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"Die Scheichs verfluchen sie – doch die Frauen spielen"
Die Regisseurin Marwa Zein aus dem Sudan.
© privat
Die Filmemacherin Marwa Zein über Frauenfußball und die Demokratiebewegung im Sudan.
Interview: Cornelia Wegerhoff
Vor fünf Jahren hat eine Freundin Sie gebeten, einen kurzen Film über das Frauenfußballteam Ihres Heimatlandes Sudan zu drehen. Daraus wurde die 75-minütige Dokumentation "Khartoum Offside". Wie kam es dazu?
Ich lebte damals in Kairo. Als meine Freundin mich anrief, fragte ich: "Echt, im Sudan gibt es Frauen, die Fußball spielen?" Denn ich wusste ja, dort herrscht ein radikal-islamisches Regime. Als ich die Fußballerinnen dann in Khartum zum ersten Mal traf, habe ich mich gleich in sie verliebt und dachte: Wow, das ist eine Riesenstory. Ich sollte eigentlich nur eine Woche in Khartum drehen, bin aber gleich drei Monate geblieben. Es hat mich am Ende fast viereinhalb Jahre gekostet, diesen Film fertigzustellen.
Wovon erzählt der Film?
Es geht nicht nur darum, dass Frauen Fußball spielen. Es geht darum, wie die Sudanesinnen und Sudanesen den Bürgerkrieg überlebt haben, wie das Regime jahrzehntelang mit den Menschen umgesprungen ist, wie insbesondere Frauen den diskriminierenden, äußerst unfairen Gesetzen im Land begegnen. Ich habe mit diesem Film versucht, ein ehrliches Bild davon zu zeichnen, was gerade im Sudan passiert.
Die politischen Ereignisse überschlagen sich derzeit. Im April wurde Präsident Omar al-Baschir abgesetzt. Die seither regierenden Generäle einigten sich Mitte Juli mit der Protestbewegung auf eine gemeinsame Übergangsregierung. Aber immer wieder fallen tödliche Schüsse auf Demonstranten. Anfang Juni kam es zu einem Massaker mit über hundert Toten. Wie bewerten Sie die Lage?
Es wurde eine Power-Sharing-Vereinbarung getroffen, die dem Militär erlaubt, für einen Übergangszeitraum mitzuregieren. Das ist kein faires Ergebnis. Das sudanesische Volk hat massive Opfer erbracht, die einen echten Wandel verdienen und keinen vagen politischen Deal. Frauen sind weiterhin nicht an der Macht beteiligt. Wir werden nicht ruhen, bis wir eine zivil geführte Regierung haben, die Frauen respektiert und die das Massaker vom 3. Juni untersucht. Nach fünfzig Jahren Militärherrschaft, Bürgerkriegen und Genoziden muss das Volk seine Würde wiederfinden. Wir haben das Recht darauf, einen neuen Sudan aufzubauen. Die internationale Gemeinschaft sollte uns dabei unterstützen – und endlich konsequent dagegen vorgehen, dass Diktaturen und Militärregierungen weiter mit Waffen beliefert werden.
Mit Ihrem Film geben Sie vor allem den Mädchen und Frauen im Sudan eine Stimme.
Diese Fußballerinnen haben mich als Mensch inspiriert, durch ihre Freude am Leben, ihren Kampfgeist, ihre Würde, ihren Stolz.
Das sudanesische Rechtssystem orientiert sich an der Scharia. Was hat das für Konsequenzen für den Frauenfußball?
Nach offizieller Meinung ist Fußball nur etwas für Männer und nicht für Frauen. Es gibt keinerlei öffentliche Unterstützung für einen Sport, der den Unterschied zwischen Frauen und Männern verwischt, wie es heißt. Das ist absurd, spiegelt aber die Realität im Sudan wider. Die Scheichs verfluchen sie – aber die Frauen spielen trotzdem.
In T-Shirts und Shorts?
Die Frauen im Sudan sollen eigentlich Kopf und Beine bedecken. Sie können sonst sogar ausgepeitscht werden. Sarah, die Spielführerin, sagt aber: "Bin ich hier, um Fußball zu spielen, oder bin ich hier, um mein Kopftuch festzustecken?" Sie machen sogar Späße darüber. Die Frauen spielen mit und ohne Kopftuch, in kurzen und in langen Hosen. Jede, wie sie will. "Das ist schließlich unser Leben", ist ihr Kommentar. Toll ist, dass die Männer in ihren Familien – die Ehemänner, Brüder und Väter – sie dabei unterstützen. Der Film zeigt deutlich, wie offen und liberal die meisten Menschen im Sudan sind. Es gibt eine riesige Kluft zwischen dem Volk und der Regierung, die ihre Bürger seit Jahrzehnten mithilfe des Islams unterdrückt.
Diese Bestenauswahl darf nicht als offizielle Frauennationalmannschaft für den Sudan antreten. Warum nicht?
Der sudanesische Fußballverband behauptet, dass er das Frauenteam unterstützt. Das tun die Offiziellen allein schon wegen der Fifa, die die Förderung von Frauenfußball seit 1980 vorgibt und dem Sudan ja auch finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. In der Praxis sieht es aber ganz anders aus. So müssen die Frauen zum Beispiel für ihr Training einen Platz mieten, den sie aus der eigenen Tasche bezahlen. Und sie dürfen den Sudan nicht offiziell vertreten. Sie dürfen nicht ins Ausland reisen und dort als Nationalteam antreten. Aber die Frauen lieben Fußball. Sie sind richtig gut und wollen den Sudan repräsentieren, in Afrika, in Europa. Damit inspirieren sie auch andere Frauen, aktiv zu werden, einfach das zu tun, was sie wirklich lieben. Ganz gleich, ob es um Fußball oder andere Dinge im Leben geht. Die Fifa müsste mehr Druck machen.
"Hier nicht filmen", warnte man Sie in Khartum vor laufender Kamera. Wie waren Ihre Arbeitsbedingungen vor Ort?
Sehr problematisch, voller Ärger und Herausforderungen. Ich habe drei Jahre lang vergeblich versucht, eine offizielle Genehmigung zu bekommen. Während der Dreharbeiten bin ich mehrfach festgenommen worden. Es wird im Sudan nicht gern gesehen, wenn jemand filmt. Schon 1989, als al-Baschir durch einen Militärputsch an die Macht kam, wurde das Kino bekämpft. Später wurden alle Kinos geschlossen. Die Machthaber wussten, was Filme bewirken, wie sie Dinge verändern können.
Sie absolvieren derzeit an der Kunsthochschule für Medien in Köln Ihr Masterstudium und wollten den Sudan eigentlich diesen Sommer besuchen.
Meine Reise war lange geplant, aber viele Aktivisten haben inzwischen aus Sicherheitsgründen das Land verlassen. Das Militär ist ja weiterhin an der Macht. Die Lage ist zurzeit riskant. Ich werde wohl so bald nicht fliegen können. Aber ich versuche einen Weg zu finden, wie ich die sudanesische Revolution aus Sicht der Diaspora dokumentieren kann. Ich glaube an mein Land und an mein Volk. Ich bin überzeugt, dass der Wandel kommen wird.
Marwa Zein
Die 33-jährige Regisseurin wurde als Kind sudanesischer Eltern in Saudi-Arabien geboren. Zein studierte an der Filmhochschule in Kairo; für ihre Abschlussarbeit "A Game" erhielt sie den ägyptischen Kurzfilmpreis. "Khartoum Offside" ist ihr erster Dokumentarfilm, der auf der Berlinale für den Amnesty-Filmpreis nominiert war. Die Regisseurin lebt in Deutschland und im Sudan. Sie hat in Khartum ihre eigene Produktionsfirma gegründet.