Aktuell Ägypten 31. Mai 2013

Ägypten: Todesstoss für die Zivilgesellschaft?

Gefangene MitarbeiterInnen von NGOs vor einem Gerichtsverfahren im März 2012 in Kairo

Gefangene MitarbeiterInnen von NGOs vor einem Gerichtsverfahren im März 2012 in Kairo

29. Mai 2013 - In Ägypten wird derzeit über ein neues Gesetz für Nichtregierungsorganisationen beraten. Sollte es in seiner bisherigen Form beschlossen werden, wäre dies ein Todesstoß für die unabhängige Zivilgesellschaft in Ägypten. Nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen fordern, dass der Entwurf mit internationalen Gesetzen und Standards in Einklang gebracht werden muss.

Der ägyptische Präsident Mohammed Mursi verkündete am 29. Mai 2013, dass er das umstrittene neue Gesetz für Nichtregierungsorganisationen (NRO), an den Schura-Rat, das Oberhaus des ägyptischen Parlaments, überwiesen hat. Das Unterhaus des ägyptischen Parlaments ist derzeit aufgelöst. Bis zu den nächsten Wahlen hat der Schura-Rat die Befugnis, Gesetze zu erlassen.

Das Gesetz würde den ägyptischen Behörden weitgehende Befugnisse einräumen, um in die Registrierung, Aktivitäten und Finanzierung von NRO einzugreifen. Auch die Schaffung eines neuen Koordinationsausschusses, in dem wahrscheinlich auch Mitglieder der Sicherheitskräfte und Nachrichtendienste vertreten wären, würde durch das Gesetz ermöglicht. Mitarbeiter von NRO, die gegen das Gesetz verstoßen, müssten mit hohen Bußgeldern oder gar mit Gefängnisstrafen rechnen.
"Wenn das Gesetz in seiner aktuellen Form verabschiedet wird, wäre das ein Signal der ägyptischen Behörden, dass sich seit der Mubarak-Ära kaum etwas geändert hat, während der unabhängige Menschenrechtsorganisationen mit Hilfe von Beschränkungen davon abgehalten wurden, Missstände aufzuzeigen", sagte Hassiba Hadj Sahraoui, stellvertretende Direktorin der Abteilung für den Mittleren Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

"Wenn Ägypten sich wirklich nachhaltig von seiner Vergangenheit verabschieden will, müssen die Behörden Abstand von dem Gesetz nehmen. Stattdessen müssen sie Raum für Nichtregierungsorganisationen schaffen, um die Einhaltung der Menschenrechte zu fördern und zu sichern."

Nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und dem UN-Hochkommissariat für Menschenrechte kritisieren den Gesetzentwurf und fordern, dass er mit internationalen Gesetzen und Standards in Einklang gebracht werden muss. Der neuste Gesetzesentwurf vom 18. Mai 2013 ignoriert jedoch weitgehend die Bedenken und Empfehlungen.

Nach dem Gesetzesvorschlag, muss jede Organisation, die sich offiziell registrieren lassen möchte, das Ministerium für Soziale Angelegenheiten darüber in Kenntnis setzen. Das Ministerium kann gegen die Registrierung Einwände erheben. Dieses Verfahren der vorherigen Genehmigung widerspricht internationalen Standards.

Zudem wäre die Erlaubnis finanzielle Förderung aus dem Ausland zu erhalten von der Zustimmung des neuen Koordinationsausschusses abhängig. Bereits unter der aktuellen Gesetzeslage haben die Behörden regelmäßig eine solche Zustimmung verweigert oder verzögert, um die Arbeit der betroffenen Menschenrechtsorganisationen einzuschränken.
Besonders drakonisch ist das geplante Gesetzt im Hinblick auf die Registrierung und Aktivitäten von internationalen Nichtregierungsorganisationen. Denn das Gesetz könnte in der Praxis dafür sorgen, dass internationale Organisationen, welche die Menschenrechtssituation in Ägypten kritisch beurteilen, nicht weiter im Land arbeiten dürften. Das Gesetz würde ägyptischen Behörden die Befugnisse einräumen, die Registrierung, Finanzierung und Aktivitäten von Organisationen, die Menschenrechtsverletzungen aufzeigen und sich für die Opfer von Misshandlungen einsetzen, zu verhindern oder einzuschränken.

Seit der "Revolution des 25. Januars" im Jahr 2011 haben die ägyptischen Behörden hart gegen internationale Organisationen und ägyptische Menschenrechtsorganisationen durchgegriffen. Einige Organisationen, darunter Frauenrechtsorganisationen, die sich beim Ministerium für Soziale Angelegenheiten registrieren wollten, mussten bis zu 16 Monaten auf die Genehmigung warten, finanzielle Unterstützung erhalten zu dürfen.

Im Juli 2011 ließ die ägyptische Regierung untersuchen, welche Organisationen finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhielten. Dies führte im letzten Dezember zu einer beispielslosen Welle von Razzien bei internationalen und ägyptischen NROs, in deren Folge insgesamt 43 Angestellte von internationalen Organisationen vor Gericht gestellt wurden. Gegen sie wurde der Vorwurf erhoben, ohne offizielle Registrierung zu arbeiten und ausländische Gelder ohne die Genehmigung der Behörden zu beziehen. Die Urteilsverkündung wird für den 4. Juni 2013 erwartet.

Die harte Vorgehensweise gegen Nichtregierungsorganisationen führte Präsident Mursi seit seiner Amtseinführung im Juni 2012 weiter fort. Anfang des Jahres erhielt die "Ägyptische Organisation für Menschenrechte" ("Egyptian Organization for Human Rights") einen Brief von der Regierung. In dem Brief wurden sie gewarnt, dass es ihr ohne die Erlaubnis der Sicherheitsorgane nicht gestattet sei mit "internationalen Einrichtungen" zusammen zu arbeiten.

"Es ist erschütternd, dass die neuen ägyptischen Behörden angesichts der wirklich großen ökonomischen, politischen und sozialen Probleme der Durchsetzung eines derartig drakonischen NGO-Gesetzes Priorität einräumen. Dies ist offenbar es ein Versuch der Regierung, die Nichtregierungsorganisationen zum Sündenbock zu machen, um von den bisher dürftigen Erfolgen der Regierung abzulenken", sagte Hassiba Hadj Sahraoui.

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