Blog 26. April 2012

Wie ein großes Puzzle

Waffen verboten: Plakat in der afghanischen Hauptstadt Kabul.

Amnesty International setzt sich seit Jahren für eine strengere Kontrolle des weltweiten Waffenhandels ein. Lobbyarbeit spielt dabei eine wichtige Rolle.

Katharina Spieß arbeitet in der Abteilung "Länder, Themen und Asyl" der deutschen Amnesty-Sektion als Expertin für "Rüstungskontrolle und Menschenrechte".

 

Jede Minute stirbt irgendwo auf der Welt ein Mensch durch Waffengewalt, vor allem durch Klein- und Leichtwaffen wie Pistolen, Maschinengewehre und Granaten. Das sind eine halbe Million Menschen jedes Jahr.

60 Prozent aller von Amnesty International dokumentierten Menschenrechtsverletzungen werden mit konventionellen Waffen begangen. Trotzdem wird der internationale Waffenhandel kaum kontrolliert. Es existieren zwar detaillierte internationale Vereinbarungen darüber, wie Astronauten im Falle einer "Weltallnot" gerettet werden sollen, aber für die Frage, unter welchen Voraussetzungen und an wen konventionelle Rüstungsgüter verkauft werden dürfen, gibt es bis heute keine weltweit gültige Regelung.

Die unkontrollierte Verbreitung und der Missbrauch von Waffen führen in vielen Ländern zu Menschenrechtsverletzungen: Ein Junge in der kongolesischen Stadt Goma beobachtet einen Soldaten der Armee.

Ein internationaler Waffenhandelskontrollvertrag ("Arms Trade Treaty", kurz: ATT) ist daher dringend erforderlich.

Im Juli könnte es endlich so weit sein: Erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen beraten in New York die Staaten der Welt über einen ATT. Dass diese Konferenz überhaupt stattfinden wird, daran hat Amnesty einen großen Anteil. Seit 2003 haben wir gemeinsam mit anderen Nichtregierungsorganisationen auf dieses Ziel hingearbeitet.

Dabei haben nicht nur Kampagnen und das ehrenamtliche Engagement unserer Mitglieder eine wichtige Rolle gespielt, sondern auch die Gespräche mit Vertretern der Regierungen und mit Parlamentsabgeordneten. Mit anderen Worten: intensive Lobbyarbeit.

Bei dem Wort Lobbyarbeit denken viele Menschen an Mauscheleien und dubiose Treffen in Hinterzimmern. Doch dieser Eindruck ist falsch. Bei der Lobby-Arbeit, wie wir sie betreiben, geht es darum, unsere legitimen Themen und Anliegen in die Politik und die Regierung hinzutragen – mit Argumenten. Und genau das tue ich bei Amnesty. Für den ATT ist es von großer Bedeutung, dass sich möglichst viele Staaten für strikte Kontrollen zum Waffenhandel aussprechen.

Wie meine Kollegen und Kolleginnen in anderen Staaten spreche ich die Bundesregierung an, um sie über unsere Forderung zu informieren. Unsere Forderungen lauten gegenüber allen Staaten gleich:

Der ATT muss umfassend sein und für alle konventionellen Rüstungsgüter gelten, er muss Transparenz herstellen, indem er die Staaten verpflichtet, regelmäßig Berichte über ihre Rüstungsgeschäfte zu veröffentlichen, und vor allem muss er die "Goldene Regel", wie wir sie nennen, beinhalten, d.h. jeder  Rüstungstransfer muss darauf geprüft werden, ob er Menschenrechte oder das humanitäre Völkerrecht verletzten oder die Armutsbekämpfung erschweren könnte.

Meine Aufgabe in Deutschland ist es, die Bundesregierung dazu zu bewegen, möglichst viele unserer Positionen aufzunehmen, damit sie diese dann in die internationalen Verhandlungen einbringt und sich stärker mit uns abstimmt.

Dafür treffe ich mich zurzeit häufig mit Vertretern des für den ATT zuständigen Auswärtigen Amtes. Mal werde ich gemeinsam mit anderen NGO-Vertretern vom Auswärtigen Amt zu Konsultationen eingeladen, doch üblicherweise finden die Treffen in einem kleineren Rahmen statt. Die Gespräche sind stets förmlich, aber freundlich. Ich informiere meine Gesprächspartner über unsere Forderungen, lege ihnen Berichte vor und versuche, ihre Vorbehalte auszuräumen und sie von unserem Anliegen zu überzeugen.

Hingucker: In einem ausrangierten Panzer fuhren Mitarbeiter von Amnesty, Oxfam und IANSA im Juni 2005 zu den Botschaften der G8-Staaten in London, um für die Kampagne "Waffen unter Kontrolle" zu werben.

Ich treffe mich auch mit Bundestagsabgeordneten, da der Druck auf die Regierung erhöht wird, wenn es auch von parlamentarischer Seite ein großes Interesse für das Thema gibt. Gelegentlich entschließen wir uns auch, mit Petitionen, Aktionen und Pressemitteilungen die Öffentlichkeit zu suchen. Denn wenn die Regierung spürt, dass viele Menschen im Land einen möglichst starken ATT wollen, wird sie sich dafür auch stärker einsetzen.

Bei meiner Arbeit hilft mir natürlich, dass ich im Namen von Amnesty auftrete, der weltweit größten Menschenrechtsorganisation, denn ich habe bei meinen Gesprächen weltweit drei Millionen Mitglieder und Unterstützer auf meiner Seite. Amnesty hat beim Thema Rüstungskontrolle mittlerweile eine etablierte Position, da wir zu diesem Thema seit Jahren kontinuierlich arbeiten. Meine Gesprächspartner wissen: Unsere Berichte sind gut recherchiert und unsere Empfehlungen wohl überlegt und fundiert. Deswegen ist unsere Expertise sehr geschätzt.

Einmal in der Woche spreche ich in einer Telefonkonferenz mit meinen Kolleginnen und Kollegen der anderen europäischen Amnesty-Sektionen, stimme mit ihnen unser weiteres Vorgehen ab und tausche Informationen mit ihnen aus. Dort zeigt sich die internationale Stärke unserer Organisation. Durch den intensiven Austausch habe ich einen sehr guten Überblick, was in anderen Staaten läuft. Das hilft mir in meinen Gesprächen mit Vertretern der Bundesregierung.

Und es macht Spaß zu erleben, wie wir wie bei einem großen Puzzle die Informationen aus den unterschiedlichen Sektionen zusammentragen und dann sehen, welche Staaten sich wie und warum verhalten und wo wir eventuell noch mehr tun müssen. Als Lobbyistin braucht man einen langen Atem, und man darf sich auch nicht scheuen, den Leuten manchmal auf die Nerven zu gehen. Das gehört zum Job. Viele Treffen, Gespräche und Telefonate sind nötig, um seinen Zielen langsam näher zukommen.

Jedes Jahr wird genügend Munition hergestellt, um jeden Menschen auf der Welt zweimal zu töten: Ein Junge hält in der Nähe des Dorfes Rounyn im Norden Dafurs Munition, die er gefunden hat, in die Kamera (März 2011).

Umso mehr freut man sich, wenn man sieht, dass es Erfolge gibt und sich der Einsatz lohnt. Vor knapp zehn Jahren hat die Bundesregierung beispielsweise noch sinngemäß gesagt: "ATT? Das brauchen wir nicht!". Es war auch unser Einfluss, der die Regierung dazu gebracht hat, dass Deutschland mittlerweile ein großer Befürworter des ATT ist.

Gemeinsam mit anderen Nichtregierungsorganisationen wird sich Amnesty in den nächsten Monaten mit aller Kraft dafür einsetzen, dass sich die Staaten auf einen starken ATT einigen werden. Dies kann gelingen, aber es braucht dafür starke Stimmen von ganz vielen Menschen, die den Regierungen sagen: "Wir brauchen den ATT, und wir brauchen ihn jetzt!"

Deswegen brauchen wir Ihre Unterstützung. Unterschreiben Sie die Petition und informieren Sie Ihre Freunde und Bekannte über unsere Kampagne. Jede Stimme zählt! Je mehr Menschen mitmachen, umso mehr findet auch meine Stimme und damit auch das Anliegen von Amnesty in den Lobby-Gesprächen Gehör!

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"Hände hoch für Waffenkontrolle": Clip zur aktuellen Amnesty-Kampagne für einen weltweit gültigen Vertrag zur Kontrolle des Waffenhandels. (Video auf YouTube)

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