Israel: Militärdienstverweigerer in Haft

Das Foto zeigt einen jungen Mann, der vor einer Wand steht und der Jeans und T-Shirt trägt. Beide Hände hat er in den Hosentaschen.

Der israelische Kriegsdienstverweigerer Yuval Dag (undatiertes Foto)

+++ Update 9.Mai 2023: Yuval Dag wurde nach Verbüßung seiner Haftstrafe am 20. April freigelassen. Nachdem er eine Woche später den Militärdienst zum dritten Mal verweigerte, kam er jedoch erneut für 20 Tage in Haft. Er befindet sich jetzt wieder im Militärgefängnis von Neve Tzedek in Tel Aviv, wo er bis 16. Mai bleiben soll. +++ Der 20-jährige Yuval Dag verbüßt momentan eine 20-tägige Haftstrafe im Militärgefängnis von Neve Tzedek in Tel Aviv. Nach seiner Einberufung hatte er sich geweigert, seinen Militärdienst in der israelischen Armee anzutreten. Yuval Dag ist ein gewaltloser politischer Gefangener und die israelischen Behörden müssen ihn umgehend und bedingungslos freilassen.

Appell an

IDF Chief of General Staff
Lieutenant General Herzl Halevi
Yitzhak Rabin Military Base
HaKirya, 27 Kaplan Street

Tel Aviv 6473424
ISRAEL

Sende eine Kopie an

Botschaft des Staates Israel
S. E. Herrn Ron Prosor
Auguste-Viktoria-Straße 74-76
14193 Berlin

Fax: 030 – 89 04 55 55
E-Mail: botschaft@israel.de

Amnesty fordert:

Sachlage

Der 20-jährige Militärdienstverweigerer Yuval Dag verbüßt derzeit eine 20-tägige Haftstrafe im Militärgefängnis von Neve Tzedek im Südwesten von Tel Aviv, nachdem er sich weigerte, zum Wehrdienst anzutreten. Es ist zu befürchten, dass er nach seiner für den 19. April angesetzten Freilassung erneut inhaftiert wird.

Yuval Dag war für den 20. März auf den Militärstützpunkt in Metzudat einberufen worden, doch als er dieser Vorladung nicht nachgekommen war, wurde er festgenommen und war zunächst 10 Tage lang inhaftiert. Er hatte bereits vor dem Einberufungstermin seine Verweigerung des Militärdienstes aus Gewissensgründen deutlich gemacht, doch die Armee betrachtet sein Nichterscheinen als Befehlsverweigerung. Einige Tage nach seiner Freilassung, am 2. April, wurde er wieder vorgeladen. Nach seiner erneuten Weigerung, den Militärdienst anzutreten, wurde er für weitere 20 Tage in Haft genommen. Amnesty International betrachtet Yuval Dag als gewaltlosen politischen Gefangenen, der allein wegen der Ausübung seines Rechts auf Militärdienstverweigerung festgehalten wird.

In einer Erklärung vom 19. März, in der er die Gründe für seine Verweigerung des Wehrdienstes darlegte, schrieb er, dass er sich nicht an "militärischen Invasionen, Gewalt, Tötungen und Unterdrückung" beteiligen würde, "die für viele Palästinenser*innen [...], die unter der Herrschaft [des israelischen Militärs] leben, die Norm sind." Er führte weiter aus, dass wehrpflichtige Soldat*innen, die in den besetzten palästinensischen Gebieten eingesetzt sind, häufig die Aufgabe hätten, die Abriegelung von Dörfern und Stadtteilen durchzusetzen. Die Anwendung unverhältnismäßiger und rücksichtsloser Gewalt und die willkürliche Einschränkung der Bewegungsfreiheit sowie der Freiheit, sich friedlich zu versammeln, verstoßen gegen die Menschenrechte. Darüber hinaus verstoßen sie gegen das humanitäre Völkerrecht, sofern sie im Rahmen einer militärischen Besetzung begangen werden und zu rechtswidrigen Tötungen, Verletzungen und Kollektivstrafen führen. Yuval Dag schrieb in seiner Erklärung außerdem: "Die für die Durchführung dieses Projekts verantwortliche Stelle ist das israelische Militär. [...] Ich weigere mich, meinen Körper und mein Leben irgendeinem System, irgendeinem Land und in der gegenwärtigen Situation vor allem nicht dem Staat Israel und dem israelischen Militär zu überlassen."

Hintergrundinformation

Hintergrund

Für die meisten israelischen Staatsangehörigen ist der Wehrdienst verpflichtend. Jedes Jahr kommen mehrere israelische Teenager ins Gefängnis, weil sie aus Gewissensgründen den Dienst in der Armee verweigern. Im Jahr 2022 wurden Einat Gerlitz, Nave Shabtay Levin, Evyatar Moshe Rubin, Shahar Schwartz und andere wegen ihrer Militärdienstverweigerung wiederholt inhaftiert. Militärdienstverweigerer*innen sind in der Regel für fünf Monate oder länger in Haft.

Im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Vorschläge der israelischen Regierung für eine Justizreform haben zwischen dem 3. und 5. März 2023 rund 700 Reservist*innen dem Verteidigungsminister und dem Oberbefehlshaber der israelischen Armee schriftlich angekündigt, ihren Dienst quittieren zu wollen. Viele von ihnen gehören Spezialeinheiten an oder haben höhere Dienstgrade im stehenden Heer. Yuval Dag erläutert seine Haltung zu den regierungskritischen Protesten in Israel wie folgt: "In letzter Zeit sagen viele Reservist*innen, dass sie nicht in der Armee dienen wollen, weil sie Angst vor einer Diktatur haben. Das ist großartig und wichtig. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es in den besetzten Gebieten noch nie eine Demokratie gegeben hat. Und die antidemokratische Institution, die dort herrscht, ist die Armee." Als Reaktion auf die Proteste erklärte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am 6. März: "[Der kollektive Militärdienst] ist die erste und wichtigste Grundlage für unsere Existenz in unserem Land. Die Verweigerungen bedrohen die Grundlagen unserer Existenz. [...] In der Gesellschaft gibt es Raum für Protest, aber [...] keinen Raum für Verweigerung." Das Recht auf Protest wird jedoch nur teilweise anerkannt: Das Recht jüdischer Israelis, ihre Meinung und ihren Widerstand gegen staatliche Maßnahmen friedlich zu äußern, wird allgemein respektiert. Doch dieses Recht auf friedlichen Protest wird nicht auf palästinensische Israelis oder Bewohner*innen der besetzten palästinensischen Gebiete ausgedehnt.

Das Gewissenskomitee der israelischen Armee kann zwar eine Befreiung vom Militärdienst beschließen, doch wird diese in der Regel nur denjenigen gewährt, die den Dienst aus religiösen Gründen verweigern. Dem UN-Menschenrechtsausschuss zufolge sollte es "zwischen den Militärdienstverweigerern keine Differenzierung aufgrund der Art ihrer jeweiligen Überzeugungen geben", d. h. es sollte keinen Unterschied machen, ob sie religiös sind oder nicht. Obwohl das israelische Recht eine Befreiung aus Gründen einer pazifistischen Überzeugung vorsieht, lehnt das Gewissenskomitee der Armee die Anträge von Pazifist*innen häufig ab. Die Behörden geben den Verweigerer*innen keine Möglichkeit, einen Zivildienst zu leisten. Militärdienstverweigerer*innen können in Israel wiederholt wegen desselben "Vergehens" verurteilt und inhaftiert werden. Im Jahr 2003 erklärte die UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen, dass diese Praxis die Rechte von Militärdienstverweigerer*innen gemäß den internationalen Menschenrechtsstandards, die eine "doppelte Strafverfolgung" verbieten, missachtet.

Amnesty International betrachtet jede Person, die aus Gewissensgründen oder aus tiefer Überzeugung den Dienst in den Streitkräften oder jede andere direkte oder indirekte Beteiligung an Kriegen oder bewaffneten Konflikten verweigert, als Militärdienstverweigerer*in aus Gewissensgründen. Dazu kann die Weigerung gehören, an einem Krieg teilzunehmen, weil man mit dessen Zielen oder der Art und Weise, wie er geführt wird, nicht einverstanden ist, selbst wenn man nicht grundsätzlich gegen die Teilnahme an Kriegen ist. Amnesty International betrachtet Militärdienstverweigerer*innen als gewaltlose politische Gefangene, wenn sie nur deshalb festgehalten oder inhaftiert werden, weil ihnen die Rechte verweigert wurden, ihre Wehrdienstverweigerung registrieren zu lassen oder zivilen Ersatzdienst zu leisten. Sie wären auch dann gewaltlose politische Gefangene, wenn sie inhaftiert wären, weil sie die Streitkräfte ohne Genehmigung aus Gewissensgründen verlassen haben, sofern sie angemessene Schritte unternommen haben, um sich von den militärischen Verpflichtungen zu befreien. Amnesty International stützt die Einschätzung, ob es sich bei einer Person um eine*n gewaltlose*n politische*n Gefangene*n handelt auf die Informationen, die der Organisation über die Umstände vorliegen, die zu deren Inhaftierung geführt haben. Mit der Benennung einer Person als eine*n gewaltlose*n politische*n Gefangene*n bekräftigt Amnesty International, dass diese Person sofort und bedingungslos freigelassen werden muss, billigt jedoch nicht ihre früheren oder gegenwärtigen Ansichten oder ihr Verhalten.

1995 erklärte die UN-Menschenrechtskommission in ihrer Resolution 1998/77, dass das Recht auf Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen durch Artikel 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) – das Recht auf Religions-, Gewissens- und Glaubensfreiheit – geschützt ist. In der Resolution, die vom Menschenrechtsrat wiederholt bekräftigt wurde, zuletzt 2019, betonte die Kommission, dass die Staaten "davon absehen müssen, Militärdienstverweigerern aus Gewissensgründen einer Inhaftierung und wiederholten Bestrafung zu unterwerfen". Sie erinnerte daran, dass "niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht des jeweiligen Landes rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, erneut verfolgt oder bestraft werden [darf]."