Saudi-Arabien: Hinrichtung verhindern!

Ein junger Mann mit saudi-arabischer Kopfbedeckung schaut in die Kamera.

Mustafa al-Darwish wurde am 15. Juni 2021 in Saudi-Arabien hingerichtet. 

*** Sehr schlechte Nachrichten: Mustafa al-Darwish wurde am 15.Juni hingerichtet.*** Nachdem das Todesurteil vom Obersten Gerichtshof bestätigt und sein Fall an das Präsidium für Staatssicherheit verwiesen wurde, droht Mustafa al-Darwish unmittelbar die Hinrichtung. Der junge Mann war 2015 festgenommen worden, weil er an regierungskritischen Unruhen in der mehrheitlich schiitischen Ostprovinz des Landes teilgenommen haben soll. Gerichtsdokumenten zufolge war er einer langen Untersuchungshaft, Folter und einem grob unfairen Gerichtsverfahren ausgesetzt. Amnesty International fordert König Salman auf, das Todesurteil nicht zu unterzeichnen und stattdessen die zuständigen Justizorgane anzuweisen, seine Verurteilung aufzuheben und ein neues Verfahren zu eröffnen, das den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entspricht.

Appell an

His Majesty King Salman bin Abdul Aziz Al Saud

Office of His Majesty the King

Royal Court

Riyadh

SAUDI-ARABIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft des Königreichs Saudi-Arabien

S. E. Herrn Essam Ibrahim H. Baitalmal

Tiergartenstr. 33-34

10785 Berlin

Fax: 030-8892 5176

E-Mail: deemb@mofa.gov.sa
 

Amnesty fordert:

Sachlage

In der letzten Maiwoche wurde der Fall von Mustafa al-Darwish an das Präsidium für Staatssicherheit verwiesen. Obwohl es aus Saudi-Arabien keine transparenten Informationen über die Abläufe juristischer Verfahren gibt, wertet Amnesty International diesen Schritt als Zeichen dafür, dass Mustafa al-Darwish hingerichtet werden soll, sobald sein Todesurteil von König Salman unterzeichnet wurde. Der 1994 geborene junge Mann war am 25. Mai 2015 von Sicherheitskräften festgenommen worden. Zwei Jahre lang wurde er im al-Mabahith-Gefängnis in Dammam – der Hauptstadt der saudi-arabischen Ostprovinz – festgehalten, bevor man ihn vor Gericht stellte. Die ersten sechs Monate verbrachte er ohne Kontakt zur Außenwelt in Einzelhaft. Bis zum Beginn seines Prozesses hatte er keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand. Diese Behandlung ist ein schwerwiegender Verstoß gegen seine Verfahrensrechte und sein Recht auf ein faires Verfahren. Diese Verstöße prägten maßgeblich den Prozess, der zu seinem Todesurteil führte.



Am 28. März 2018 verurteilte das Sonderstrafgericht (Specialized Criminal Court - SCC) Mustafa al-Darwisch zum Tode, da er sich an Protesten beteiligt haben soll. Zu den Anklagepunkten gehörten "Teilnahme an einem bewaffneten Aufstand gegen die Machthaber", "Errichtung von Straßenblockaden", "Säen von Zwietracht", "Bildung eines bewaffneten Terrornetzwerks und Beschuss von Sicherheitsbeamten", "Herstellung von Molotow-Cocktails zum Zweck der Untergrabung der Staatssicherheit und deren Wurf auf eine Sicherheitspatrouille" und "Versuchte Störung des nationalen Zusammenhalts durch die Teilnahme an Ausschreitungen in mehr als zehn Fällen". Darüber hinaus soll er durch die "Speicherung von Informationen, die die öffentliche Ordnung beeinträchtigen" gegen Paragraf 6 des Gesetzes zur Bekämpfung von Internetkriminalität verstoßen haben. Gerichtsdokumenten zufolge basierten die oben genannten Anklagen gegen Mustafa al-Darwish auf "Geständnissen" und Erklärungen, die er unterzeichnet hatte. Darin heißt es, dass er sich zwischen 2011 und 2012 mehr als zehnmal an Unruhen beteiligt habe. Außerdem stützen sie sich auf Fotos, die ihn dabei zeigen, wie er auf Sicherheitspatrouillen schießt, sowie auf die Auswertung seiner Telefondaten. Auf seinem Mobiltelefon sollen Fotos gespeichert worden sein, die Sicherheitsbeamt_innen beleidigen würden.

Da in der Anklageschrift die Monate nicht angegeben sind, in der Mustafa al-Darwish die ihm vorgeworfenen Taten begangen haben soll, könnte es sein, dass der junge Mann zum Zeitpunkt seiner angeblichen Teilnahme an den Unruhen 17 oder 18 Jahre alt war. Somit würde sein Fall unter das neue Jugendstrafrecht fallen. Darüber hinaus liegen den "Beweisen", auf denen das Todesurteil beruht, schwerwiegende Verfahrensfehler zugrunde. Dazu gehört die verlängerte Untersuchungshaft, der Mustafa al-Darwish über zwei Jahre lang ausgesetzt war. Vor Gericht gab Mustafa al-Darwish an, dass seine "Geständnisse" unter Folter erzwungen worden seien. Er sagte: "Mein Geständnis ist ungültig, da ich bedroht, geschlagen und gefoltert wurde, damit ich ein Geständnis ablege. Ich wurde auch an empfindlichen Stellen meines Körpers gefoltert, sodass ich das Bewusstsein verlor. Ich habe gestanden, weil ich Angst um mein Leben hatte." Mustafa Al-Darwish gab vor Gericht außerdem an, dass ihm ein Richter mit weiteren Schlägen und Folter drohte, sollte er das Geständnis nicht mit seiner Unterschrift vor Gericht bestätigen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Amnesty International hat seit 2013 einen starken Anstieg bei Todesurteilen gegen politisch Andersdenkende in Saudi-Arabien dokumentiert. Betroffen sind unter anderem häufig Angehörige der schiitischen Minderheit. Eine besondere Rolle spielt dabei das Sonderstrafgericht (SCC), das nach grob unfairen Prozessen lange Gefängnisstrafen und Todesurteile verhängt. Foltervorwürfen während der Haft ging die Staatsanwaltschaft bisher nicht systematisch nach.



Am 23. April 2019 ließ die saudi-arabische Regierung in einer schockierenden Aktion 37 Personen hinrichten, die vom SCC wegen "Terrorismus" zum Tode verurteilt worden waren. Unter den Hingerichteten war auch ein junger Schiit, der wegen eines Verbrechens zum Tode verurteilt worden war, zu dessen Tatzeitpunkt er noch unter 18 Jahre alt war. Auch Abdulkareem al-Hawaj war unter den 37 Verurteilten. Die Vorwürfe gegen ihn standen in Zusammenhang mit seiner vermeintlichen Beteiligung an regierungskritischen Protesten im Jahr 2012 in der überwiegend schiitischen Ostprovinz von Saudi-Arabien. Zu dem Zeitpunkt, als er die Straftaten begangen haben soll, war Abdulkareem al-Hawaj 16 Jahre alt. Nach internationalem Recht ist die Verhängung der Todesstrafe gegen Personen, die zum Zeitpunkt der Tat unter 18 Jahre alt waren, streng verboten.



Im April 2020 kündigte Saudi-Arabien an, die Anwendung der Todesstrafe gegen Personen abzuschaffen, die zum Tatzeitpunkt unter 18 Jahren waren und deren Fälle nicht in den Bereich des Antiterrorgesetzes fallen. Die Ankündigung folgt auf das 2018 erlassene Jugendgesetz, das Gerichte daran hinderte, nach freiem Ermessen Todesurteile gegen Personen unter 15 Jahren zu verhängen. Ihr müssen klare Anwendungsbestimmungen folgen, die keine Ausnahmen für Minderjährige zulassen.

Die Mehrheit der damals Hingerichteten waren schiitische Männer, die in Scheinprozessen zum Tode verurteilt worden waren, die gegen internationale Standards für faire Gerichtsverfahren verstießen und sich auf durch Folter erpresste Geständnisse stützten. Sie wurden lange in Untersuchungshaft gehalten und sagten vor Gericht, dass sie während der Verhöre gefoltert oder anderweitig misshandelt worden seien, um "Geständnisse" zu erzwingen. Nach Informationen von Amnesty International waren ihre Angehörigen zuvor nicht über die bevorstehenden Hinrichtungen informiert worden, sodass sie die schockierende Nachricht völlig unvorbereitet traf.

Auch Ali al-Nimr, Dawood al-Marhoon und Abdullah al-Zaher – drei weitere junge Männer aus der schiitischen Minderheit – sind wegen Verbrechen inhaftiert, die sie als Minderjährige begangen haben sollen. Die drei Männer wurden nach grob unfairen Verfahren über sechs Jahre lang im Todestrakt festgehalten und waren in unmittelbarer Gefahr, hingerichtet zu werden. Im Februar 2021 wandelte das SCC ihre Todesurteile in zehnjährige Haftstrafen um. Unter Berücksichtigung der bereits verbüßten Zeit könnten sie 2022 freigelassen werden.

Die Todesstrafe ist die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen. Amnesty International wendet sich in allen Fällen ausnahmslos gegen die Todesstrafe, unabhängig von der beschuldigten Person, vom Verbrechen, der Schuld oder Unschuld oder auch der Hinrichtungsmethode. Saudi-Arabien hat eine der höchsten Hinrichtungsraten weltweit: zwischen 1985 und 2016 wurden mehr als 2.000 Menschen hingerichtet.