Friedensaktivist "verschwunden"

Ein Mann trägt ein rotes T-shirt und einen blauen Turban um den Kopf gewickelt.

Der pakistanische Menschenrechtsverteidiger Seengar Noonari

Seit dem 2. Dezember fehlt von dem pakistanischen Aktivisten Raza Khan jede Spur. Amnesty International befürchtet, dass er dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen ist.

Appell an

Ministerpräsident von Punjab

Chief Minister Secretariat

7-Club Road, GOR-1

Lahore

PAKISTAN

Sende eine Kopie an

BOTSCHAFT DER ISLAMISCHEN REPUBLIK PAKISTAN

S. E. Herrn Jauhar Saleem

Schaperstr. 29

10719 Berlin


Fax: 030-2124 4210

E-Mail:
mail@pakemb.de

Amnesty fordert:

  • Leiten Sie bitte umgehend eine Untersuchung des Schicksals und Verbleibs von Raza Khan ein und informieren Sie seine Familie regelmäßig über den Fortschritt.
  • Zudem bitte ich Sie, umgehend eine unparteiische, unabhängige und zielführende Untersuchung aller Fälle mutmaßlichen Verschwindenlassens einzuleiten, die Ergebnisse zu veröffentlichen und alle mutmaßlich Strafverdächtigen in fairen Verfahren und ohne Rückgriff auf die Todesstrafe vor Gericht zu stellen.
  • Schieben Sie der Praxis des Verschwindenlassens bitte einen Riegel vor und ratifizieren Sie das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen.
  • Bitte sorgen Sie dafür, dass Aktivist_innen, Menschenrechtler_innen, Journalist_innen, Akademiker_innen und Oppositionsmitglieder in der Lage sind, friedlich ihre Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit wahrzunehmen.

Sachlage

Der in Lahore lebende Friedensaktivist Raza Khan wird seit dem 2. Dezember vermisst. Man befürchtet, dass er dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen ist. Am 2. Dezember verließ Raza Khan um etwa 19:00 Uhr sein Büro im Bezirk Garden Town von Lahore, kam jedoch nie zuhause an. Er wohnte in einem Zimmer in einer Mietwohnung in Model Colony in der Nähe von Firdous Market. Ein Freund wollte Raza Khan am 3. Dezember besuchen, da er nichts von ihm gehört hatte und ihn telefonisch nicht erreichen konnte. Doch er fand nur ein verschlossenes Zimmer vor, in dem noch das Licht brannte. Die Familie von Raza Khan meldete den Vorfall bei der Polizei in Firdous Market, und der Polizeichef von Model Town hat sich mit der Familie in Verbindung gesetzt.

Raza Khan ist in Pakistan ein bekannter Aktivist, der sich für Frieden zwischen Indien und Pakistan einsetzt. Er leitet die Initiative Aaghaz-e- Dosti auf der pakistanischen Seite, die Menschen aus beiden Ländern durch Kunst und Briefe einander näherbringt. Raza Khan ist außerdem Mitglied des Awami Art Collective und engagiert sich zivilgesellschaftlich in Lahore, seit vor zehn Jahren die Bewegung von Rechtsbeiständen für eine unabhängige Justiz und gegen den Ausnahmezustand ins Leben gerufen wurde. Vor Kurzem hat er eine Diskussion zum Thema "religiöser Extremismus" organisiert, nachdem gewaltsame Proteste in Islamabad zum Rücktritt des Justizministers geführt hatten.

Amnesty International befürchtet, dass Raza Khan dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen ist. Die Praxis des Verschwindenlassens, die sich einst auf die Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa beschränkte, hat sich in den vergangenen Jahren auch in den großen städtischen Zentren Pakistans immer weiter ausgebreitet.

Zwischen August und Oktober 2017 wurden beinahe 300 Fälle mutmaßlichen Verschwindenlassens vor die pakistanische staatliche Untersuchungskommission zu Fällen des Verschwindenlassens gebracht – mehr als in irgendeinem anderen Dreimonatszeitraum der vergangenen Jahre. In den vergangenen beiden Monaten hat Amnesty International alarmierend viele glaubwürdige Berichte über das "Verschwinden" von belutschischen Studierenden und Aktivist_innen erhalten.

Hintergrundinformation

Hintergrund

In Pakistan kommt es häufig zu Fällen des Verschwindenlassens. Allein in den vergangenen Jahren wurden im ganzen Land Hunderte, wenn nicht gar Tausende Fälle gemeldet. Opfer des Verschwindenlassens sind in großer Gefahr, gefoltert und anderweitig misshandelt oder gar getötet zu werden. Bis heute ist in Pakistan kein einziger mutmaßlich Verantwortlicher zur Rechenschaft gezogen worden.

Die UN-Arbeitsgruppe zur Frage des Verschwindenlassens von Personen bemerkte nach ihrem letzten Pakistanbesuch 2012, dass "in Pakistan hinsichtlich des Verschwindenlassens ein Klima der Straflosigkeit" herrsche, und dass den "Behörden der Wille fehlt, Fälle von Verschwindenlassen zu untersuchen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen". Nach Ansicht von Amnesty International hat sich diese Situation in den vergangenen fünf Jahren nicht verbessert.

Die pakistanischen Behörden müssen Fälle des Verschwindenlassens öffentlich verurteilen und diese Praxis als eigenständigen Straftatbestand anerkennen. Zudem sollten sie ein Ende dieser grausamen und unmenschlichen Praxis fordern. Pakistan hat das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen bisher nicht ratifiziert, obwohl das Land vorgibt, die höchsten Menschenrechtsstandards einhalten zu wollen.

Der UN-Menschenrechtsausschuss, der die Umsetzung und Einhaltung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte überwacht, sprach mit Blick auf die hohe Rate des Verschwindenlassens in Pakistan die folgenden Empfehlungen aus: Pakistan sollte "das Verschwindenlassen kriminalisieren und der Praxis des Verschwindenlassens und der geheimen Haft ein Ende setzen". Außerdem sollte das Land "dafür sorgen, dass alle Vorwürfe von Verschwindenlassen und außergerichtlichen Hinrichtungen umgehend gründlich untersucht und alle Verantwortlichen strafrechtlich verfolgt und entsprechend der Schwere der Verbrechen bestraft werden".

Am 16. Oktober 2017 wählte die UN-Generalversammlung Pakistan für den Zeitraum von Januar 2018 bis Dezember 2020 als eines von 15 Mitgliedern in den UN-Menschenrechtsrat. Pakistan untermauerte seine Kandidatur mit der Beteuerung, dass das Land "fest entschlossen sei, die allgemeinen Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen zu schützen, zu fördern und zu garantieren".

Die Praxis des Verschwindenlassens, die sich früher auf die Provinzen Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan sowie die Stammesgebiete unter Bundesverwaltung beschränkte, hat in den vergangenen Jahren auch auf andere Landesteile übergegriffen, so z. B. große städtische Zentren. Anfang Januar 2017 wurden in der Hauptstadt Islamabad und in einigen Teilen der Provinz Punjab fünf Menschenrechtsverteidiger_innen entführt. Vier von ihnen tauchten zwischen dem 27. und 29. Januar wieder auf. Zwei von ihnen haben mittlerweile angegeben, von mutmaßlichen Angehörigen des Militärgeheimdienstes bedroht, eingeschüchtert und gefoltert worden zu sein.