Amnesty Report Schweiz 09. Juni 2016

Schweiz 2016

 

Das Parlament verabschiedete ein weitreichendes neues Überwachungsgesetz. Unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch Polizeibeamte, namentlich bei Abschiebungen von Asylsuchenden, waren weiterhin ein Thema, ebenso die Schwäche der geltenden Rechenschaftsmechanismen für Polizeibeamte. Opfern von Menschenhandel sowie ausländischen Opfern von häuslicher Gewalt wurde der Zugang zu Schutzmaßnahmen erschwert.

Gesetzliche, verfassungsrechtliche und institutionelle Entwicklungen

Im März 2015 lancierte die Schweizerische Volkspartei (SVP), die Ende des Jahres die größte Fraktion in der Bundesversammlung stellte, unter dem Titel "Schweizer Recht statt fremde Richter" eine Volksinitiative mit dem Ziel, die Schweizer Bundesverfassung über völkerrechtliche Verpflichtungen zu stellen. Die vorgeschlagene Verfassungsänderung müsste zwar zuerst noch in einer Volksabstimmung gutgeheißen werden, um in Kraft zu treten, die damit verbundenen Debatten schürten jedoch bereits ein Klima der Feindseligkeit gegenüber internationalen Menschenrechtsverträgen und besonders der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Folter und andere Misshandlungen

Im August 2015 kritisierte der UN-Ausschuss gegen Folter, dass der Tatbestand der Folter noch immer nicht ins Schweizer Strafgesetzbuch aufgenommen wurde. Auch äußerte sich der Ausschuss besorgt über die unzureichende Finanzierung der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (Folter-Präventionsmechanismus des Landes).

Der UN-Ausschuss forderte die Schweizer Behörden des Weiteren auf, einen wirksamen unabhängigen Beschwerdemechanismus für Fälle von Polizeigewalt einzurichten. Außerdem sollen mit Gesetzesänderungen und einer besseren Ausbildung von Justiz- und Polizeibeamten die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass mehr Fälle von Gewalt gegen Frauen strafrechtlich verfolgt werden. Eine weitere Forderung des Ausschusses war die Aufnahme des Istanbul-Protokolls (UN-Standard für die Untersuchung und Dokumentation von Folter) in die Ausbildungsinhalte von Beamten der Strafverfolgungsbehörden.

Polizei und Sicherheitskräfte

Im Juli veröffentlichte die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) einen Bericht, in dem sie sich besorgt zeigte über die übertriebene Anwendung von Zwangsmaßnahmen durch die Polizei und die Sicherheitskräfte bei Abschiebungen (Ausschaffungen). Der Bericht dokumentierte Fälle von Vollfesselungen schutzbedürftiger Personen und die Anwendung von Zwangsmaßnahmen gegen Personen, die keine Gegenwehr gegen ihre Abschiebung leisteten. Die NKVF äußerte zudem erneut Besorgnis über eine fehlende einheitliche Vorgehensweise der verschiedenen kantonalen Polizeieinheiten bei Abschiebungen.

Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten

Abschiebungshaft Zivilgesellschaftliche Organisationen und der UN-Ausschuss gegen Folter zeigten sich besorgt über die unverhältnismäßig vielen Inhaftierungen von Migrantinnen und Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus in einigen Kantonen. Besonders häufig kam es im Zusammenhang mit Dublin-Rückführungen von Asylsuchenden in EU-Länder zu solchen Inhaftierungen. Der Ausschuss kritisierte außerdem, dass Asylsuchende im Alter von 15 bis 18 Jahren in der Schweiz bis zu einem Jahr in Haft gehalten werden können.

Menschenhandel Zivilgesellschaftliche Organisationen äußerten sich kritisch über eine nationale Weisung, die im Juli 2015 an die Kantone übermittelt wurde. Die mit der Weisung in Kraft gesetzten neuen Maßnahmen sehen vor, dass Opfer von Menschenhandel nur unter der Bedingung Zugang zu humanitärem Schutz erhalten, dass sie in Strafverfahren gegen Schleuser aussagen. Zudem wurden Opfer von Menschenhandel, die sich in einem laufenden Asylverfahren befinden, durch die neuen Bestimmungen von humanitären Schutzmaßnahmen ausgeschlossen.

Häusliche Gewalt Im August 2015 kritisierte der UN-Ausschuss gegen Folter, dass Ausländerinnen, die häusliche Gewalt erleiden, erst ab einem bestimmten Schweregrad der Übergriffe als Härtefall betrachtet werden. Ist dieser Schweregrad nicht erreicht, müssen die Gewaltopfer gemäß dem geltenden Ausländergesetz befürchten, ihre an den Ehemann gebundene Aufenthaltsgenehmigung zu verlieren, wenn sie sich von ihm trennen wollen.

Recht auf Privatsphäre

Im September 2015 erließ das Parlament ein neues Überwachungsgesetz, das u. a. den Nachrichtendienst des Bundes dazu befugt, Datenströme in die Schweiz und aus der Schweiz weitflächig abzufangen, Metadaten, Browserverläufe und Inhalte von E-Mails einzusehen sowie Spionage-Software der Regierung (Staatstrojaner) einzusetzen.

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