Aktuell 27. September 2010

Zerstörerische Auswirkungen der Ölförderung

Nigeria

Die Menschen, die im Niger Delta leben, trinken, kochen und waschen mit verschmutztem Wasser. Sie essen Fisch, der mit Öl und anderen Giften kontaminiert ist – falls es überhaupt noch ein Fischvorkommen in ihrer Umgebung gibt. Das Land, das sie bewirtschaftet haben, ist zerstört, sie atmen von Öl und Gas verseuchte Luft ein, sie klagen über Atemprobleme, Hautverletzungen und andere Gesundheitsprobleme. Trotzdem werden ihre Sorgen nicht ernst genommen und sie erhalten fast keine Informationen über die Auswirkungen der Umweltverschmutzungen, und die Ölindustrie zerstört weiterhin alle Ressourcen, die für ihr Überleben wichtig sind.

Der Fluch des Ressourcenreichtums
Das Niger Delta ist eines der 10 wichtigsten Feuchtbiotope und küstennahen Meeresökosysteme weltweit, und es ist das Zuhause von 31 Millionen Menschen. Gleichzeitig ist es ein Gebiet mit massiven Ölvorkommen, die seit Jahrzehnten von der nigerianischen Regierung und multinationalen Ölkonzernen gefördert werden. Das Öl hat seit den 1960er Jahren geschätzte 600 Milliarden US Dollar erwirtschaftet. Trotzdem lebt die Mehrheit der Bevölkerung in Armut ohne Zugang zu Trinkwasser oder einer adäquaten Gesundheitsversorgung.

Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) beschreibt in seinen Berichten, dass die "Region unter behördlicher Vernachlässigung, einer zersplitterten sozialen Infrastruktur und Fürsorge, hoher Arbeitslosigkeit, großer Armut und andauernden Konflikten leidet. Diese Armut und der Kontrast zu dem Reichtum, der durch das Öl erwirtschaftet wird, haben das Niger Delta zu einem der anschaulichsten und erschreckendsten Beispiele des so genannten "Fluchs der Ressourcen" gemacht.

Erdöl und Umweltverschmutzung
Im Niger-Delta wird das Öl durch Gemeinschaftsunternehmen ("joint ventures") zwischen nigerianischen Staatsunternehmen und internationalen Ölkonzernen gefördert. Die Shell Petroleum Development Company (Shell) ist eine Tochterfirma der Royal Dutch Shell und der Hauptakteur im Niger Delta. Die meisten Fälle, über die Amnesty berichtet und die Amnesty untersucht hat, beziehen sich auf Shell.

Das Niger Delta ist mittlerweile weitläufig verseucht. Das Mündungsgebiet des drittgrößten Flusses Afrikas ist überzogen von einem Netz aus Pipelines, unterbrochen von Förderbrunnen und Durchflussstationen. Shell allein operiert auf einem Gebiet von 31.000 Quadratkilometern. Ein Großteil der Ölinfrastruktur liegt in unmittelbarer Nähe von Häusern, Farmen und Wasserquellen der Gemeinden. Jedes Jahr gibt es Hunderte von Leckagen, bei denen sich das zähflüssige Öl über Äcker legt und in die Seitenarme des Niger fließt. Ölleckagen haben vielfältige Ursachen: Korrosion, schlechte Wartung der gesamten Infrastruktur, Lecks, menschliches Versagen, Vandalismus, Diebstahl oder Sabotage. Aus Förderanlagen wird verseuchtes Abwasser in die Flüsse geleitet. Auch das Gasabfackeln ist an der Tagesordnung, obwohl es seit 1995 verboten ist. Den Ölunternehmen wurden aber großzügige Ausnahmen gewährt.

Menschenrechtliche Auswirkungen
Die Ölverseuchung hat verheerende Auswirkung auf das Leben und die Gesundheit der örtlichen Bevölkerung. Boden, Wasser und Luft sind verseucht. Auf Menschenrechte wie das Recht auf Gesundheit, das eine saubere Umwelt umfasst, das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard (einschließlich des Rechts auf Nahrung und auf Wasser) und das Recht, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen wird keine Rücksicht genommen. Hunderttausende Menschen sind betroffen.

Der Verantwortung ausweichen - Fehler der Regierung
Das nigerianische System zur Kontrolle der Erdölförderung ist mangelhaft. Zwar gibt es Gesetze und Vorschriften, die die Firmen verpflichten, die international anerkannten Standards für eine gute Erdölförderung einzuhalten. Auch gibt es Gesetze zum Umweltschutz. Aber alle Vorschriften werden in der Praxis nicht durchgesetzt. Die staatlichen Behörden, die die Einhaltung der Gesetze überwachen sollen, arbeiten schlecht. Zum Teil stehen sie in Interessenkonflikten und setzen deswegen Gesetze nicht durch.

Darüber hinaus hat die nigerianische Regierung die Erdölunternehmen dazu ermächtigt, auch solche Angelegenheiten selbst zu regeln, die eine direkte Auswirkung auf die Menschenrechte haben. Eine staatliche Kontrolle oder Rechtsschutz gegen diese Entscheidungen bestehen in der Regel nicht. Die Bewohner des Niger Deltas müssen immer wieder die Erfahrung machen, dass ihre Menschenrechte durch die Erdölunternehmen beeinträchtigt werden, ohne dass der nigerianische Staat die Unternehmen dafür zur Verantwortung ziehen will oder kann.

Darüber hinaus wird den Bewohnern systematisch der Zugang zu Informationen darüber, wie die Erdölförderung ihr Leben berühren wird, sowie der Zugang zum Justizwesen verwehrt.

Schuld der Konzerne
Auch die Ölunternehmen tragen eine eigene Verantwortung für ihr Handeln. Sie halten internationale Standards und Praktiken des Umwelt- und Menschenrechtsschutzes nicht ein. Im Gegenteil: Ölfirmen nutzen die Tatsache aus, dass der nigerianische Staat sie nicht kontrolliert. So ergreifen sie nicht die erforderlichen Maßnahmen, um Umweltschäden zu verhindern. Außerdem entziehen sie sich der Verantwortung für die verheerenden Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf das Leben der Bewohner im Niger Delta.

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