Amnesty Journal Mazedonien 28. Januar 2013

Der späte Sieg des Khalid al-Masri

Entführungsopfer al-Masri: Jahrelang hatte er um seine Glaubwürdigkeit gekämpft, nun wurde ihm Entschädigung zugesprochen

Entführungsopfer al-Masri: Jahrelang hatte er um seine Glaubwürdigkeit gekämpft, nun wurde ihm Entschädigung zugesprochen

Es ist ein historischer Richterspruch: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Mazedonien verurteilt, Schmerzensgeld an das CIA-Entführungsopfer Khalid al-Masri zu zahlen.

Von Ramin M. Nowzad

Als er in Ulm den Reisebus betrat, konnte der Gebrauchtwagenhändler noch nicht ahnen, dass diese Reise sein Leben für immer verändern würde. Er wollte sich über Silvester doch nur einen billigen Kurzurlaub auf dem Balkan gönnen. Es kam anders. In Mazedonien wurde er aus dem Bus gezerrt und wochenlang im Hotel festgehalten. Dann erschienen maskierte Männer, die ihn vergewaltigten und ins ferne Afghanistan verschleppten.

Khalid al-Masris Geschichte klingt unglaublich – so unglaublich, dass sie immer wieder bezweifelt wurde. Nun hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit dem Fall beschäftigt und die Geschichte bestätigt: Agenten der CIA haben den gebürtigen Libanesen, der seit 1994 den deutschen Pass besitzt, im Januar 2004 entführt, weil sie ihn irrtümlicherweise für einen Terroristen hielten. Da Mazedonien in die Verschleppung verstrickt war, haben die Straßburger Richter den Balkanstaat im Dezember 2012 verurteilt, 60.000 Euro Schmerzensgeld an al-Masri zu zahlen. Amnesty nannte das Urteil einen "Meilenstein". Erstmals wurde ein Staat juristisch belangt, weil er die CIA bei ihren Entführungsflügen unterstützte.

Warum al-Masri ins Visier des US-Geheimdienstes geriet, ist bis heute nicht restlos geklärt. Womöglich verwechselten ihn die Agenten mit einem mutmaßlichen Terroristen, der ebenfalls al-Masri heißt. Vielleicht machte er sich auch nur verdächtig, weil er in Neu-Ulm eine islamistische Moschee besucht hatte. Sicher ist: Es war die Hochphase der Terroristenfahndung, als mazedonische Sicherheitskräfte al-Masri am Silvestertag 2003 verhafteten und drei Wochen lang in einem Hotelzimmer in Skopje ins Kreuzverhör nahmen. Anschließend wurde er einem US-Team überstellt, das ihn sexuell misshandelte, mit einer Spritze betäubte und nach Afghanistan flog. Dort warf man ihn in eine Betonzelle, verhörte und folterte ihn monatelang – er verlor fast 20 Kilogramm Gewicht. Als seine Peiniger bemerkten, dass er unschuldig war, wurde er nach 149 Tagen Haft nach Albanien verfrachtet und auf einem Waldweg ausgesetzt.

Der Prozess vor dem Europäischen Gerichtshof war al-Masris letzte Chance, Recht zu erlangen. Neun Jahre lang hatte er vor deutschen, mazedonischen und US-amerikanischen Gerichten Entschädigung gefordert. Doch seine Klagen wurden abgeschmettert. Dass Mazedonien nun verurteilt wurde, mag für al-Masri ein später Trost sein. Doch seine eigentlichen Häscher werden sich wohl niemals vor Gericht verantworten müssen.

Al-Masri fehlte im Gerichtssaal, als die Straßburger Richter ihr Urteil verlasen. Er sitzt seit mehr als zwei Jahren in einer Gefängniszelle im Allgäu. Nach seiner Entführung fand al-Masri nicht mehr in sein altes Leben zurück. Er wurde vom Opfer zum Wiederholungstäter: Anfang 2007 verprügelte er einen Fahrprüfer, kurz darauf zündete er nachts eine Metro-Filiale an. Er erhielt eine Bewährungsstrafe, schlug den Neu-Ulmer Oberbürgermeister nieder – und landete hinter Gittern. Nach Ansicht der Gerichtsgutachter wurde al-Masri durch die Folter schwer traumatisiert und wird deswegen von Aggressionsschüben überwältigt. Al-Masri musste nach seiner Verschleppung zwei Jahre lang warten, bis ihm eine Krankenkasse eine Trauma-Therapie genehmigte. Sieben Anträge waren zuvor abgelehnt worden.

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