Indonesien: Fischer nach Protesten vor Gericht

Das Foto zeigt zwei von hinten fotografierte Männer, die in einem Gerichtssal auf der Anklagebank sitzen.

Die Fischer Taufik (links) und Ilham Mahmudi vor Gericht im Regierungsbezirk Langkat in der indonesischen Provinz Nordsumatra am 15. Juli 2024

Ilham Mahmudi und Taufik, zwei Fischer aus der Provinz Nordsumatra, müssen sich vor Gericht verantworten, weil sie ihr Küstendorf vor der Überflutung bewahren wollten. Ihnen drohen bis zu fünfeinhalb Jahren Haft, nachdem sie wegen angeblicher Gruppengewalt und Sachbeschädigung angeklagt wurden. Lokale Nichtregierungsorganisationen und Rechtsbeistände betrachten die Anklage als ungerechte Kriminalisierung im Zusammenhang mit ihren Aktivitäten als Umweltaktivisten. Gemeinsam mit ihrer Gemeinde bemühen Ilham Mahmudi und Taufik sich darum, den Mangrovenwald in diesem Gebiet vor Eingriffen zu schützen, die, so ihre Befürchtung, zu Überschwemmungen führen und ihr Dorf versinken lassen könnten. Die indonesischen Behörden müssen für eine faire und unparteiische Strafverfolgung sorgen und ihnen das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren gewähren.

Appell an

Staatsanwältin Regierungsbezirk Langkat
Yuliarni Appy, S.H., M.H.
Head of Langkat Regency Prosecutor’s Office
Jl. Proklamasi No. 51, Kwala Bingai, Stabat,
Langkat Regency, North Sumatra Province
INDONESIEN (20811)

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Indonesien
S. E. Herrn Arif Havas Oegroseno
Lehrter Straße 16-17
10557 Berlin
Fax: 030-4473 7142
E-Mail: info@kbri-berlin.de 


 

Amnesty fordert:

  • Bitte sorgen Sie dafür, dass die Rechte von Ilham Mahmudi und Taufik auf ein Verfahren, das den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entspricht, gewährleistet sind. Dabei sollten insbesondere in Anbetracht des geringen Schadens, der verursacht wurde, übermäßig harte Anklagen vermieden werden und die Strafverfolgung sollte sich auf Beweise stützen, die den begründeten Verdacht einer Beteiligung von Ilham Mahmudi und Taufik an der Beschädigung der provisorischen Hütte belegen.
  • Bitte beachten Sie den Grundsatz der Unschuldsvermutung und lassen Sie Ilham Mahmudi während des Prozesses auf freien Fuß, es sei denn, es besteht eine reale Gefahr der Flucht, des Schadens oder der Beeinträchtigung von Beweisen oder Ermittlungen.
  • Stellen Sie außerdem sicher, dass Ilham Mahmudi regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl hat, nicht gefoltert oder anderweitig misshandelt wird und dass er Zugang zu medizinischer Versorgung und medizinischer Behandlung erhält, wenn er diese benötigt.
  • Außerdem appelliere ich an die Behörden, dafür zu sorgen, dass alle Menschenrechtsverteidiger*innen und ihre Familien, auch die aus der Gemeinde Kwala Langkat, ihre Proteste friedlich und ohne Angst vor Schikanierung, Einschüchterung, willkürlicher Festnahme oder Inhaftierung durchführen können.

Sachlage

Ilham Mahmudi und Taufik, zwei Fischer aus dem Dorf Kwala Langkat, stehen derzeit vor Gericht, weil sie versucht haben, ihr Küstendorf vor der Überflutung zu schützen. Gemeinsam mit den Einheimischen haben die beiden Fischer lautstark gegen Eingriffe in einen geschützten Mangrovenwald in ihrem Dorf durch ein privates Unternehmen protestiert. Sie befürchten, diese könnten zu einer Küstenerosion führen, die die Existenz des Dorfes gefährdet. 

Am 15. Juli 2024 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Ilham Mahmudi und Taufik wegen angeblicher Beteiligung an Gruppengewalt und Sachbeschädigung während eines Protestes am 21. März 2024, bei dem eine provisorische Hütte im Wald beschädigt wurde. Sie wurden nach wochenlanger Untersuchungshaft vor Gericht gestellt, nachdem sie am 18. April bzw. 11. Mai 2024 getrennt festgenommen worden waren. Beide wurden ohne Haftbefehl von Polizist*innen in Zivil festgenommen und hatten bei ihrer ersten Vernehmung keinen Rechtsbeistand an ihrer Seite. Während Taufik am 4. Juli aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, befindet sich Ilham Mahmudi nach wie vor in Gewahrsam der Staatsanwaltschaft. Beiden drohen bis zu fünfeinhalb Jahre Gefängnis.

Darüber hinaus berichteten die Dorfbewohner*innen wegen ihres Protests gegen den Eingriff in den Mangrovenwald von Einschüchterungsversuchen und Drohungen, deshalb strafrechtlich verfolgt zu werden. Diese Situation gibt Anlass zur Sorge, insbesondere angesichts der Bemühungen der Gemeinde, ihr Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt zu schützen sowie des Rechts der Umweltaktivist*innen auf ein faires Gerichtsverfahren nach dem Rechtsstaatsprinzip.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Im Jahr 2014 begannen Bewohner*innen des Dorfes Kwala Langkat im Bezirk Langkat in der Provinz Nordsumatra mit der Neuanpflanzung von Mangrovenbäumen. Das Mangroven-Ökosystem ist für ihren Lebensunterhalt von entscheidender Bedeutung, da die die Dorfbevölkerung auf den Fischfang angewiesen ist. In den darauffolgenden Jahren wurden die Schutzmaßnahmen jedoch durch Eingriffe der Palmölindustrie in dem Gebiet behindert. Die Schäden am Mangroven-Ökosystem haben zu einer Beeinträchtigung der Arbeit der örtlichen Fischer*innen geführt, die nun weiter aufs Meer hinausfahren müssen, um zu ihrem Fanggebiet zu gelangen, und führten außerdem dazu, dass ihr Dorf regelmäßig überflutet wurde. Die Dorfbewohner*innen befürchten weitere Erosionen, zumal das benachbarte Dorf Tapak Kuda aufgrund des steigenden Meeresspiegels bereits überflutet wurde. 

Im Januar 2024 wurde ein weiterer Teil des Mangrovenwaldes für den Palmölanbau abgeholzt. Dies führte zu Protesten seitens der Dorfbewohner*innen, die den Eingriff in den Wald später der Regionalpolizei von Nordsumatra meldeten. Die Polizei begab sich daraufhin vor Ort und beschlagnahmte am 6. Februar 2024 einen Bagger, unternahm aber keine weiteren Schritte zur Untersuchung der Eingriffe. Aus Frustration über die Untätigkeit der Polizei rissen einige Anwohner*innen eine Hütte im Mangrovenwald ab, die von den Baggerfahrer*innen als Pausenunterkunft genutzt wurde. 

Am 22. März 2024 wurde Ilham Mahmudi bei der Polizei angezeigt, weil er an der Zerstörung einer Holzhütte durch einen Mann beteiligt gewesen sein soll, der mit den Eingriffen in Verbindung steht. Am 18. April 2024 nahmen Polizist*innen in Zivil Ilham Mahmudi ohne Haftbefehl in seinem Haus fest. Augenzeug*innen zufolge wurde er gefesselt und in den Wagen gezwungen. Bei seiner ersten Vernehmung war kein Rechtsbeistand anwesend. Später wurde er gezwungen, sich von einem Rechtsbeistand vertreten zu lassen, den die Polizei ausgewählt hatte. Am 26. April 2024 wurde sein Fall von Rechtsbeiständen der NGO Medan Legal Aid Institute (LBH Medan) übernommen. Noch am Tag der Festnahme von Ilham Mahmudi haben Dorfbewohner*innen Berichten zufolge das Haus eines Mannes, der mutmaßlich in Verbindung mit den Eingriffen steht, mit Steinen beworfen und dabei einige Fenster zerstört.

Taufik wurde zunächst am 11. Mai 2024 zusammen mit einem anderen Fischer, Safii, festgenommen und beschuldigt, an der Beschädigung des Hauses am 18. April beteiligt gewesen zu sein. Sie wurden von der Polizei festgenommen, als sie in einem Boot auf dem Meer nach Muscheln fischten. Polizist*innen in Zivil kamen mit einem Schnellboot, nahmen die beiden ohne Haftbefehl fest und drohten, sie zu erschießen, sollten sie sich weigern, ihnen Folge zu leisten. Auch ihnen stand bei ihrer ersten Vernehmung am Nachmittag des 11.  Mai kein Rechtsbeistand zur Seite. Am Abend desselben Tages kamen Rechtsbeistände von LBH Medan vorbei, die von ihnen bevollmächtigt wurden, sie rechtlich zu vertreten. Nach Angaben von LBH Medan zeigte die Videoüberwachung, die der*die Hauseigentümer*in der Polizei als Beweismittel bereitgestellt hatte, dass Taufik am Tag des Vorfalls nur in der Nähe des Hauses gestanden hatte, während Safii versuchte, die Dorfbewohner*innen daran zu hindern, das Haus zu beschädigen.

Im Polizeigewahrsam wurde gegen Taufik auch wegen seiner angeblichen Beteiligung an der Zerstörung der Hütte im Wald ermittelt, und er wurde später als Verdächtiger in diesem Fall benannt. Am 4. Juli 2024 wurde die Anklage gegen Taufik und Safii in dem Fall vom 18. April fallen gelassen und das Verfahren eingestellt, nachdem sie einen Vergleich mit dem Hauseigentümer unterzeichnet hatten. Safii wurde daraufhin freigelassen. An diesem Tag sollte auch der Prozess gegen Ilham Mahmudi und Taufik beginnen. Er wurde verschoben, da ihr Rechtsbeistand erkrankt war. Am gleichen Tag ordneten die Richter jedoch die Entlassung von Taufik aus der Untersuchungshaft an, während Ilham Mahmudi sich seit seiner Verlegung aus dem Polizeigewahrsam am 14. Juni 2024 im Gewahrsam der Staatsanwaltschaft Langkat befindet. Am 15. Juli 2024 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Ilham Mahmudi und Taufik gemäß Paragraf 170 Absatz 1 bzw. Paragraf 406 des Strafgesetzbuchs wegen Gruppengewalt und Sachbeschädigung. Lokale NGOs gehen davon aus, dass das Strafverfahren eine Form von Kriminalisierung darstellt, die darauf abzielt, die Arbeit der lokalen Gemeinschaft zur Erhaltung der Mangrovenwälder und zur Verteidigung ihres Rechts auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt zu unterdrücken. 

Indonesien hat sich im Rahmen der Bemühungen zur Bewältigung der Klimakrise dazu verpflichtet, ökologische Nachhaltigkeit zu gewährleisten und "bis 2060 oder früher" Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Allerdings werden Umweltaktivist*innen in Indonesien zunehmend schikaniert und kriminalisiert, wenn staatliche und wirtschaftliche Akteure ihre Aktivitäten als Hindernis für die Umsetzung der Entwicklungspolitik wahrnehmen. Zwischen Januar 2019 und Juni 2024 hat Amnesty International mindestens 18 Fälle von Festnahmen, Angriffen und Einschüchterung von Umweltaktivist*innen, die ihre Rechte auf Land und eine gesunde Umwelt verteidigten, mit 24 Betroffenen verzeichnet.