Verleumdungsklage gegen Menschenrechtler

Textfeld "Straflosigkeit beenden"

Der Menschenrechtsverteidiger und bekannte Ermittler der unabhängigen Kommission für Korruptionsbekämpfung KPK, Novel Baswedan, wird wegen Verleumdung strafrechtlich verfolgt. Anlass ist eine E-Mail, die er in seiner Funktion als Gewerkschaftsvertreter geschrieben hat. Die Anklage kommt fünf Monate nachdem in Jakarta ein Säureangriff auf ihn verübt wurde. Bei der entsprechenden Untersuchung gibt es keinerlei Fortschritte.

Appell an

Mr. Teten Masduki

Gedung Bina Graha

Jl. Veteran No. 16

Jakarta Pusat 10110 INDONESIEN

Sende eine Kopie an

Leiter der Anti-Korruptionskommission (KPK RI)

Mr. Agus Rahardjo        

Jln. Kuningan Persada Kav-4

Jakarta Pusat 12950

INDONESIEN

Fax: (00 62) 215 290 5592

E-Mail: informasi@kpk.go.id

Botschaft der Republik Indonesien

S. E. Herrn Fauzi Bowo


Lehrter Straße 16-17

10557 Berlin

Fax: 030-4473 7142


 

Amnesty fordert:

  • Leiten Sie bitte umgehend eine gründliche und unparteiische Untersuchung des Säureangriffs auf Novel Baswedan ein. Ziehen Sie die mutmaßlichen Täter_innen strafrechtlich nach den internationalen Standards für ein faires Gerichtsverfahren zur Verantwortung.
  • Beenden Sie bitte sofort die Schikanen gegen Anti-Korruptions-Aktivist_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen in Indonesien. Stellen Sie zudem sicher, dass sie ihrer friedlichen Arbeit ohne Angst vor Einschüchterung und Drangsalierung nachgehen können.
  • Ich bitte Sie, alle Vorschriften des ITE-Gesetzes abzuschaffen oder abzuändern, mit denen das Recht auf freie Meinungsäußerung in einer Weise eingeschränkt wird, die gegen internationale Menschenrechtsabkommen verstößt. Sorgen Sie bitte außerdem dafür, dass keine seiner Rechtsvorschriften strafrechtliche Sanktionen wegen Diffamierung ermöglicht.

Sachlage

Der bekannte Antikorruptionsermittler Novel Baswedan wird wegen Verleumdung nach Artikel 27(3) des Gesetzes Nr. 19/2016 für elektronische Informationen und Transaktionen (ITE) strafrechtlich verfolgt. Novel Baswedan ist für die unabhängige Kommission für Korruptionsbekämpfung (Corruption Eradication Commission – KPK) tätig. Die Vorwürfe beziehen sich auf eine E-Mail, die er in seiner Funktion als Gewerkschaftsvertreter der KPK geschrieben hat. In dieser kritisierte er den Führungsstil des derzeitigen Direktors der Ermittlungseinheit und stellte die Ernennung eines KPK-Polizeiermittlers in Frage. Dabei machte er geltend, dass diese nicht den internen Verfahren der KPK entsprochen habe.

Am 11. April befand sich Novel Baswedan auf dem Rückweg vom Morgengebet in der Moschee, als sich zwei Männer auf einem Motorrad näherten und ihm Salzsäure ins Gesicht spritzten. Zum Zeitpunkt des Anschlags leitete er die Ermittlungen wegen Veruntreuung von Mitteln, die für neue elektronische Personalausweise gedacht waren. In diese Korruptionsaffäre sollen Parlamentsabgeordnete und ranghohe Politiker_innen verwickelt sein. Novel Baswedan trug von dem Angriff schwere Hornhautverletzungen davon, die momentan in Singapur behandelt werden. Voraussichtlich wird er noch weitere drei bis vier Monate dort bleiben müssen.

Ende Juli bestellte Präsident Joko Widodo den Chef der Nationalen Polizei zu einer Pressekonferenz ein, außerdem wurden Zeichnungen der Verdächtigen veröffentlicht. Seitdem gab es bei der Aufklärung des Säureanschlags keine Fortschritte mehr. Die schleppenden polizeilichen Ermittlungen im Fall des Säureanschlags stehen im direkten Kontrast zu ihrem zügigen Vorgehen im Zusammenhang mit den Verleumdungsvorwürfen. Dies verdeutlicht ein ineffizientes Vorgehen der Polizei in diesem und weiteren Fällen von Angriffen gegen Menschenrechtsverteidiger_innen.

In Indonesien sind Antikorruptionsaktivist_innen und andere Menschenrechtsverteidiger_innen schon lange Drohungen und Angriffen ausgesetzt. Viele solcher Übergriffe wurden nie aufgeklärt. Um die derzeitige Kultur der Straflosigkeit zu beenden, ist ein entschlossenes Vorgehen der Behörden erforderlich. Nur so kann gewährleistet werden, dass Aktivist_innen ihre friedliche Tätigkeit angstfrei ausüben können.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Novel Baswedan hatte zuvor in großen Korruptionsfällen ermittelt, woraufhin sich Parlamentsabgeordnete, hochrangige Polizeiangehörige und Minister_innen vor Gericht verantworten mussten. Währenddessen wurde mit zahlreichen Androhungen körperlicher Gewalt sowie Verleumdungsvorwürfen versucht, seine Ermittlungen zu behindern.

Der Säureangriff auf Novel Baswedan kann nicht als isolierte Einzeltat betrachtet werden. Dass auch bei anderen Drohungen und tatsächlicher Gewalt niemand zur Verantwortung gezogen wurde, sorgt unter Antikorruptionsaktivist_innen und anderen Menschenrechtsverteidiger_innen für ein anhaltendes Klima der Angst.

Am 8. Juli 2010 wurde Tama Satya Langkun, ein Experte von Indonesia Corruption Watch in Jakarta, von zwei unbekannten Personen zusammengeschlagen. Auch mehr als fünf Jahre nach dem Angriff ist noch niemand deswegen festgenommen und vor Gericht gestellt worden. Zum Zeitpunkt des Angriffs hatte Tama Satya Langkun verdächtige Bankkonten untersucht, die mit hochrangigen Polizeibeamt_innen in Verbindung standen.

Haris Azhar, leitender Koordinator der Menschenrechts-NGO Kommission für die Verschwundenen und Opfer von Gewalt (KontraS), postete am 28. Juli 2016 auf Facebook einen Artikel, in dem indonesische Sicherheits- und Ordnungskräfte mit Drogenhandel und Korruption in Verbindung gebracht wurden. Grundlage dafür waren 2014 geführte Gespräche mit einem zum Tode verurteilten Drogenschmuggler. Dieser wurde am 29. Juli 2016 gemeinsam mit drei anderen wegen Drogendelikten Verurteilten auf der Insel Nusakambangan in Zentral-Java hingerichtet – 24 Stunden zuvor war der Artikel veröffentlicht worden. Haris Azhar erhält seit der Veröffentlichung seines Buches The dark story of a bandit: testimony from a meeting with Freddy Budiman in Nusakambangan Prison 2014 anonyme Drohungen und die Mitarbeiter_innen von KontraS haben den Eindruck, dass sie verstärkt von Geheimdienstbeamt_innen überwacht werden.

I Wayan "Gendo" Suardana ist ein Menschenrechtsverteidiger und gehört der Organisation WALHI (Freunde der Erde in Indonesien) an. Am 15. August 2016 wurde er von Aktivist_innen der Pospera (Posko Perjuangan Rakyat, der Pfeiler des Widerstands der Bevölkerung), einer Massenorganisation mit politischen Verbindungen, bei der Polizei angezeigt. Die Aktivist_innen gaben an, dass I Wayan "Gendo" Suardana diffamierende Aussagen gegen Pospera und den Vorsitzenden des Trägervereins der Organisation, der zudem ein Parlamentsabgeordneter der Regierungspartei ist, getätigt habe. I Wayan "Gendo" Suardana bezeichnete die Pospera in einem Tweet als "Pos Pemeras Rakyat" (Der Pfeiler der Erpressung der Bevölkerung) und nannte einen der Leiter_innen der Organisation, welcher mit Nachname Napitupulu heißt, "Napitufulus", was so viel wie "Napitugeld" heißt.

Das 2008 in Kraft getretene Gesetz für elektronische Informationen und Transaktionen (ITE) regelt die Informationsverbreitung im Internet. Es enthält ungenaue Formulierungen, die oft dazu führen, dass Verleumdung und Blasphemie sehr weit ausgelegt, und die freie Meinungsäußerung in Indonesien kriminalisiert werden. Artikel 27(3) des ITE-Gesetzes wird hauptsächlich verwendet, um bestimmte Ausdrucksformen zu kriminalisieren und wird angewendet auf "alle Personen, die vorsätzlich und rechtswidrig elektronische Informationen und/oder Dokumente diffamierenden und/oder beleidigenden Inhalts, die zu Hass oder Feindseligkeit gegen Personen aufrufen, verbreiten und/oder diese Informationen zugänglich machen." Indem Indonesien Verleumdung kriminalisiert, verstößt das Land gegen seine rechtliche Verpflichtung durch Artikel 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu respektieren und zu schützen.

Gemäß internationalen Menschenrechtsstandards findet das Recht auf freie Meinungsäußerung auf "alle Formen audiovisueller, elektronischer und internetbasierter Ausdrucksweisen" Anwendung. Amnesty International wendet sich gegen Gesetze, die Verleumdung bzw. Diffamierung kriminalisieren, egal ob es sich um Personen des öffentlichen Lebens oder Privatpersonen handelt. Verleumdung bzw. Diffamierung sollte immer zivilrechtlich und nicht strafrechtlich behandelt werden.