Amnesty Journal Iran 31. Mai 2011

Eine besondere Beziehung zum Kino

Ali Samadi Ahadi

Ali Samadi Ahadi

Am 12. Juni 2011 jährt sich der Tag der iranischen ­Präsidentschaftswahlen zum zweiten Mal. Damals reagierte die Staatsmacht mit Gewalt auf Proteste von Bürgern, die Wahlfälschung vermuteten. ­Regisseur Ali Samadi Ahadi hat zu Beginn des Jahres mit "The Green Wave" einen preisgekrönten Film über die damaligen Ereignisse in die Kinos ­gebracht.

Herr Ahadi, seit den Präsidentschaftswahlen im Iran sind zwei Jahre vergangen. Mit Ihrem Film "Green Wave" haben Sie den damaligen Protesten ein Denkmal gesetzt …
Ich habe diesen Film über die Zustände im Iran gedreht, weil ich dachte, dass dies die Art von Verantwortung ist, die man als erwachsener Mensch übernehmen sollte. Ich habe in Uganda Filme gemacht, in Südafrika – warum nicht über den Iran? Die Menschen hatten es nötig, dass ihre Stimme gehört wird. Das große Problem bei der Produktion war natürlich, dass ich nicht in den Iran reisen konnte. Und dass die Menschen, die im Iran waren, die Journalisten und Filmemacher, keine Bilder produzieren konnten.

Wie stellt sich die Lage mittlerweile dar?
Seit den Wahlen versucht die iranische Regierung mit aller Macht, die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Da sich nichts Grundlegendes geändert hat, wird eben auch weiterhin protestiert: Arbeitslosigkeit, mangelnde Pressefreiheit, kaum Perspektiven für junge Menschen, instabile internationale Beziehungen … Solange die Realität so aussieht, suchen die ­Menschen nach
Antworten.

Worauf haben Sie bei Ihrer Arbeit besonders geachtet?
Die Ereignisse vor der Wahl waren ja schon etwas Besonderes – nach 32 Jahren iranischer Revolutionsgeschichte waren die Leute euphorisch. Und dann waren die Alternativen, die sie eigentlich wählen wollten, auf einmal nicht mehr da. Die Menschen sind auf die Straße gegangen und haben gesagt: Was ist eigentlich mit unseren Stimmzetteln passiert, wir haben doch was ­anderes als Ahmadinedschad gewählt? Die Antwort: Kugelhagel und Gefängnis. Die Frage war dann nicht mehr: Wurde die Wahl gefälscht oder nicht, sondern etwas ganz anderes: Wollt ihr auf mich schießen, bloß weil ich nach meinen Grundrechten frage? Die Bemühungen um gesellschaftliche Veränderungen hingen ­beileibe nicht an einzelnen Kandidaten.

Mussten die Protagonisten, die in Ihrem Film mitwirken, mit Konsequenzen rechnen?
Nein, die meisten Blogeinträge, die wir verwendet haben, sind ohne Klarnamen ins Netz gestellt worden. Einige sind auch von der Regierung gelöscht worden. Ausländische Journalisten waren des Landes verwiesen, iranische Journalisten waren meist in Bedrängnis. Diejenigen, die in meinem Film mit Klarnamen auftauchen, sind alle im Ausland. Die Bilder von vor Ort stammten meist von Menschen, die die Ereignisse auf der Straße mit ihren Handys dokumentiert haben. Ästhetisch und formal hatten die aber große Schwächen: kein Anfang, kein Ende, schlechter Ton, schlechte Auflösung … Man konnte vieles erahnen, aber man konnte damit keinen Kinofilm bestreiten. Da kamen mir die Blog- und Twitter-Einträge der Iraner zur Hilfe.

Haben die Menschen im Iran eine besondere Haltung zum Kino?
Ich glaube schon.

Jeder Iraner hat eine kinotaugliche Kamera!
Nicht nur das: Jeder Iraner ist auch Erdölminister. Und Teppichhändler! Spaß beiseite: Es gibt im Iran sehr große gesellschaftliche Herausforderungen. Filmregisseure, Bildende Künstler, Buchautoren sind letzten Endes nur Menschen, die der Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Kino wird im Iran sehr gern und sehr vielfältig gemacht. Doch viele namhafte Filmemacher durften in den vergangenen Jahren keine Filme mehr drehen. Es stimmt: Der Iran bringt extrem gute Filmemacher hervor! Aber unter Präsident Mahmud Ahmadinedschad gibt es starke Beeinträchtigungen; gesellschaftlich relevante Themen bleiben außen vor. Ich hoffe auf die Zeit, wo das anders sein wird. Und in der ich – als Deutscher iranischer Herkunft – nicht einen Film über iranische Wahlen drehen muss.

Wie schätzen Sie die Situation der Künstler ein?
Wir sehen ja am Schicksal des Filmregisseurs Jafar Panahi, den man wegen seines politisch-künstlerischen Engagements mit Haft und Berufsverbot belegt hat, was passiert, wenn sich Künstler politisch betätigen. Das war ein klares Signal der Regierung: Jeder, der sich mit der Menschenrechtssituation beschäftigt, muss einen hohen Preis dafür zahlen. Man wollte zeigen: Wenn wir das mit renommierten Künstlern machen, machen wir es mit weniger bekannten Personen erst recht.
Ich glaube, die Künstler müssen sich zu der Haltung durchringen, dass es ein fundamentales Recht ist, sich zu äußern: Iran hat eine Verfassung, in der die Unversehrtheit von Körper und Seele steht, in der Meinungs- und Pressefreiheit zugesichert wird. Man muss das System mit diesen Aussagen konfrontieren. Menschen wie Panahi müssen auf ihrem Recht bestehen.

Wird man Ihren Film auch im Iran sehen können?
Im Fernsehen wohl nicht, das ist ja in den Händen des Staates. Ich bin mir aber sicher, dass die Menschen im Iran den Film zu sehen bekommen.

Fragen: Jürgen Kiontke

Twitter verfilmt
Ali Samadi Ahadi, 39, geboren im Iran, floh infolge des Krieges zwischen Iran und Irak, in dem er als Kindersoldat rekrutiert werden sollte, im August 1985 ohne seine Eltern nach Deutschland. Seit 2000 arbeitet er als Regisseur, Drehbuchautor und Cutter. Für seinen Dokumentarfilm "Lost Children" (D 2005) über das Schicksal von Kindersoldaten in Uganda erhielt Ahadi im Jahr 2006 den Deutschen Filmpreis in der Kategorie Bester Dokumentarfilm. 2009 kam seine Komödie "Salami Aleikum" (D 2009) in die Kinos, damit gewann er den Preis der deutschen Filmkritik für das beste Spielfilmdebüt. Für seine Fernsehdokumentation "Iran: Elections 2009" über die Proteste nach den iranischen Präsidentschaftswahlen 2009 bekam er den Menschenrechtsfilmpreis in Nürnberg und einen Grimme-Preis. Der Film dokumentiert Aussagen und Filme von Aktivisten rund um den Tag der iranischen Präsidentschaftswahl auf den Straßen Teherans und die Verfolgung durch die Polizei, nimmt aber auch Rekurs auf Internet-Blogs und Twitter-Einträge. Die stilistische Aufarbeitung in der Art einer "graphic novel" macht die besondere Atmosphäre des Films aus. Unter dem Titel "The Green Wave" kam im Februar eine 80-minütige Fassung des Films in die Kinos.

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