreiferinnen anwies, die Familie "nach draußen [aus dem Wartebereich weg] zu bringen". Der Angriff hinterließ sichtbare Spuren auf den Körpern der Frauen, wie man auf Fotos, die Amnesty International vorliegen, erkennen kann.

Seitdem ist die Inhaftierung von Sanaa Seif in ihrer und der Abwesenheit ihres Rechtsbeistandes bereits zweimal erneuert worden. So wurde ihr das Recht verwehrt, die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung in Frage zu stellen. Dies stellt eine Verletzung der Verpflichtungen Ägyptens gegenüber des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte dar. Zu beiden Haftverlängerungsterminen wurde Sanaa Seif ins Gebäude der Staatsanwaltschaft gebracht, ohne tatsächlich zur Anhörung vorgelassen zu werden oder Zugang zu ihrer Familie und Rechtsbeiständen zu erhalten. Im Zuge der COVID-19-Pandemie hatten die ägyptischen Behörden alle Gefängnisbesuche während fünf Monaten ausgesetzt. Seit August 2020 sind Besuche unter einigen Auflagen wieder möglich. Die Gefängnisbehörden erlaubten den Verwandten von Sanaa Seif am 12. Juli 2020, ihr einen Brief zu überbringen. Am 16. August 2020 gestatteten die Gefängnisbehörden ihrer Schwester, ihr Medikamente und Nahrungsmittel zu bringen. Bücher und ein Radio durfte Mona Seif jedoch nicht ins Gefängnis hineinbringen.

Sanaa Seif und ihre Familie werden wegen ihrem Einsatz für Menschenrechte schon seit Jahren schikaniert und eingeschüchtert. Am 18. März 2020 waren Laila Soueif, Mona Seif, die Tante von Sanaa Seif, Ahdaf Soueif, und Universitätsprofessorin Rabab el-Mahdi vor dem Regierungsgebäude in Kairo festgenommen worden. Sie hatten dort einen Tag friedlich für die Freilassung von Gefangenen protestiert, weil sie befürchteten, dass in Ägyptens überfüllten Gefängnissen die Krankheit COVID-19 ausbrechen könnte. Ein Staatsanwalt beschuldigte sie der "Anstiftung zu einem Protest", "Verbreitung falscher Tatsachen", und "Besitz von Materialien, die falsche Tatsachen verbreiten". Danach ordnete er ihre vorläufige Freilassung gegen eine Kaution von 5.000 Ägyptischen Pfund (zirka 269 Euro) an. Obschon sie die Kaution am selben Tag bezahlten, wurden sie ohne Rechtsgrundlage über Nacht festgehalten. Am 19. März 2020 brachten die Behörden Laila Soueif zur SSSP, wo ein Staatsanwalt ihre Freilassung gegen eine Kaution von 3.000 Ägyptischen Pfund (rund 161 Euro) veranlasste. Alle vier wurden in dieser Nacht freigelassen.

Sanaa Seif ist eine Menschenrechtsaktivistin und Filmproduzentin. Sanaa Seif, die Menschenrechtsverteidigerin Yara Sallam und 20 weitere Personen wurden am 21. Juni 2014 in Kairos Vorort Heliopolis festgenommen, nachdem Sicherheitskräfte in diesem Gebiet eine Demonstration aufgelöst hatten. Sie wurden mit einer Reihe von Vorwürfen wie "Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration, welche die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet", "Sachbeschädigung", "Gewalttätigkeiten zur Einschüchterung und Bedrohung des Lebens von Passant_innen" und "Teilnahme an einer Versammlung von über fünf Personen mit dem Ziel, die öffentliche Ordnung zu stören und Straftaten zu begehen" belegt. Gemäß dem ägyptischen Gesetz über das Recht auf öffentliche Versammlungen, Umzüge und friedliche Demonstrationen (Gesetz Nr. 107 aus dem Jahr 2013) müssen die Veranstalter_innen von Protesten den Behörden ihre Pläne im Voraus vorlegen. Diese verfügen über umfangreiche Befugnisse, um die geplanten Demonstrationen abzusagen oder neue Routen festzulegen. Am 26. Oktober 2014 verurteilte ein Gericht für minderschwere Straftaten Sanaa Seif zu einer dreijährigen Haftstrafe, gefolgt von einer dreijährigen Bewährungsstrafe, einer Geldstrafe von 10.000 Ägyptischen Pfund (damals rund 1100 Euro) und machte sie haftbar für die Reparaturkosten der Gebäude, die bei den Ereignissen am 21. Juni beschädigt wurden. Diese Strafe wurde später auf zwei Jahre Haft und eine zweijährige Bewährungsfrist reduziert. Am 23. September 2015 wurde Sanaa Seif nach einer Begnadigung durch den Präsidenten freigelassen. In einem anderen Fall verurteilte sie ein Gericht für Ordnungswidrigkeiten in Kairo wegen "Beleidigung der Justiz" am 4. Mai 2016 zu sechs Monaten Gefängnis. Sanaa Seif wurde am 15. November 2016, nachdem sie ihre sechsmonatige Haftstrafe abgesessen hatte, freigelassen.