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Keine Tränen für das Krokodil
Die junge Generation in Simbabwe will ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Doch die alten Strukturen sind noch mächtig.
Von Elisabeth Wellershaus, Harare
Das Hauptquartier der ZANU-PF liegt schon hinter uns, da dreht sich Munyaradzi Nkomo noch einmal um. Er zeigt auf das massige Hochhaus im Zentrum von Harare und auf den aufgeplusterten schwarzen Hahn, der unter dem Dach prangt. Die Zimbabwe African National Union – Patriotic Front (ZANU-PF) ist das alte und das neue Machtzentrum des Landes.
Die Erleichterung in der Öffentlichkeit war groß, als der 93-jährige Robert Mugabe nach 37 Jahren Herrschaft im November vergangenen Jahres endlich abtrat. Viele Simbabwer hatten nach den Protesten gegen den Diktator auf echten Wandel gehofft – und auf den Sieg der Oppositionspartei MDC-Alliance. Seit der Wahl im Juli 2018 sieht es aber so aus, dass die ZANU-PF weiter regiert und Emmerson Mnangagwa Staatschef bleibt. Er hatte sich nach Jahrzehnten der Zusammenarbeit gegen Mugabe gestellt und sich mit Hilfe des Militärs an die Parteispitze geputscht.
Gerade jüngere Simbabwer wie Munyaradzi Nkomo sehen das kritisch. Der Gockel an der Parteizentrale ist für ihn nur noch ein veraltetes Symbol, ein Relikt des Widerstandskampfes gegen die Weißen, mit dem sich die Generation Mnangagwa lange identifizierte. "Für mich stehen ihre Heldenmythen bloß noch für das Festklammern an alten Machtstrukturen", sagt Nkomo. Aber auch den jungen Oppositionsführer Nelson Chamisa findet er problematisch: Mnangagwas Widersacher legte beim Kampf um die Führung der MDC-Alliance einen brachialen Alleingang hin.
Es war die Politik der alten Unabhängigkeitskämpfer, die Simbabwe in den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ruin getrieben hatte. Repression, Armut und unendliche Gewalt gegen ethnische Minderheiten, Dissidenten und weiße Farmer waren Teil von Mugabes Herrschaft und von Mnangagwa mitgetragen worden. Er war Vizepräsident, Justiz-, Verteidigungs- und Sicherheitsminister des Diktators. Auch nach den Wahlen im Juli gab es Todesopfer bei Oppositionsprotesten in Harare. Und viele bezweifeln, dass ausgerechnet der 75-jährige Mnangagwa, den sie das "Krokodil" nennen, einen Neustart hinlegen kann. Er soll das Land einen, ausländische Investoren davon überzeugen, dass Simbabwe wieder stabil ist und die eigene Jugend davon abhalten, es zu verlassen. "Mit den Jüngeren wird er die größten Probleme bekommen", sagt Nkomo, als wir am streng bewachten Präsidentenpalast vorbeifahren. "Die alte Machtelite hat kaum noch Verbindung zu meiner Generation."
Munyaradzi Nkomo ist 38 und damit für simbabwische Verhältnisse bereits verhältnismäßig alt, denn 60 Prozent der 16 Millionen Einwohner sind jünger als 25. Doch am politischen Leben nehmen sie kaum teil. Und auch deshalb quält Nkomo sich an diesem Nachmittag durch den Feierabendverkehr in der überfüllten Hauptstadt. Der Mann, der für das internationale Kinderhilfswerk World Vision arbeitet, ist auf dem Weg in die ländlichen Provinzen, um dort Jugendliche zu motivieren, ihre Zukunft in die Hand zu nehmen.
Nach dem Wirtschaftsstudium hatte Nkomo mit dem Gedanken gespielt, in die USA zu gehen. Aber das Gefühl, sein Land brauche ihn, siegte. Seit zwei Jahren fährt er deshalb für die NGO regelmäßig in den nordöstlichen Distrikt Makoni, um sich in den Dörfern mit Lehrern, Gemeindevorstehern und Schülern zu treffen. Bei seinen Besuchen will er herausfinden, wie sich das Leben von Kindern und Jugendlichen auf dem Land verbessern ließe. Ein mühsames Geschäft. An den Bäumen neben der Landstraße kleben Anzeigen für Aushilfsjobs: Hecken trimmen, Schädlinge bekämpfen, Reetdach decken.
Mangel an Vertrauen
Gemüsehändler und CD-Verkäufer sitzen vor den Auslagen ihrer Waren. Häufig vergeblich. Simbabwe gehört am Ende der Ära Mugabe zu den ärmsten Ländern der Welt. Es gilt als korrupt, wirtschaftlich ruiniert und international isoliert. Die Menschen in den Dörfern warten auf Toiletten, die in ihren Hütten installiert werden sollen. In den Städten stehen sie vor Banken Schlange, in denen kaum noch Geld lagert. Etliche junge Menschen haben Simbabwe längst verlassen. Sie leben in den Nachbarländern oder in Europa. Das Geld aus der Diaspora sorgt dafür, dass ihre Familien wenigstens das Nötigste zum Leben haben.
Die ZANU-PF wird sie kaum zurücklocken, selbst der junge Zweig der Partei nicht, die "Generation 40": Viele Simbabwer im Ausland sind Anhänger der MDC-Alliance. Nur der Bruch mit der alten Politik und die Öffnung des Landes könnten sie zurückholen. Das wäre zumindest die Voraussetzung für die Wiedergesundung des Arbeitsmarktes, der Landwirtschaft und der desaströsen Staatsfinanzen. Viele bleiben skeptisch, auch Munyaradzi Nkomo. Er war noch nicht mal dabei, als im November 2017 Tausende auf den Straßen Mugabes Rücktritt forderten. Er schreibt auch keine politischen Gastbeiträge mehr für kritische Blogs und Zeitungen. Nkomo traut weder Chamisa noch Mnangagwa. Nur verhalten träumt er von einem unabhängigen Simbabwe, einem Land, das eines Tages wieder ohne interne Machtkämpfe oder westliche Hilfe erblüht.
Er rümpft die Nase, als 20 junge Polizisten neben ihm in einen Bus steigen. "Keiner von denen wird die Strecke in die Stadt bezahlen", sagt Nkomo. Denn Staatsangestellte profitieren noch immer von den alten Gefälligkeitsstrukturen. Genau wie ethnische Zugehörigkeiten noch immer bestimmen, wer die Macht im Land hat und wer nicht. Nkomos Mutter gehört zur ethnischen Mehrheit der Shona, sein Vater zur Minderheit der Ndebele. Es ist eines der wenigen Themen, über die er ganz offen spricht: über die Massaker an den Ndebele vor zwanzig Jahren und über die Angst davor, aufgrund von Aussehen, Herkunft oder Haltung wieder in Ungnade zu fallen. Die Jugendlichen, die er auf seiner Reise über die Dörfer besucht, sprechen kaum offen über diese Angst. Einige haben in ihren Hütten Radios und empfangen Nachrichten aus Harare. Ansonsten sind sie trotz ambitionierter Stundenpläne, die in der Hauptstadt entworfen werden, vom Austausch mit der Welt relativ abgeschnitten.
Weg mit dem System
An der Hotelbar flüstert Nkomo mir den Namen eines Künstlers und Dissidenten zu, der gegen das alte System ankämpft. Es dauert keine zehn Minuten, bis der Kontakt sich auf eine WhatsApp-Nachricht hin meldet. Emmanuel Nkosilathi Moyos Handy liegt fast immer griffbereit, sagt er per Skype. Er steht in ständigem Kontakt mit anderen jungen Aktivisten. Und ist getrieben von dem Gedanken, sich mit ihnen gegen die alten Männer der ZANU-PF zu wehren. 1987 wurde Moyo in der kleinen Minenstadt Kwekwe, westlich von Harare, geboren, im selben Jahr, als Mugabe Staatspräsident wurde. "Die Geschichten, die meine Mutter mir früher erzählt hat, hatten immer mit Politik zu tun", sagt er. Moyo war noch ein Teenager, als Repression und Gewalt eskalierten. Er musste zusehen, wie Freunde und Bekannte von Mitgliedern der ZANU-PF zu brutalen Jugendmilizen erzogen wurden. Etwas später gründete er deshalb eine eigene Jugendorganisation, die einen Gegenentwurf darstellt.
Mittlerweile hat Moyos Organisation for Youths in Politics an die 2.500 aktive Mitglieder. Er selbst ist erst kürzlich aus Deutschland nach Simbabwe zurückgekehrt. Sein Buch "Dismantling the System of Mugabeism" ("Die Demontage des Mugabe-Systems") wurde veröffentlicht, während er ein Stipendium für geflüchtete Künstler in Berlin hatte. Doch nun ist er wieder in Kwekwe, plant ein Protestkonzert gegen Repressionen, schreibt Gedichte und motiviert vor allem Jüngere, sich politisch zu engagieren.
"Seit Mugabes Rücktritt hat sich die Lage im Land angeblich verbessert", sagt der 31-Jährige. "Aber auch diesmal waren in den Wochen um die Wahl im Juli Milizionäre unterwegs, die uns einschüchtern sollten." Er erzählt von Minenarbeitern, die verprügelt wurden, weil sie die Korruption in der Regierungspartei kritisierten, die sich illegal am Gold der Provinzen bereichert. Und davon, wie weit er selbst geht, um etwas zu verändern. Eine Haftstrafe hat er bereits verbüßt, war mehrmals im Exil in Südafrika. Zum Beispiel, nachdem er Mugabe zum Geburtstag ein Gefängnis-Outfit mit der Aufschrift "Crimes against Humanity" ("Verbrechen gegen die Menschlichkeit") geschickt hatte. "Nach solchen Aktionen hagelt es in der Regel Todesdrohungen", sagt Moyo, aber damit komme er klar. Die jungen Aktivisten, mit denen er arbeitet, versucht er dagegen vor Repressionen zu schützen. "Mein Ziel ist, dass sie es von hier aus in die lokale Politik und vielleicht eines Tages in die Hauptstadt schaffen", sagt Moyo, während die Skype-Verbindung wackelt. In Berlin hat er sich mit Nachwuchspolitikern getroffen und zugehört, wie sie mit ihrem Oppositionsdasein umgehen. In Deutschland gebe es "eine Kultur der Toleranz", schwärmt er. Und wünscht sich das gleiche für Simbabwe.
Angst vor den Milizen
Doch gerade auf dem Land steckt die Angst vor den berüchtigten Jugendmilizen Mugabes noch immer vielen in den Knochen. Auf der Straße neben einer Schule in Makoni in der Provinz Manicaland im Osten Simbabwes fährt ein grüner Lastwagen vorbei, auf dem die Green Bombers, junge Männer im grünen Armeedress, sitzen. Offiziell sind sie nicht mehr aktiv. Aber es gibt sie noch. Auch Mnangagwa hat Verbündete bei den Jüngeren, seine Nähe zur Armee schafft bei vielen nicht gerade Vertrauen. Die Angst vor Repressionen weicht hier auf dem Land nur ganz langsam einer vorsichtigen Aufbruchsstimmung.
Im Klassenzimmer pflegt man weiterhin die Mythen rund um den Freiheitskampf gegen die britischen Besatzer. "Gukurahundi", das Massaker an den Ndebele, bei dem in den 80er Jahren an die 20.000 Oppositionelle getötet wurden, wird hier ebenso wenig besprochen wie die verkrusteten Strukturen im Land. Auch deshalb kommt Nkomo regelmäßig nach Makoni. "Weil Kinder und Jugendliche hier aufgeklärte Leute brauchen, mit denen sie über Vergangenheit und Zukunft reden können", sagt er. Denn die meisten jüngeren Intellektuellen sitzen in den großen Städten.
Eine Frau als Präsidentin
Das Internet ist besonders wichtig für die Kritiker. Über die Hälfte aller Simbabwer sind bei Facebook aktiv, gut jeder Dritte bei WhatsApp, immerhin knapp 20 Prozent bei Twitter. Auch Namatai Kwekweza hat ihre Jugendorganisation We Lead vor allem online auf die Beine gestellt. Sie ist 20 Jahre alt, ihre Twitter-Seite ist mit roten Herzchen versehen, bei wichtigen Treffen hat sie in der Regel ihre Mutter im Schlepptau. Zurück in Harare treffen wir sie zum Gespräch. Kwekweza liest, seitdem sie vier Jahre alt ist. Ihr Wissen über Politik, Geschichte und Management hat sie sich in Bibliotheken erarbeitet, Kontakte zu internationalen Organisationen bei Summer Schools und Konferenzen in Norwegen, Dänemark und den USA geknüpft. Rhetorische Erfahrungen hat sie im Jugendparlament gesammelt, eine natürliche Autorität scheint ihr angeboren. Mittlerweile hat sie ein Netz aus mehr als 100 lokal engagierten Studierenden aktiviert, mit denen sie Seminare für junge Menschen entwirft, bei denen es vor allem um eines gehen soll: Good Governance, das gute Regieren.
Kwekweza plant, per Fernstudium Jura zu studieren, "hauptberuflich" will sie sich lieber in Sachen politische Teilhabe und Korruption engagieren. Gerade verhandelt sie mit Investoren über ein Gebäude, in das ihre Initiative einziehen soll. "Der Immobilienmarkt ist nach Mugabes Abgang noch im Keller, die Zeit also günstig", sagt Kwekweza. Ihr Zentrum soll nahe der Universität stehen, in einem industriellen Vorort, wo Kontakte zwischen Studierenden und möglichen Arbeitgebern leichter entstehen können.
"Wir wollen eine neue Gesprächskultur etablieren, die es möglich macht, dass in ein paar Jahren eine Frau, vielleicht sogar eine zurückgekehrte Weiße, hier Präsidentin wird", sagt sie übermütig. Spätestens seitdem Mnangagwa erklärt hat, dass er das Land in die Zukunft führen will, ist ihr Kampfgeist geweckt. Bei den übernächsten Wahlen will sie selbst als Kandidatin ins Rennen gehen. Sie spricht wohl vielen Altersgenossen aus dem Herzen, wenn sie sagt, dass sie das Land nicht der aktuellen Regierung überlassen will und sich ihre Generation ins Parlament wünscht: "Wir Jungen sind am Abend vor Mugabes Rücktritt ohne große Hoffnungen eingeschlafen", sagt Kwekweza. "Und am nächsten Tag in einem Land voller Möglichkeiten wieder aufgewacht. Die müssen wir nutzen."