Amnesty Journal 22. Januar 2016

Milliardengeschäft Sicherheit

Keine Menschenrechtsverletzungen durch Rüstungsexporte!

Skulptur einer verknoteten Pistole vor dem UN-Gebäude in New York

Militär- und Sicherheitsindustrien haben ein lukratives Jahrzehnt hinter sich.

Von Maik Söhler

Wenn man unter Druck gerät, kann es sinnvoll sein, den Druck an jene zurückzugeben, die ihn erzeugen. Dem US-Journalisten James Risen droht seit Jahren Haft, weil er sich weigert, vor Gericht im Verfahren gegen den ehemaligen CIA-Angestellten und vermeintlichen Whistleblower Jeffrey Sterling als Zeuge auszusagen, Dokumente zu übergeben und eine seiner Informationsquellen zu benennen. Risen beruft sich auf den journalistischen Quellenschutz und weigert sich bis heute, der Anordnung nachzukommen, wobei ihn der ehemalige US-Justizminister Eric Holder stets unterstützte. Wegen Quellenschutz werde "kein Reporter ins Gefängnis kommen, solange er Justizminister sei", sagte er im Oktober 2014. Nun geht Risen seinerseits in die Offensive.

"Dieses Buch ist meine Antwort auf die Frage, wie man den drakonischen Anstrengungen der Regierung, gegen offensiven investigativen Journalismus zu Felde zu ziehen und die Wahrheit im Namen des endlosen Krieges zu unterdrücken, am bes­ten begegnet", schreibt er im Nachwort seines jüngst auch auf Deutsch erschienenen Buches "Krieg um jeden Preis". Es handelt sich um eine Sammlung von Recherchen zu den Folgen des "Kriegs gegen den Terror", den die USA seit 9/11 mit allen verfügbaren Mitteln führen. Risen, der seit 1998 für die "New York Times" zur nationalen Sicherheit und zu Geheimdiensten arbeitet, schildert die Entstehung eines "industriellen Heimatschutzkomplexes", zuerst unter George W. Bush, dann auch unter Barack Obama. Dabei stehen nicht die US-Kriege in Afghanistan und im Irak im Zentrum, sondern all jene staatlichen und halbstaatlichen Institutionen sowie privaten Firmen und Organisationen, die an diesen Kriegen sowie Mitteln und Methoden teilhaben, die im Kampf gegen den Terror zum Einsatz kommen – "Heimatschutz", Überwachungsprogramme und Nachrichtentechnik ­sowie Militär- und Sicherheitsdienstleistungen. "Amerika hat sich an einen permanenten Kriegszustand ­gewöhnt", schreibt Risen. "Nur eine kleine Schicht der Gesellschaft (…) kämpft und stirbt, während eine fest etablierte nationale Sicherheitselite zwischen hohen Posten in Staatsapparat, Auftragsfirmen, Denkfabriken und Fernsehstudios rotiert; Karrierechancen, mit denen es vorbei wäre, wenn die Vereinigten Staaten plötzlich im Frieden lebten." Allein in der Nähe des CIA-Hauptquartiers und des Pentagons befänden sich mehr als "1.200 staatliche Stellen, Ämter, Behörden und Ministerien und beinahe 2.000 Privatunternehmen, die in den Bereichen Terrorbekämpfung, Heimatschutz und Geheimdienstprogramme tätig sind". "Krieg um jeden Preis" versammelt Geschichten rund um solche Ämter, Firmen und Karrieren. Zwei Milliarden Dollar ­verschwinden spurlos im Irak. Windige Charaktere reüssieren an den Rändern des Militärs oder der Geheimdienste als Video­analysten. Es entstehen Sicherheitsenklaven in US-Metropolen. Ärzte und Psychologen verdienen Geld, weil sie die Verschleppung und Folter von Verdächtigen in Guantánamo und in Geheimgefängnissen unterstützen. Es ist die Blütezeit von Militär- und Sicherheits-"Thinktanks", wie Risen ausführt: "Ein Jahrzehnt nach den Attentaten vom 11. September 2001 haben diejenigen, die dem Folterregime den Weg bahnten, Millionen durch Buchveröffentlichungen, Vorträge, staatliche Aufträge und Forschungsstipendien der CIA, des FBI, des Pentagons und des Heimatschutzministeriums verdient." Und es ist die ideale Zeit für Firmen wie CACI International, einen US-Dienstleister für Militär- und Nachrichtentechnik, dem selbst die nachgewiesene Beteiligung an der Folter in Abu Ghraib nicht schadet. Andere Profiteure sind die Sicherheitsfirma Dyncorp, der Drohnenhersteller General Atomics und KBR, Dienstleister des US-Militärs in Kriegsgebieten. KBR wurde ­während der Besatzung des Irak von der US-Regierung mit Nachschubaufgaben für die Armee betraut – dem Bau von Stützpunkten, Truppenverpflegung, Stromversorgung und Müllverbrennung. KBR hatte, wenn man Risen folgt, zeitweise um die 50.000 Beschäftigte und Subunternehmer im Irak. Während es die US-Regierung zulässt, dass im Heimatschutzministerium oder in der Transportsicherheitsbehörde Mittel vergeudet werden, kann der Geheimdienst NSA seine Zuständigkeit ausweiten. Neuerdings ist es die sogenannte "Cyber-Security", also der Diskurs um Sicherheit von Datennetzen und elektronischen Anlagen, der sowohl der NSA als auch privaten Unternehmen neue Befugnisse beziehungsweise Aufträge einbringt. Risen spricht das NSA-Programm "Perfect Citizen" an, das im Rahmen der "Cyber-Security" auch die Überwachung und Bespitzelung weiter verfeinern könne und einen Auftragswert von 91 Millionen Dollar habe. Realisiert werde es vom Rüstungs- und Elektronikkonzern Raytheon. Ärgerlich an Risens Buch ist zweierlei: Zum einen, dass das Zentrum des "Kriegs gegen den Terror" nur wenig untersucht wird, also der Krieg selbst, die dort eingesetzten Waffen, die Firmen, die sie produzieren, und die Ämter, die solche Aufträge vergeben. Auch der Verzicht auf Fußnoten und einen Anmerkungsapparat ist problematisch. Zahlen, Daten, Behauptungen und Einschätzungen lassen sich so kaum überprüfen. Dies wäre umso wichtiger, da Risen vorab zugibt, dass sein Buch auch auf Aussagen von anonymen Quellen und ungenannten Whistle­blowern beruht. Dieses Manko kann man den Autorinnen und Autoren Jürgen Grässlin, Daniel Harrich und Danuta Harrich-Zandberg nicht anlasten. "Netzwerk des Todes" heißt ihr neues Buch. Es hat nichts mit dem "Krieg gegen den Terror" zu tun, umso mehr aber mit deutschen Waffen, die mit oder ohne Erlaubnis von Bundesbehörden in Konfliktgebiete gelangen und dort wohl auch eingesetzt werden. "Netzwerk des Todes" gibt einen profunden Überblick über den internationalen Handel mit Kleinwaffen, zu denen auch Maschinen- und Sturmgewehre gerechnet werden. Vertiefend werden insbesondere die Absatzmärkte deutscher Waffen- und Rüstungsunternehmen wie Sig Sauer, Carl Walther und Heckler & Koch untersucht – Kolumbien, Brasilien, Katar und andere Staaten. Dabei liegt der Schwerpunkt eindeutig auf Waffengeschäften, die Heckler & Koch während der vergangenen zehn Jahre in Mexiko getätigt hat. Obwohl Waffenexporte von Heckler & Koch, insbesondere von G36-Sturmgewehren, von deutschen Rüstungskontrollbehörden nur unter der Auflage genehmigt wurden, dass sie nicht in vier klar ausgewiesene Regionen Mexikos gelangen dürfen, kamen sie dort nachweislich zum Einsatz. Das Buch präsentiert Augenzeugenberichte, Interviews und Dokumente, die daran keinen Zweifel lassen. Auch bei der Ermordung von 43 Studenten in der Provinzstadt Iguala im September 2014 wurde aus G36-Sturmgewehren aus deutscher Produktion geschossen. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat im November 2015 Anklage gegen sechs ehemalige Mitarbeiter von Heckler & Koch ­erhoben. Ihnen wird vorgeworfen, zwischen 2006 und 2009 an der illegalen Lieferung von Sturmgewehren des Typs G36 in bestimmte mexikanische Bundesstaaten beteiligt gewesen zu sein. Somit könnten sie gegen das Kriegswaffenkontroll- und das Außenwirtschaftsgesetz verstoßen haben. Die Dokumente in diesem Buch sind durchaus geeignet, diese Anklage zu stützen.

James Risen: Krieg um jeden Preis. Gier, Machtmissbrauch und das Milliardengeschäft mit dem Kampf gegen den Terror. Aus dem Amerikanischen von Andreas Simon dos Santos. Westend, Frankfurt/M. 2015. 320 Seiten, 17,99 Euro.

Jürgen Grässlin/Daniel Harrich/Danuta Harrich-Zandberg: Netzwerk des Todes. Die kriminellen Verflechtungen von Waffenindustrie und Behörden. Heyne, München 2015. 384 Seiten, 16,99 Euro.

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