Aktuell 12. Februar 2019

"Menschenrechte sind das beste Mittel gegen Terrorismus"

Porträt eines Mannes der einen Vortrag hält vor mehreren Menschen, deren Köpfe von hinten zu sehen sind

Irũngũ Houghton, der Direktor von Amnesty International in Kenia, bei einem Vortrag in Berlin im Januar 2019

Irũngũ Houghton ist seit einem Jahr Direktor von Amnesty International in Kenia. Er hat jahrelange Erfahrung in der NGO-Arbeit, vor allem im Bereich der Korruptionsbekämpfung. Warum er die in seinem aktuellen Job gebrauchen kann und wie sich Wirtschaft und Menschenrechte ergänzen können, erzählt er im Interview.

Interview: Hannah El-Hitami

Kenia hat 2018 auf dem Korruptionsindex von Transparency International noch schlechter abgeschnitten als im Jahr davor, mit nur 27 von 100 Punkten. Betrifft Korruption auch die Arbeit von Amnesty in Kenia?

Korruption ist eine der Hauptursachen für Menschenrechtsverletzungen, vor allem wenn es um sozioökonomische Rechte wie Bildung, Gesundheit oder Wasser geht. Viele dieser Rechte sind dadurch in Gefahr, dass Gelder von öffentlichen Institutionen in private Hände gelangen. Außerdem macht Korruption etwas mit den Köpfen der Menschen. In einer Gesellschaft, in der alle ständig versuchen einen Vorteil für sich herauszuschlagen, ist es sehr schwierig, sich auf gemeinsame Werte zu einigen. Das Gute ist aber, dass es in Kenia nicht nur Korruption gibt, sondern auch viele Whistleblower. Zurzeit sind 8000 Fälle vor Gericht, in denen es um Korruption und wirtschaftliche Straftaten geht. Das ist eine riesige Zahl im Verhältnis zu unserer Wirtschaft.

In einem Interview hast du mal gesagt, dass Wirtschaft und Menschenrechte sich nicht unbedingt widersprechen müssen. Was meinst du damit?

Historisch sind Menschenrechte und Wirtschaft ja eher Gegenspieler. Wir denken an Menschen und sie denken an Profit, so scheint es, doch ich sehe das anders. Letztes Jahr im Juli haben wir eine Reihe von Führungskräften aus den Bereichen Finanzen, Immobilien und Technologie gefragt, wo die Brücke zwischen Wirtschaft und Menschenrechten liegen könnte. Sie antworteten ohne lange zu überlegen: Unternehmen brauchen gebildete, zufriedene Menschen, um ihre Arbeit möglich zu machen. Gleichzeitig brauchen sie auch ethische Menschen, die nicht bei der ersten Gelegenheit von ihrem Arbeitgeber stehlen. Kenianische Firmen verlassen sich darauf, dass Menschenrechtsorganisationen moralische Werte vorantreiben. An vielen Punkten sind wir uns also einig. Wenn Unternehmen aber ihre Mitarbeitenden unterbezahlen und schlechten Arbeitsbedingungen aussetzen, dürfen wir keine Kompromisse eingehen.

Einer der Hauptarbeitsbereiche von Amnesty in Kenia ist die Menschenrechtsbildung. Was genau macht ihr da?

Wir haben bereits in dreißig Schulen Menschenrechts-AGs aufgebaut. Daran nehmen jeweils etwa 50 Schülerinnen und Schüler pro Jahr teil. Wir versuchen einen monatlichen Kalender aufzustellen, der jungen Menschen das ganze Jahr über ermöglicht, etwas über Menschenrechte zu lernen, zum Beispiel durch Essay-Wettbewerbe oder kreative Festivals. Sie sollen aber auch direkt in ihren Schulen aktiv werden. Kürzlich habe ich eine Schule besucht, wo sich Jugendliche dafür eingesetzt hatten, dass die Angestellten der Kantine Arbeitskleidung bekommen, anstatt in ihren Privatklamotten das Essen zubereiten zu müssen. Andere setzten sich für sauberes Wasser an ihren Schulen ein. Oder sie sprachen darüber, wie sich Mädchen vor sexuellem Missbrauch schützen können.

Kenia hat immer wieder mit Terrorismus zu kämpfen, wie der Anschlag der Al-Shabaab-Miliz auf ein Luxushotel in Nairobi im Januar erneut zeigte. Wird der Kampf gegen den Terror auch hier als Vorwand genutzt, um Menschenrechte wie das Recht auf Privatsphäre einzuschränken?

Terroristische Angriffe zerstören selbst immer wieder das Recht auf Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit oder das Recht auf Bildung. Doch leider schränkt die Regierung als Reaktion darauf Verfassungsrechte ein, unter dem Vorwand gegen Terror-Netzwerke vorgehen zu wollen. Wir bei Amnesty sehen Menschenrechte und die Verfassung hingegen als bestes Mittel gegen den Terrorismus. Aktuell sind wir besorgt über den Plan der Regierung, eine massenhafte DNA-Datenbank anzulegen und mit gesammelten GPS-Daten zu verknüpfen. Unsere Privatsphäre als Bürgerinnen und Bürger ist dadurch stark bedroht, denn wir haben in Kenia noch nicht einmal anständige Datenschutzgesetze.

Was inspiriert dich bei allen Rückschlägen, deine Arbeit fortzusetzen?

Für jede außergerichtliche Hinrichtung gibt es eine Gemeinschaft, die aufsteht und sich für Gerechtigkeit einsetzt. Jedes Zuhause, das zerstört wurde, hat Menschen veranlasst es wieder aufzubauen und vor Gericht zu ziehen. Ich sage den Schülerinnen und Schülern immer, dass selbst die größten Menschenrechts-Ikonen ganz gewöhnliche Menschen waren. Nur die Umstände brachten sie dazu, etwas Außergewöhnliches zu tun. Unsere Aufgabe als Amnesty ist es, ihnen dafür das Werkzeug an die Hand zu geben.

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