Blog 11. Dezember 2012

Macht weiter so, Filmemacher!

"Wie kann man diese Apathie aufbrechen?" - Szene aus dem Kurzfilm "Bon Voyage" von Fabio Friedli.

Regisseur und Jury-Mitglied Pagonis Pagonakis über die Gewinner des Deutschen Menschenrechts-Filmpreises 2012.

Amnesty-Mitglied Pagonis Pagonakis, mehrfach national und international ausgezeichneter Filmemacher, ist seit 2008 Mitglied der Jury des Deutschen Menschenrechts-Filmpreises. 2006 erhielt er selbst den Preis für die ARD-Dokumentation "Tod in der Zelle. Warum starb Oury Jalloh?".

 

Alle zwei Jahre wieder, kommt das Christuskind, ins winterlich-kalte Nürnberg, wo wir Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler sind. Es macht einen Abstecher vom Christkindlmarkt zur Tafelhalle und verteilt statt Lebkuchen Lob und Segen unter Filmemacherinnen und Filmemachern, die sich um die Menschenrechte verdient gemacht haben.

So könnte eine kommerzfreie Weihnachtsgeschichte beginnen, die jetzt in Nürnberg, der "Stadt der Menschenrechte", dargeboten wurde. Die Rede ist vom Deutschen Menschenrechts-Filmpreis, der am 08. Dezember 2012 zum achten Mal vergeben wurde. Zusammen mit meinen Jury-Kolleginnen und -Kollegen Ulla Hocker, Maren Niemeyer, Jan Krüger und Daniel Sponsel haben wir in den Kategorien "Profi" und "Kurzfilm/Magazinbeitrag" zwei Filme ausgezeichnet, die sich nach unserer Auffassung filmisch herausragend mit ihrem "Gegenstand" auseinandergesetzt haben.

Heidi Specogna gewann den Profi-Preis mit ihrem Film "Esther und die Geister" (ZDF/3sat). Ein 30-minütiger Dokumentarfilm im Rahmen der gerade abgesetzten 3sat-Dokumentarfilmreihe "Mädchengeschichten", die 17-jährige Mädchen aus verschiedenen Ländern der Welt porträtiert.

"Ein äußerst berührender, unaufgeregt erzählter Film": Szene aus "Esther und die Geister" von Heidi Specogna.

Heidi Specogna ist dafür in das Grenzland der Zentralafrikanischen Republik zur Demokratischen Republik Kongo gereist. Dort lebt in der Stadt Bangui die 17-jährige Esther. Als sie sieben Jahre alt war, wurde ihre Familie von kongolesischen Söldnern überfallen, der Vater ermordet und alle weiblichen Familienmitglieder vergewaltigt.

Esther möchte ihr Französisch verbessern, sie will arbeiten, eine Familie haben und endlich die Geister loswerden, die sie von Zeit zu Zeit heimsuchen und ihr jegliche Kraft nehmen. Der Dokumentaristin ist ein äußerst berührender, unaufgeregt erzählter Film gelungen, der den Opfern des Krieges ihre Würde belässt und den Blick nach vorne richtet: Wie gehen Esther, ihre Schwester Judith und die Mutter mit dieser traumatischen, zerstörerischen Erfahrung um; und wie ist ein Weiterleben möglich?

"Bon Voyage", gute Reise, wünschen wir Reisenden. Aber für tausende Menschen endet ihre Reise jedes Jahr tödlich. Sie ertrinken im Mittelmeer, bleiben in Stacheldrahtzäunen hängen, ersticken in Lastwagen oder sterben auf andere Weise bei ihrem Versuch, in die "Festung Europa" zu gelangen.

"Sarkastischer Humor als erzählerisches Mittel" - Szene aus dem Kurzfilm "Bon Voyage" von Fabio Friedli.

Wir haben uns an die Nachrichten gewöhnt. Wie kann man diese Apathie aufbrechen? Fabio Friedli ist es mit seinem sechseinhalbminütigen Animationsfilm "Bon Voyage" gelungen. Durch eine formal schlichte Strichmännchen-Geschichte schafft er es, uns aus unserer Nachrichtenmüdigkeit zu reißen; und durch sarkastischen Humor als erzählerisches Mittel gelingt es ihm, uns in unserem Zynismus zu erschüttern, der diese Verhältnisse billigt. Und mich phantasieren lässt: Wie hätte das Nobelpreis-Komitee entschieden, wenn es vorher diesen kleinen, großen Film gesehen hätte? Friedensnobelpreis für Europa? Der Deutsche Menschenrechts-Filmpreis für Fabio Friedli und seinen Kurzfilm "Bon Voyage"!

Die frohe Botschaft aus Nürnberg lautet: Macht weiter, Filmemacherinnen und Filmemacher, Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler. Das Christuskind kommt nicht auf diese Erde nieder, um uns zu erlösen.

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