Verbleib weiterhin unbekannt

Gao Zhisheng im Jahr 2008

Gao Zhisheng im Jahr 2008

Appellzeitraum bis 11. Juni verlängert

Der Verbleib des Menschenrechtsanwalts Gao Zhisheng bleibt ein Rätsel, nachdem er seit über drei Monaten vermisst wird. Es sind widersprüchliche Berichte über seinen genauen Aufenthaltsort und seinen Gesundheitszustand aufgetaucht. Aufgrund seiner früheren Behandlung in Haft und ohne Zugang zu einem Anwalt ist er einem hohen Risiko von Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt.

Appell an

Hu Minglang

120 Weiyanglu, Weiyangqu

Xi’an Shi 710016

Shaanxi Sheng

VOLKSREPUBLIK CHINA

 

Sende eine Kopie an

Minister für Öffentliche Sicherheit

Guo Shengkun Buzhang

Gonganbu

14 Dongchanganjie, Dongchengqu

Beijing Shi 100741


VOLKSREPUBLIK CHINA

Tel. (nur chinesisch): (00 86) 10 6626 2114

E-Mail: gabzfwz@mps.gov.cn

Botschaft der Volksrepublik China

S. E. Herrn Mingde Shi

Märkisches Ufer 54

10179 Berlin

Fax: 030-27 58 82 21

E-Mail: presse.botschaftchina@gmail.com oder

            de@mofcom.gov.cn

Amnesty fordert:

  • Lassen Sie Gao Zhisheng bitte umgehend und bedingungslos frei, falls der Grund für seine Haft lediglich die Wahrnehmung seines Rechts auf Meinungsfreiheit ist.
  • Geben Sie umgehend den Verbleib von Gao Zhisheng bekannt. und sorgen Sie dafür, dass er bis zu seiner Freilassung in eine offizielle Hafteinrichtung verlegt wird. Stellen Sie dringend sicher, dass er – falls er sich in einer offiziellen Hafteinrichtung befindet – in der Haft nicht gefoltert oder anderweitig misshandelt wird und dass er regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu seiner Familie, einem Rechtsbeistand seiner Wahl und jeder nötigen medizinischen Versorgung erhält.
  • Stellen Sie bitte sicher, dass alle Menschenrechtsverteidiger_innen ihre friedlichen Aktivitäten ohne Angst vor Schikane, Einschüchterung oder willkürlicher Inhaftierung ausüben können, so wie es in der UN-Erklärung über Menschenrechtsverteidiger_innen verbrieft ist.

Sachlage

Gao Zhisheng wurde von seiner Familie am 13. August als vermisst gemeldet. Die Polizei im Kreis Jia der bezirksfreien Stadt Yulin in der nördlichen Provinz Shaanxi bestreitet, dass sich der Menschenrechtsanwalt bei ihnen in Gewahrsam befindet. Am 5. September erfuhr ein älterer Bruder von Gao Zhisheng schließlich von einem Regierungsbeamten, dass sein Bruder nach Peking gebracht worden sei. Die Familie hat bisher jedoch keine weiteren Informationen zu dem Aufenthaltsort von Gao Zhisheng, seinem Gesundheitszustand oder den Gründen für die Inhaftierung erhalten.

Zwei von Gao Zhishengs Familie beauftragte Rechtsbeistände besuchten am 12. Oktober bzw. 8. November die Behörde für öffentliche Sicherheit in Peking und im Kreis Jia, um weitere Informationen über seine Inhaftierung zu erhalten. Die Behörden weigerten sich jedoch, ihnen irgendwelche Informationen zu geben.

Radio Free Asia (RFA) berichtete, dass ein Angehöriger der Behörde zur Aufrechterhaltung der Sicherheit in Gao Zhishengs Heimatstadt, der Gemeinde Lu im Kreis Jia, einem Reporter von RFA am 11. November mitgeteilt habe, Gao Zhisheng befände sich im Gewahrsam der lokalen Behörde für öffentliche Sicherheit im Kreis Jia und sein Zustand sei gut. Gao Zhishengs Frau zufolge hatte seine Familie jedoch keinerlei derartige Informationen erhalten.

Ende August wurde Gao Zhishengs Freund, der Aktivist Shao Zhongguo, wegen des Verdachts der "Unruhestiftung" festgenommen, weil er Gao Zhisheng Anfang August geholfen hatte, sein streng bewachtes Haus heimlich zu verlassen und in die Nachbarprovinz zu reisen. Die Familie von Shao Zhongguo wurde von der Polizei informiert, dass er Ende September offiziell festgenommen wurde, ohne jedoch eine schriftliche Mitteilung über seine

Hintergrundinformation

Hintergrund

Am 13. August sagte die Frau von Gao Zhisheng in einem Twitterbeitrag, dass sie seit zwei Tagen vergeblich versuche, ihren Mann zu erreichen. Als sie sich mit Gao Zhiyi, dem älteren Bruder von Gao Zhisheng, in Verbindung setzte, erklärte dieser, dass er an diesem Tag bei Gao Zhisheng zuhause gewesen sei, ihn dort aber nicht vorgefunden habe. Gao Zhiyi meldete Gao Zhisheng noch am selben Tag als vermisst.

Gao Zhisheng ist ein in China äußerst bekannter Menschenrechtsanwalt. Das Justizministerium nannte ihn 2001 "einen der zehn besten Rechtsanwälte des Landes", da er sich ehrenamtlich in Verfahren von öffentlichem Interesse engagierte. Gleichzeitig ist Gao Zhisheng in der Vergangenheit aufgrund seiner Menschenrechtsarbeit inhaftiert, gefoltert, rechtswidrig unter Hausarrest gestellt und Opfer des Verschwindenlassens geworden. Als Anwalt hatte er Menschenrechtsverteidiger_innen vor Gericht vertreten und bei politisch brisanten Fällen mitgearbeitet. Ende 2005 entzog die Justizbehörde in Peking ihm die Zulassung als Rechtsanwalt und stellte den Betrieb seiner Kanzlei Shengzhi Law Office vorübergehend ein. Dies geschah unmittelbar nachdem Gao Zhisheng sich in mehreren offenen Briefen an die Regierung gewandt und eine Beendigung der religiösen Verfolgung bestimmter Personengruppen wie z. B. Falun-Gong-Praktizierender gefordert hatte.

Im Februar 2006 organisierte Gao Zhisheng einen großangelegten Hungerstreik, um auf die Verfolgung von Menschenrechtsverteidiger_innen in China aufmerksam zu machen. Am 22. August 2006, kurz nach Ende des Hungerstreiks, nahmen die Behörden ihn ohne Anklage in Haft. Am 21. September erhob man Anklage gegen ihn wegen "Anstiftung zum Umsturz der Staatsmacht". Im Dezember wurde er schließlich zu drei Jahren Haft auf Bewährung mit fünfjährigem Strafaufschub verurteilt.

Im April 2010 sagte Gao Zhisheng in einem Interview mit Associated Press, dass er im Gewahrsam gefoltert worden sei. Kurz darauf "verschwand" der Aktivist erneut und fast 20 Monate lang fehlte von ihm jede Spur. Im Dezember 2011 wurde in den staatlichen Medien verkündet, dass Gao Zhisheng gegen die Auflagen seiner Bewährungsstrafe verstoßen habe und daher seine dreijährige Gefängnisstrafe antreten müsse. Der engste Familienkreis von Gao Zhisheng floh im März 2009 aus China in die Vereinigten Staaten, nachdem die Familie durchweg von den chinesischen Behörden drangsaliert wurde, beispielsweise durch das Einfrieren von Bankkonten und das Hindern seiner Kinder am Schulbesuch. Im Oktober 2010 bat seine Tochter Grace Geng in einem offenen Brief den damaligen US-amerikanischen Präsidenten: "Präsident Obama, Sie sind selbst Vater von zwei Mädchen. Bitte appellieren Sie an Präsident Hu Jintao, seinen Töchtern zu sagen, wo ihr Vater ist."

Seitdem Gao Zhisheng 2014 aus dem Gefängnis entlassen worden war, lebte er bei der Familie seines älteren Bruders Gao Yisheng in einem entlegenen Dorf in der Provinz Shaanxi und wurde streng überwacht. Laut seiner Familie wurde Gao Zhisheng im Gefängnis misshandelt und schlecht ernährt. In der Folge leidet er an ernsten Zahnbeschwerden, was bedeutet, dass er selbst drei Jahre später nur schwer feste Nahrung zu sich nehmen kann. Zudem hätten die Behörden es dem Aktivisten verboten, sein Dorf zu verlassen, um sich medizinisch oder zahnärztlich behandeln zu lassen. Trotz alledem setzte sich Gao Zhisheng bis zum Zeitpunkt seines erneuten "Verschwindens" auch weiterhin öffentlich für die Menschenrechte ein und übte nach wie vor Kritik an der Kommunistischen Partei.

Im Jahr 2016 brachte Gao Zhisheng mit der Unterstützung seiner Tochter Grace Geng ein Buch mit dem Titel "Das Jahr 2017; Erhebe dich, China" heraus. Darin beschreibt er seine Behandlung während seiner Inhaftierung von 2009 bis 2014 und spricht über sein Leben nach der Entlassung, als er bei seinem älteren Bruder Gao Yisheng in Shaanxi unterkam und rund um die Uhr überwacht wurde. Mit dem Buch wollte er seinen Widerstand gegen die Menschenrechtsverletzungen durch die Kommunistische Partei ausdrücken.

In China werden Aktivist_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen nach wie vor systematisch überwacht, schikaniert, eingeschüchtert, festgenommen und inhaftiert. Immer häufiger kommt es vor, dass die Polizei Menschenrechtler_innen nicht in offiziellen Hafteinrichtungen festhält. Häufig haben sie über lange Zeit hinweg keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand, was Folter und anderer Misshandlung Vorschub leistet.