Amnesty Journal Deutschland 21. Januar 2016

Willkommenskulturen

Willkommenskulturen

Lernt Deutsch, um bald studieren zu können. Ebaa Hwijeh.

Jetzt in Deutschland, zuvor in Syriens Nachbarstaaten. Zwei Geschichten über das jeweilige Ankommen.

Von Ralf Rebmann

Ebaa Hwijeh

Ebaa Hwijeh war kurz davor, ihr Archäologie-Studium in Damaskus abzuschließen. Doch nachdem sie 2011 auf dem Campus ihrer Universität an einer Demonstration gegen die syrische Regierung teilgenommen hatte, wurde ihr Studierendenausweis konfisziert. "Viele wurden bei der Demonstration festgenommen", erinnert sie sich. Ihr Studium war vorzeitig beendet.

"Es gab nichts, was ich tun konnte. Nicht studieren, nicht ­arbeiten, nicht helfen." Sie bewarb sich bei ausländischen Universitäten – erhielt jedoch nur Absagen. 2012 entschied sie sich, Syrien in Richtung Beirut zu verlassen. Bekannte halfen ihr dabei, in der libanesischen Hauptstadt eine Bleibe zu finden.

Nach offiziellen Zahlen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) haben rund 1,1 Millionen Syrerinnen und Syrer im Libanon Schutz gesucht. Hinzu kommen Hunderttausende, die nicht registriert sind, sowie rund eine halbe Million palästinensische Geflüchtete, die bereits seit Jahrzehnten im ­Libanon leben.
Lange Zeit konnte man die Grenze zum Libanon problemlos passieren. "Als ich ankam, war kein Visum nötig", erinnert sich Ebaa Hwijeh, "Ich erhielt eine Aufenthaltserlaubnis von sechs Monaten, die ich nach Ablauf wieder verlängern konnte."

Seit Januar 2015 gelten jedoch verschärfte Einreisevorschriften. Flüchtende aus Syrien erhalten nur noch unter bestimmten Bedingungen ein Visum. Eine fehlende Aufenthaltsgenehmigung hat für sie weitreichende Konsequenzen. Ebaa Hwijeh kritisiert, dass die libanesische Regierung sich nicht um die Sicherheit der Menschen kümmert: "Flüchtling genannt zu werden und die entsprechenden Rechte zu bekommen, sind zwei unterschied­liche Dinge."

Sie selbst hatte Glück. Schon nach der ersten Woche in Beirut fand sie einen Job. An ihrem politischen Engagement hielt sie fest. Zusammen mit Bekannten startete sie "Syrian Eyes" – eine Initiative, die sich sowohl für syrische als auch für libanesische hilfsbedürftige Menschen im Libanon einsetzt. Die Gruppe organisierte Kleidung, Windeln und Babynahrung und brachte sie säckeweise in die Zeltlager entlang der syrisch-libanesischen Grenze.

Im Herbst 2014 konnte Ebaa Hwijeh mit einem Visum nach Deutschland einreisen und danach Asyl beantragen. Sie ist glücklich, endlich die Aufenthaltsbestätigung in ihren Händen zu halten. An die deutsche Bürokratie hat sie sich schon ­gewöhnt. "Egal was du willst, warte einfach. Das habe ich hier gelernt", sagt sie und grinst.

Es gab jedoch auch schon schwierige Momente. Vor allem als sie ein paar Wochen in der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Eisenhüttenstadt verbringen musste. Sie erinnert sich noch gut an das überfüllte Camp, den Zaun, den Sicherheitsdienst. Auch Kakerlaken habe es gegeben.

Ebaa Hwijeh ist froh, in Berlin und in Deutschland zu sein. "In Deutschland hat man das Recht, Flüchtling zu sein. Im Libanon nicht. Wie soll man leben, wenn es kein Gesetz gibt, das einen schützt? Wenn man nicht arbeiten kann?" Für viele ihrer Freunde sei es deshalb unmöglich gewesen, im Libanon zu bleiben. Sie seien jetzt in der Türkei, in Istanbul oder Gaziantep.

Vor kurzem hat Ebaa Hwijeh ihren Deutschkurs begonnen und bereits ihr erstes Wintersemester als Gasthörerin an einer Berliner Universität verbracht. Am liebsten würde sie Anthropologie oder Psychologie studieren. "Sobald ich die notwendigen Sprachkenntnisse habe, will ich mich bewerben", sagt sie selbstbewusst. Ihre Zukunft hat Ebaa Hwijeh jetzt wieder selbst in der Hand.

Abdul Rahman

Will nach Syrien zurückkehren, wenn der Krieg vorbei ist. Abdul Rahman

Will nach Syrien zurückkehren, wenn der Krieg vorbei ist. Abdul Rahman

"Mich von meiner Mutter zu verabschieden, war schlimm", sagt Abdul Rahman. Als er 2011 zum syrischen Militär einberufen wurde, war für den 30-Jährigen klar, dass er Syrien verlassen musste. "Die einzige Option für mich war Jordanien. Meine Schwester wohnt dort mit ihrer Familie."

Das Königreich Jordanien gehört wie der Libanon und die Türkei zu den wichtigsten Aufnahmeländern. Offiziell sind dort mehr als 630.000 syrische Flüchtlinge registriert, wobei inoffiziell sehr viel mehr dort vermutet werden. Die Mehrheit lebt im Norden des Landes, rund 82.000 Geflüchtete sind in Zaatari untergekommen, einem riesigen Zeltlager des UNHCR nahe der Grenze.

Abdul Rahman kennt das Lager gut. In Syrien hat er Kunst studiert, in Jordanien arbeitete er als Journalist, Fotograf und ­Filmemacher. Über Zaatari und die Situation von Syrerinnen und Syrern in Jordanien hat er oft berichtet. "Oftmals ging es um die Situation der Kinder und um kranke Menschen, die Probleme hatten, medizinische Hilfe zu bekommen."

Staatliche Hilfe gibt es nicht. Da syrische Geflüchtete keine Arbeitserlaubnis bekommen, sind sie auf humanitäre Hilfe angewiesen oder sie versuchen, irregulär Arbeit zu finden. "Es gab viele Probleme", sagt Abdul Rahman. Je mehr Menschen aus Syrien ankommen, umso angespannter werde außerdem die Stimmung innerhalb der jordanischen Bevölkerung.

Abdul Rahman wollte deshalb zuerst nach Ägypten ausreisen, doch sein Plan schlug fehl. Als er 2013 die Möglichkeit bekam, für verschiedene syrische Fernseh- und Radiostationen in der Türkei zu arbeiten, machte er sich auf den Weg. Vier Monate wohnte er in Gaziantep, danach zog er nach Istanbul. "Die türkische Regierung hatte damals eine klare Haltung zu Flüchtlingen. Istanbul war ein guter Ort, um zu leben."
Abdul Rahman kritisiert jedoch, dass der jüngste Deal zwischen der EU und der Türkei, die türkischen Grenzen besser zu schützen, auf dem Rücken der Schutzsuchenden gemacht wurde. "In der Politik geht es nur ums Geschäft, nicht um die Menschen. Die Türkei braucht kein Geld für Flüchtlinge. Flüchtlinge sind für sie ein politisches Argument, das sie einsetzen kann."

Im Frühjahr 2015 bekam er das Angebot, bei der Deutschen Welle in Berlin ein Praktikum zu machen. Nach langem Hin und Her hatte er sein Visum in der Hand, um legal nach Deutschland einreisen zu können. Seit Dezember 2015 hat er eine Aufenthaltsgenehmigung.

"Europa ist ein besserer Ort als Jordanien oder die Türkei, hier gibt es Sicherheit und Freiheit", sagt er. Er sei froh, hier zu sein, habe aber manchmal Probleme, sich zurechtzufinden. Er teilt die Sorgen vieler anderer, die neu in Deutschland ankommen und Asyl beantragen. Wo finde ich eine Arbeit? Wo finde ich eine Wohnung?
Wie viele andere Asylsuchende musste auch Abdul Rahman monatelang auf seine Aufenthaltsgenehmigung warten – eine Zeit, die er kaum sinnvoll nutzen konnte. Vor allem die Wohnungssuche in Berlin sei eine Herausforderung, sagt er. Erst recht, wenn man die Sprache nicht so gut beherrsche.

Was ihm jedoch besonders schwerfalle, sei die Distanz zu ­seiner Familie. "Diese Trennung ist manchmal schwer zu verkraften. Wir haben unser Land verloren, unsere Freunde und unsere Erinnerungen", sagt er. Syrien sei ein schönes Land gewesen – wahrscheinlich das schönste auf der Welt. Wenn der Krieg vorbei ist, will Abdul Rahman zurückkehren.

Der Autor ist freier Journalist und lebt in Berlin.

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