Amnesty Journal Iran 06. März 2023

Morde mit Methode

Vor dem Brandenburger Tor in Berlin demonstrieren Menschen, sie halten ein Plakat hoch auf dem geschrieben steht "Stop Executions Iran".

Hinrichtungen als Instrument der Unterdrückung: Die Todesstrafe hat im Iran eine systemerhaltende Funktion.

Ein Kommentar von Katja Müller-Fahlbusch

Mohsen Shekari, Majidreza Rahnavard, Mohammad Mehdi Karami, Seyed Mohammad Hosseini. Vier Namen, vier ausgelöschte Leben. Vier von Hunderten, die getötet wurden. Diese vier aber wurden hingerichtet.

Im System der Islamischen Republik nimmt die Todesstrafe eine strategische Rolle ein. Todesstrafen und Hinrichtungen sind nicht nur ein menschenrechtsverachtendes Instrument der Strafvollstreckung, sie sind zugleich brutale Werkzeuge der politischen Unterdrückung. Die Hinrichtungen von Protestierenden und die Todesurteile, die nach Scheinprozessen, erzwungenen "Geständnissen" und in atemberaubender Geschwindigkeit erfolgen, sollen nur eines bewirken: Angst schüren und die seit September 2022 andauernden Proteste zum Erliegen bringen.

"Politische Hinrichtungen"

Schon im Zusammenhang mit der brutalen Niederschlagung der landesweiten Proteste im November 2019 kam Amnesty International zu dem Schluss, dass die iranischen Behörden die Todesstrafe systematisch als Instrument der Unterdrückung anwandten. Und bereits im Juni 1989 sprach Amnesty mit Blick auf die außergerichtlichen Massenhinrichtungen von 1988 von "politischen Hinrichtungen".

Solche Hinrichtungen verstoßen gegen das Völkerrecht. Völkerrechtlich ist die Todesstrafe zwar nicht grundsätzlich verboten, sie darf aber nur für die schwerwiegendsten Straftaten und nur nach einem ordnungsgemäßen Verfahren verhängt werden. Beides trifft in der Islamischen Republik in aller Regel nicht zu.

Die Protestierenden sind nach islamischem Recht zweier Delikte angeklagt, auf die die Todesstrafe steht: "Kampf gegen Gott" oder "Verdorbenheit auf Erden". Amnesty International kritisiert diese ­vagen Begriffe seit Langem. Denn darunter können jegliche Handlungen gefasst werden, die gegen das politische System gerichtet sind.

Großer Erfolg: Todesurteil ausgesetzt

So erging das Todesurteil gegen Mohsen Shekari wegen "Kampf gegen Gott". Ihm wurde vorgeworfen, am 25. September 2022 einen Milizionär mit einem Messer verletzt und eine Straße blockiert zu haben, damit Sicherheitskräfte nicht durchkommen. Sein Scheinprozess fand am 1. November statt und beruhte unter anderem auf einem mutmaßlich durch Folter erpressten "Geständnis". Weniger als fünf Wochen später, am 8. Dezember, wurde Mohsen Shekari im Morgengrauen hingerichtet.

Die Trauer und die Wut der Iraner*innen lassen sich von außen kaum erfassen. Zumal sie genau wissen, dass die Hinrichtungen Methode haben. Es gab sie bereits in der Vergangenheit, und auch in Zukunft wird die politische Führung immer wieder darauf zurückgreifen, wenn sie denn die Möglichkeit dazu hat.

Die Trauer und die Wut der Iraner*innen lassen sich von außen kaum erfassen. Zumal sie genau wissen, dass die Hinrichtungen Methode haben. Es gab sie bereits in der Vergangenheit, und auch in Zukunft wird die politische Führung immer wieder darauf zurückgreifen, wenn sie denn die Möglichkeit dazu hat.

Anstatt aber vor Trauer und Wut gelähmt zu sein, wandeln die Protestierenden ihre Emotionen um: "Tötet ihr einen, kommen 1.000 nach", lautet ein bekannter Slogan der Bewegung. Und als am 9. Januar bekannt wurde, dass Mohammad Ghobadlou und Mohammad Boroughani die Hinrichtung drohte, zog eine große Menschenmenge vor das Gefängnis Gohardasht nordwestlich von Teheran und skandierte: "Wenn ihr hinrichtet, dann wird es weitere Aufstände geben."

Das Todesurteil Boroughanis wurde am 11. Januar ausgesetzt – ein großer Erfolg für die mutigen Menschen im Iran. Mohammad Ghobadlou jedoch droht weiterhin die Hinrichtung. Auch an ihm soll nach dem Willen der politischen ­Führung ein Exempel statuiert werden. Es gilt also weiter hinzusehen und laut zu sein: Für Ghobadlou und für unzählige politische Gefangene, denen die Todesstrafe droht, nur weil sie von ihren ­Menschenrechten auf freie Meinungs­äußerung und Protest Gebrauch gemacht haben.

Katja Müller-Fahlbusch ist Amnesty-Referentin für den Nahen Osten.

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