Flüchtlinge in Gefahr
Im Niemandsland: Flüchtlinge zwischen den Grenzzäunen Syriens und der Türkei
© Amnesty International
Seit dem 18. November sollen etwa 80 syrische Flüchtlinge, die im Abschiebelager Aşkale in Erzurum festgehalten worden waren, nach Syrien abgeschoben worden sein. Dort sind sie in Gefahr, schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt zu werden. In dem Abschiebelager befinden sich noch 50 Asylsuchende und Flüchtlinge. Den syrischen Staatsangehörigen unter ihnen droht die Abschiebung.
Appell an
INNENMINISTER
Mr Selami Altınok
İçişleri Bakanlığı
Bakanlıklar, Ankara
TÜRKEI
(Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 90) 312 425 85 09
E-Mail: ozelkalem@icisleri.gov.tr
GENERALDIREKTION FÜR MIGRATION
Mr. Atilla Toros
Director General
Lalegül Çamlıca Mahallesi 122. Sokak
No: 2/3, 06370 Yenimahalle Ankara
TÜRKEI
(Anrede: Dear Director General / Sehr geehrter Herr Generaldirektor)
Fax: (00 90) 312 422 09 00 oder (00 90) 312 422 09 99
E-Mail: gocidaresi@goc.gov.tr
Sende eine Kopie an
VORSITZENDER DER MENSCHENRECHTSINSTITUTION
Dr. Hikmet Tülen
Yüksel Caddesi No. 23, Kat 3
Yenişehir
06650 Ankara
TÜRKEI
Fax: (00 90) 312 422 29 96
BOTSCHAFT DER REPUBLIK TÜRKEI
S. E. Herrn Hüseyin Avni Karslioğlu
Tiergartenstr. 19-21
10785 Berlin
Fax: 030-275 90 915
E-Mail: botschaft.berlin@mfa.gov.tr
Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Türkisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 1. Januar 2016 keine Appelle mehr zu verschicken.
Amnesty fordert:
E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN
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Bitte stoppen Sie alle weiteren Abschiebungen von Flüchtlingen und Asylsuchenden, die im Abschiebelager Aşkale in Erzurum festgehalten werden.
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Bitte lassen Sie alle inhaftierten Flüchtlinge und Asylsuchenden frei und gewähren Sie ihnen Schutzstatus.
- Leiten Sie bitte umgehend eine unabhängige Untersuchung der Umstände der Abschiebung von 80 Flüchtlingen und Asylsuchenden ein, die sowohl gegen türkisches Recht als auch gegen das Völkerrecht verstoßen.
PLEASE WRITE IMMEDIATELY
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Urging the Turkish authorities to immediately halt any further forcible returns of any asylum-seekers or refugees held in Erzurum Removal Centre.
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Calling on them to immediately release the remaining detained asylum-seekers and refugees and grant them status in Turkey.
- Urging the authorities to start a prompt, independent and impartial investigation into the circumstances of the deportation of the 80 refugees and asylum-seekers, which was in violation of Turkish and international law.
Sachlage
Ein Verwandter von N.B., einem Angehörigen einer Gruppe von bis zu 20 Flüchtlingen, erklärte am 19. November gegenüber Amnesty International, seinen Informationen zufolge sei die Gruppe am 18. November über den Grenzübergang Bab al-Hawa nach Syrien abgeschoben worden.
Am 19. November ist eine weitere Gruppe von etwa 30 Flüchtlingen über denselben Grenzübergang nach Syrien abgeschoben worden. Zwei Flüchtlinge erzählten Vertreter_innen von Amnesty International, man habe sie gezwungen, ein auf Türkisch verfasstes Dokument zu unterzeichnen. Später hätten sie von einem Wächter erfahren, dass sie durch ihre Unterschrift zugestimmt hätten, die Türkei zu verlassen und fünf Jahre nicht mehr einreisen zu dürfen. Nach Angaben der Flüchtlinge wurden einigen Geld und Mobiltelefone abgenommen. Amnesty International erhielt auch Sprachaufnahmen, aus denen hervorgeht, dass die Flüchtlinge während des Abschiebevorgangs mit Handschellen aneinander gefesselt waren. Amnesty International sprach am 20. November mit einer Frau, die sich auf der syrischen Seite des Grenzübergangs Bab al-Hawa befand. Sie erzählte, sie sei am selben Tag in einer Gruppe von 20 Flüchtlingen, darunter sieben Frauen und zwei Kinder, von Erzurum über die türkisch-syrische Grenze gebracht worden.
Mit diesen Abschiebungen verstößt die Türkei sowohl gegen türkisches Recht als auch gegen völkerrechtliche Verpflichtungen. Sie stellen einen Verstoß gegen das Prinzip der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement) dar, das sowohl in der Genfer Flüchtlingskonvention als auch in mehren weiteren bindenden Menschenrechtsabkommen, darunter dem Übereinkommen gegen Folter, festgeschrieben ist. Amnesty International vorliegenden Informationen zufolge hatten die Flüchtlinge keine Möglichkeit, Rechtsmittel gegen die Abschiebung einzulegen und keinen rechtlichen Beistand, um sie dabei zu unterstützen.
Hintergrundinformation
Amnesty International hat am 9. November eine Urgent Action zum Fall von N.B. und weiteren Flüchtlingen gestartet, um die türkischen Behörden aufzufordern, keine Flüchtlinge oder Asylsuchenden nach Syrien abzuschieben. Nach jüngsten Amnesty International zugegangenen Informationen werden D.H., R.H. und der 16-jährige A.A. nach wie vor im Abschiebelager Erzurum im Osten der Türkei festgehalten. Angesichts der Abschiebungen der vergangenen Tage sind sie in erhöhter Gefahr, abgeschoben zu werden.
N.B. und weitere Personen wurden im Zuge von Protesten in Edirne inhaftiert, an denen Hunderte Flüchtlinge und Asylsuchende im September teilgenommen hatten und die Erlaubnis forderten, die Grenze nach Griechenland überqueren zu dürfen. Sie wurden am oder um den 13. Oktober in das Abschiebelager Erzurum gebracht und dort ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten.
Haft ohne Kontakt zur Außenwelt wird von internationalen Menschenrechtsorganen scharf kritisiert. Laut dem UN-Menschenrechtsausschuss könnte die Praxis andauernder Haft ohne Kontakt zur Außenwelt gegen Artikel 7 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte verstoßen, der Folter und andere Misshandlungen verbietet. Zudem könnte sie einen Verstoß gegen Artikel 10 darstellen, der gewisse Schutzmechanismen für Personen vorsieht, denen ihre Freiheit entzogen wurde. Der Sonderberichterstatter über Folter fordert ein Verbot von Haft ohne Kontakt zur Außenwelt.
Der Grundpfeiler des internationalen Flüchtlingsschutzes ist der Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement). Dieser Grundsatz verbietet es, Personen in irgendeiner Weise in Gebiete zu verbringen, in denen ihnen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen drohen – wie es bei Menschen aus Syrien der Fall ist. Der Grundsatz der Nichtzurückweisung ist in der Genfer Flüchtlingskonvention und in zahlreichen weiteren Menschenrechtsabkommen verankert, zu deren Einhaltung die Türkei verpflichtet ist. Verstöße gegen diesen Grundsatz können auf verschiedene Weise erfolgen. Einen direkten Verstoß stellt beispielsweise eine Abschiebung in das Herkunftsland dar. Ein indirekter Verstoß liegt vor, wenn Flüchtlingen z. B. der Zugang zu einem Gebiet oder zu einem fairen und zufriedenstellenden Asylverfahren verwehrt wird. Auch das Ausüben von Druck auf Flüchtlinge, um diese zu einer Rückkehr in ein Gebiet zu zwingen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheiten gefährdet sind, stellt einen indirekten Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung dar. Dieses Vorgehen ist als faktisches Refoulement bekannt und gemäß Völkerrecht verboten, welches bindend für die Türkei ist.