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Ägypten: Inhaftierter Student braucht passende Beinprothese!
Der ägyptische Student Oqba Hashad (undatiertes Foto)
© privat
Die Gefängnisbehörden verweigern dem seit vier Jahren und acht Monaten willkürlich inhaftierten Studenten Oqba Hashad nach wie vor den Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung, auch für sein rechtes Bein, das seit seiner Kindheit oberhalb des Knies amputiert ist. Um gehen zu können, benötigt er eine Beinprothese. Obwohl seine Beinprothese bereits im August 2022 zerbrochen ist, hat er bisher keinen angemessenen Ersatz erhalten. Nach wiederholten Bitten seiner Familie und der Mobilisierung von Unterstützer*innen haben ihm die ägyptischen Behörden am 4. Januar zum ersten Mal seit dem Bruch seiner alten Prothese eine neue zur Verfügung gestellt – doch diese passt nicht. Unabhängigen Ärzt*innen zufolge erhöht diese unbrauchbare Prothese sogar noch das Risiko gesundheitlicher Komplikationen.
Appell an
Mohamed Shawky Ayyad
Office of the Public Prosecutor
Madinat al-Rehab
Cairo
ÄGYPTEN
Sende eine Kopie an
Botschaft der Arabischen Republik Ägypten
S. E. Herrn Khaled Galal Abdelhamid
Stauffenbergstraße 6–7
10785 Berlin
Fax: 030-477 1049
E-Mail: embassy@egyptian-embassy.de
Amnesty fordert:
- Bitte lassen Sie Oqba Hashad umgehend und bedingungslos frei und alle Anklagen gegen ihn fallen, da er sich ausschließlich wegen des Aktivismus seines Bruders in Haft befindet.
- Bis zu seiner Freilassung muss er eine passende Beinprothese erhalten. Außerdem muss ihm umgehend Zugang zu seiner Familie, seinen Rechtsbeiständen und jeder benötigten medizinischen Versorgung – auch außerhalb des Gefängnisses – gewährt werden. Seine Haftbedingungen müssen überdies den internationalen Standards zur Behandlung von Gefangenen genügen.
Sachlage
Seit August 2022 wartet der im Gefängnis Wadi al-Natroun inhaftierte Student Oqba Hashad auf eine neue Beinprothese. Ohne diese kann er ohne fremde Hilfe nicht gehen, da sein rechtes Bein seit seiner Kindheit oberhalb des Knies amputiert ist. Nach wiederholten Bitten seiner Familie und der Mobilisierung von Unterstützer*innen stellten ihm die Gefängnisbehörden schließlich am 4. Januar eine neue Beinprothese zur Verfügung. Doch diese ist unbrauchbar. Sie hat Größe 40, während Oqba Hashad Größe 45 benötigt. Einem unabhängigen medizinischen Bericht zufolge, der von Amnesty International geprüft wurde, könnte die Verwendung der Prothese sogar zu weiteren gesundheitlichen Komplikationen – etwa Wirbelsäulenschädigungen, Mobilitätseinschränkungen oder Hautreizungen und Narbenbildungen – führen. Am 10. Januar beantragten die Angehörigen von Oqba Hashad bei der Staatsanwaltschaft eine Besuchsgenehmigung für eine*n Prothesenexpert*in, um die Beinprothese individuell anpassen zu können. Die Antwort der Gefängnisbehörden steht noch aus.
Der 26-jährige Universitätsstudent Oqba Hashad ist allein wegen seiner familiären Zugehörigkeit inhaftiert, und zwar insbesondere wegen des Menschenrechtsaktivismus' seines Bruders Amr Hashad, der Ägypten 2019 verlassen hat. Die Gefängnisbehörden haben Oqba Hashad mehrfach zu der Menschenrechtsarbeit seines Bruders und dessen Kontakt zu seiner Familie in Ägypten verhört, zuletzt im Oktober 2023. Sie fragten Oqba Hashad auch, ob er irgendwelche Informationen über die Bedingungen im Gefängnis an seinen Bruder weitergegeben habe. Nachdem Sicherheitskräfte ihn am 20. Mai 2019 willkürlich in seinem Studierendenwohnheim in Madinat as-Sadat (Sadat City) im Gouvernement Minufiyya festgenommen hatten, wurde Oqba Hashad 77 Tage lang Opfer des Verschwindenlassens. In dieser Zeit wurde gefoltert und anderweitig misshandelt. Nach Amnesty International vorliegenden Informationen wurde Oqba Hashad vollständig ausgezogen und dann an den Armen an der Decke aufgehängt. Er wurde geschlagen, mit einem Seil um den Hals über den Boden gezogen, beleidigt und erhielt Elektroschocks an seinen Genitalien und am Stumpf seines Beines, das ihm im Alter von sechs Jahren oberhalb des Knies amputiert wurde. Am 1. August 2019 wurde er der Staatsanwaltschaft von Schibin al-Kaum (Shebin Al-Koum) vorgeführt. Diese ordnete seine Untersuchungshaft wegen Vorwürfen wie der "Mitgliedschaft in einer gegen die Rechtsstaatlichkeit gerichteten Gruppe" und der "Teilnahme an Demonstrationen zum Sturz des Regimes" an. Seine Untersuchungshaft, die schon lange das nach ägyptischem Recht erlaubte Limit von zwei Jahren überschritten hat, wurde seither verlängert, ohne dass er die Gelegenheit erhielt, die Rechtmäßigkeit seiner Haft gebührend anzufechten.
Seit August 2022 setzen die Gefängnisbehörden Oqba Hashad Folter und anderen Misshandlungen aus, indem sie ihm den Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung und einer Beinprothese verweigern, die er benötigt, um selbständig gehen zu können. Sie fügen ihm dadurch schwere physische Schmerzen und seelisches Leid zu, da er zur Erfüllung seiner Grundbedürfnisse auf die Hilfe seiner Mitgefangenen angewiesen ist. Nach dem Bruch seiner Beinprothese im August 2022 haben die Gefängnisbehörden ihm nicht nur keine Ersatzprothese zur Verfügung gestellt, sondern weigerten sich wegen angeblicher Sicherheitsprüfungen auch, ihm die alte Beinprothese auszuhändigen, die seine Familie auf eigene Rechnung hatte reparieren lassen. Außerdem verweigern die Gefängnisbehörden ihm den Zugang zu den Antiseptika und Sterilisierungsmitteln, die er zur Pflege seines Beinstumpfes benötigt, und setzen ihn so der Gefahr einer Infektion aus. Sie weigern sich auch, ihm eine fachärztliche Behandlung zu gewähren, die im Gefängnis nicht verfügbar ist. Nach Angaben unabhängiger Ärzt*innen, die von seinen Angehörigen konsultiert wurden, könnte dadurch seine Wirbelsäule dauerhaft und irreversibel geschädigt werden. Oqba Hashad leidet ohnehin unter schweren Rückenschmerzen, weil er auf dem Boden schlafen muss. Zur letzten Anhörung bezüglich einer weiteren Verlängerung der Untersuchungshaft am 9. Januar musste Oqba Hashad ohne Rollstuhl und auf einem Bein hüpfend vor Gericht erscheinen. Er musste vor dem Richter auf dem Boden sitzen.
Hintergrundinformation
Vor seiner Festnahme war Oqba Hashad Wirtschaftsstudent an der University of Sadat City, im Gouvernement Minufiyya, die Teil der Minufiyya-Universität ist. Am 20. Mai 2019 stürmten Angehörige des ägyptischen Geheimdiensts NSA das Wohnheim und nahmen alle Studierenden ohne Haftbefehl fest. Bis auf Oqba Hashad wurden alle in den nächsten Tagen wieder freigelassen. Sein Bruder Amr Hashad, ein Menschenrechtsaktivist und Rechtsforscher, war 2019 nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis aus Ägypten geflohen. Er war 2014 festgenommen worden, weil er als Aktivist für die Studierendenvereinigung an der Universität Assiut tätig war.
Damals hatte Amr Hashad gegen die Entscheidung der Universität, eine private Sicherheitsfirma zu beauftragen, protestiert. Ein Gericht befand anschließend der Anklage für schuldig, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, die versuche, die Regierung zu stürzen und zu Protesten anzustiften, und verurteilte ihn zu drei Jahren Haft. Auch aus dem Exil setzte Amr Hashad seine Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen in Ägypten fort, darunter das gewaltsame Verschwindenlassen von Personen sowie grausame und unmenschliche Haftbedingungen in ägyptischen Gefängnissen. Die Mutter von Oqba Hashad wurde bei einem Besuch im Gefängnis Schibin al-Kaum, in dem sich Oqba Hashad damals befand, ebenfalls festgenommen und neun Stunden lang verhört. Grund war ein Beitrag vom Amr Hashad auf Facebook vom Dezember 2020. Darin hatte er von den Ungerechtigkeiten berichtet, die seine Familie erleiden musste, und davon, dass seinem Bruder Oqba die Beinprothese vorenthalten werde.
Oqba Hashad ist derzeit im Gefängnis Wadi El Natroun inhaftiert. Am 7. August 2022 wurde seine Familie von Angehörigen seines Zellenkameraden, die an diesem Tag im Gefängnis gewesen waren, darüber informiert, dass seine Beinprothese zerbrochen war. Seine Familie eilte ins Gefängnis, um die kaputte Beinprothese abzuholen, und brachte diese in eine Fachklinik, wo ihr vom medizinischen und technischen Fachpersonal mitgeteilt wurde, dass ein Ersatz nötig sei. Die Familie besaß jedoch nicht die nötigen finanziellen Mittel für eine Ersatzprothese und suchte daher nach einer Möglichkeit, die alte reparieren zu lassen. Am 9. August 2022 begab sich die Familie mit der reparierten Beinprothese wieder ins Gefängnis. Dort bestanden die Gefängnisbehörden auf einer gründlichen Inspektion, versuchten, die Prothese auseinanderzunehmen, und teilten der Familie mit, dass sie die Prothese weiteren Inspektionen unterziehen würden. Bis heute haben die Behörde Oqba Hashad weder die reparierte Beinprothese zukommen lassen noch für Ersatz gesorgt.
Amnesty International hat dokumentiert, dass Angehörige von ägyptischen Dissident*innen oder Kritiker*innen im Ausland ins Visier genommen werden, u. a. durch willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen, Vorladungen zu Verhören und andere Formen der Schikane. So wurde beispielsweise Salah Soltan, Vater des prominenten US-amerikanischen Menschenrechtsverteidigers Mohamed Soltan, aus Vergeltung für den Aktivismus seines Sohnes Opfer des Verschwindenlassens. Außerdem wurde ihm die medizinische Versorgung verweigert. Im August 2023 nahmen die Behörden den Vater des in Belgien lebenden ägyptischen Journalisten Ahmed Gamal Ziada und den Vater des in Deutschland lebenden deutsch-ägyptischen Aktivisten Fagr al-Adly fest. Beide wurden zum Aktivismus ihrer Familienangehörigen befragt.
Als Vertragsstaat des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen muss Ägypten seinen Verpflichtungen nachkommen und sicherstellen, dass Menschen mit Behinderungen, denen die Freiheit entzogen wird, gleichberechtigt mit anderen Anspruch auf Garantien im Einklang mit den internationalen Menschenrechtsnormen haben und ihnen besonders angesichts ihrer Behinderungen eine angemessene Unterkunft und medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt wird.
Am 3. September 2021 haben Expert*innen der Vereinten Nationen in einem Schreiben an die ägyptische Regierung auf das Verschwindenlassen und die verlängerte willkürliche Inhaftierung von Oqba Hashad hingewiesen. Zu diesen Expert*innen gehörten die UN-Sonderberichterstatterin über die Lage von Menschenrechtsverteidiger*innen, die Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen, die UN-Sonderberichterstatterin über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die UN-Arbeitsgruppe zur Frage des Verschwindenlassens, die UN-Sonderberichterstatterin über die Förderung und den Schutz des Rechts auf freie Meinungsäußerung, die UN-Sonderberichterstatterin über das Recht eines jeden auf das Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit, die UN-Sonderberichterstatterin über die Förderung und den Schutz der Menschenrechte bei der Bekämpfung des Terrorismus und der UN-Sonderberichterstatter über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe.