Verleger in Haft misshandelt

Friedlicher Protest, Ha Noi

Friedlicher Protest, Ha Noi

Zwei Personen, die zu dem Verlagshaus Liberal Publishing House gehören, sind in Ho-Chi-Minh-Stadt von der Polizei inhaftiert und misshandelt worden. Die Tochter des Einen wurde willkürlich festgenommen. Seit Anfang Oktober 2019 sind Dutzende dem Verlag nahestehende Personen im Rahmen einer augenscheinlich gezielten Kampagne ins Visier genommen worden. Es handelt sich hierbei um Personen, die entweder für das Verlagshaus arbeiten bzw. gearbeitet haben oder dessen Bücher gekauft oder gelesen haben sollen.

Appell an

Premierminister

Nguyn Xuân Phúc

S
1 Hoàng Hoa Thám

Ba Đình

Hà N
i 10040

VIETNAM

Fax: (00 84) 80 44130

Sende eine Kopie an

Botschaft der Sozialistischen Republik Vietnam

S. E. Herrn Nguyen Minh Vu

Elsenstraße 3

12435 Berlin

Fax: 030-5363 0200

E-Mail: sqvnberlin@t-online.de

Amnesty fordert:

  • Lassen Sie die Tochter von Thy Tut umgehend frei und beenden Sie die Drangsalierung und Einschüchterung von Thy Tut und seiner Familie.
  • Beenden Sie bitte das scharfe Vorgehen gegen das Liberal Publishing House und ihm nahestehende Personen, und leiten Sie eine unabhängige und gründliche Untersuchung der Vorwürfe über Folter und willkürliche Inhaftierung ein.
  • Sorgen Sie dafür, dass das Liberal Publishing House und andere unabhängige Verlage ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung und Verbreitung von Informationen ohne Angst vor Schikane wahrnehmen können.

Sachlage

In mehreren vietnamesischen Städten und Provinzen sind Mitarbeiter_innen und Kund_innen des unabhängigen Verlagshauses Liberal Publishing House (Nhà Xut Bn T Do) ins Visier geraten. Der Verlag bringt Bücher über Politik und Politikwissenschaft heraus. Im vergangenen Jahr sind zwei Personen willkürlich inhaftiert und gefoltert worden, und viele weitere mussten aus Sorge um ihre Sicherheit untertauchen.

Am 8. Mai wurde Thy Tut, ein Mitarbeiter des Verlagshauses, in Ho-Chi-Minh-Stadt festgenommen und inhaftiert, weil er Bücher auslieferte. Er wurde von 9.00 Uhr bis 3.00 Uhr am nächsten Morgen festgehalten. Während dieser Zeit wurde er von Polizist_innen über seine Verbindungen zu dem Verlag befragt und laut eigenen Angaben gefoltert. Wenn er eine Frage nicht oder nicht zufriedenstellend genug beantworten konnte, wurde Thy Tut geschlagen. Seinen Angaben zufolge wurde er von mindestens sechs Polizist_innen ins Gesicht geschlagen und in die Rippen, den Brustkorb und den Magen gestoßen. Zudem traten sie ihm gegen die Schienbeine und auf die Zehen. Die Polizist_innen verhörten ihn jeweils zu zweit und wechselten sich mehrere Male ab. 

Nach seiner Freilassung tauchte Thy Tut trotz schwerer Verletzungen sofort unter. In der Folge nahm die Polizei seine 24-jährige Tochter fest und drohte damit, sie so lange nicht freizulassen, bis sich Thy Tut auf der Polizeiwache meldete. Sie befindet sich nach wie vor im Gewahrsam der Polizei.

Der Fall von Thy Tut ist kein Einzelfall. Die Polizei in Ho-Chi-Minh-Stadt soll bereits in der Vergangenheit einen Mitarbeiter des Verlagshauses willkürlich inhaftiert und misshandelt haben. Im Oktober 2019 wurde eine weitere Person von der Polizei drangsaliert und sah sich gezwungen unterzutauchen. Seit Oktober 2019 haben Hunderte Menschen in ganz Vietnam darüber berichtet, wie sie nach dem Kauf von Büchern des Liberal Publishing House von der Polizei verhört wurden. In vielen Fällen kam es zu Hausdurchsuchungen und der Beschlagnahmung von Büchern.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist sowohl in der vietnamesischen Verfassung als auch in internationalen Menschenrechtsnormen festgeschrieben. Es schließt die Freiheit ein, über Medien jeder Art Informationen und Gedankengut zu empfangen und zu verbreiten. Hierzu zählt auch der Zugang zu Informationen aus Büchern wie denen des Liberal Publishing House. Der freie Zugang zu Informationen und Gedankengut ist zudem auch ein wichtiger Aspekt des Rechts auf Bildung.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Der Verlag Liberal Publishing House veröffentlicht seit Februar 2019 Sachbücher von vietnamesischen Autor_innen zu Themen wie Politik, Politikwissenschaft und anderen gesellschaftlichen Belangen. Hierzu zählen Buchtitel wie "die Politik eines Polizeistaates", "Gewaltfreier Widerstand", "Politik für Alle", "Leben hinter Gittern" und "Ein Handbuch für Familien von Inhaftierten". Viele dieser Bücher werden von der Regierung als politisch brisant betrachtet und ihre Veröffentlichung wurde verboten. Die Zensur von Veröffentlichungen, die vermeintlich der Regierungslinie zuwiderlaufen, ist in Vietnam an der Tagesordnung.

Seit das Liberal Publishing House den Betrieb aufgenommen hat, werden von der Polizei verdeckte Einsätze durchgeführt, um Mitarbeiter_innen des Verlagshauses festzunehmen. Der Verlag wurde auch online schikaniert, z. B. indem seine Facebook-Seite von Angehörigen der Cyber-Truppe des Militärs ins Visier genommen und die Inhalte der Seite systematisch gemeldet wurden. Diese militärische Einheit geht online gegen Aktivist_innen, Menschenrechtsverteidiger_innen und Dissident_innen vor. Daraufhin wurde das Facebook-Konto bereits im Februar 2019 wieder geschlossen. Im Juli 2019 wurde der Verlag von drei verschiedenen Banken ohne nähere Erläuterungen darüber informiert, dass seine Konten geschlossen würden. Die Polizei nötigte Versandunternehmen zur Preisgabe von Namen und Adressen der Buchkäufer. Wer sich weigerte, dem drohten Einschüchterung, Schikane und Überwachung. Im November 2019 wurden mehrere Hackerangriffe auf die neue Website des Verlagshauses verübt (https://nhaxuatbantudo.com/).

Seit Anfang Oktober sind Dutzende Personen, die mit dem Verlag in Verbindung stehen, im Rahmen einer augenscheinlich gezielten Kampagne ins Visier genommen worden. Dies geschah in mindestens drei Städten, darunter Hanoi, Ho-Chi-Minh-Stadt und Huế, sowie in den Provinzen Bình Dương, Qung Bình, Qung Trị und Phú Yên. Betroffen waren Personen, die entweder für das Verlagshaus arbeiten bzw. gearbeitet haben oder entsprechende Bücher gekauft oder gelesen haben sollen.