Menschenrechtler_innen bedroht

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Mitarbeiter_innen des Jakarta Legal Aid Institute und der Indonesian Legal Aid Foundation wurden durch gewaltsame "antikommunistische" Proteste bedroht. Seit den Protesten vor ihren Büros bleiben die Organisationen aus Sorge um die Sicherheit der Mitarbeiter_innen geschlossen. Die indonesischen Behörden müssen Maßnahmen ergreifen, um sie zu schützen und sicherzustellen, dass die Menschenrechtsverteidiger_innen ihre Arbeit fortsetzen können.

Appell an

Mr. Teten Masduki       

Gedung Bina Graha

Jl. Veteran No. 16        

Jakarta Pusat 10110 INDONESIEN

Sende eine Kopie an

Leiter der Nationalen Menschenrechtskommission

Mr. Nur Kholis

Jl. Latuharhary No. 4 Menteng


Jakarta Pusat 10310

INDONESIEN

Fax: (00 62) 213 925 227

Botschaft der Republik Indonesien

S. E. Herrn Fauzi Bowo


Lehrter Straße 16-17

10557 Berlin

Fax: 030-4473 7142

E-Mail: info@botschaft-indonesien.de

Amnesty fordert:

  • Bitte ergreifen Sie in Absprache mit dem Jakarta Legal Aid Institute und der Indonesian Legal Aid Foundation umgehend Maßnahmen, um die Sicherheit der Mitarbeiter_innen zu garantieren und dafür zu sorgen, dass sie in ihren Büros wieder ihrer rechtmäßigen Arbeit nachgehen können.
  • Leiten Sie bitte umgehend eine unparteiische und wirksame Untersuchung der Drohungen und Angriffe auf die Büros des Jakarta Legal Aid Institute und der Indonesian Legal Aid Foundation ein.

Sachlage

Am 17. September um 21 Uhr Ortszeit versammelten sich Menschen vor den Büros des Jakarta Legal Aid Institute (LBH) und der Indonesian Legal Aid Foundation (YLBHI), die angaben "Antikommunisten" zu sein. Sie waren Informationen gefolgt, dass in den Büros ein Seminar über die verbotene Indonesia Communist Party (PKI) und die Menschenrechtsverletzungen des Jahres 1965 stattfinden solle. 1965 wurden Schätzungen zufolge zwischen einer halben und einer Million Menschen getötet. Bei der Veranstaltung handelte es sich jedoch in Wirklichkeit um eine Performance von Künstler_innen und Aktivist_innen. Sie wollten darstellen, wie in jüngster Zeit hart gegen Menschen vorgegangen wird, die ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung wahrnehmen.

Die wütenden Teilnehmer_innen der Protestveranstaltung blockierten die Ausgänge des Gebäudes und riefen, dass sie alles tun würden, um die "kommunistische" Gefahr auszulöschen. Sie drohten, die YLBHI und das LBH "platt zu machen". Die Polizei, unter Leitung des Polizeipräsidenten der Polizei von Jakarta, versuchte den Menschen mitzuteilen, dass es sich nicht um ein Seminar über die PKI oder die Vorgänge von 1965 handele. Ihre Versuche, die Menschenmenge aufzulösen, scheiterten jedoch.

Als sich gegen 1 Uhr am Morgen des 18. September fast 1000 Menschen vor den Büros eingefunden hatten, begannen sie Steine auf das Bürogebäude der YLBHI und des LBH zu werfen und zerstörten die Umzäunung bei dem Versuch, sich Zutritt zu dem Gelände zu verschaffen. Hunderte von Polizist_innen, die sich am frühen Nachmittag eingefunden hatten, um die Büros zu schützen, mussten schließlich Gewalt anwenden, um die gewalttätige Protestveranstaltung aufzulösen. Auch sie wurden angegriffen und mit Steinen beworfen. Amnesty International Indonesien hat die Situation beobachtet und festgestellt, dass die Polizei sich angesichts der eskalierenden Stimmung gegen die Büros und die Mitarbeiter_innen angemessen verhalten hat.

Obwohl es in Indonesien im Laufe der vergangenen 20 Jahre eine zunehmende Besserung gab, was das Recht auf freie Meinungsäußerung betrifft, so herrscht bezogen auf die Gräueltaten von 1965 doch noch immer eine Kultur des Schweigens. Die anhaltenden Drohungen und Angriffe gegen Mitarbeiter_innen der YLBHI und des LBH schrecken weitere Menschenrechtsverteidiger_innen in Indonesien ab, die ihre Menschenrechtsarbeit ohnehin nur eingeschränkt ausüben können.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Am 16. September, einen Tag vor den Angriffen auf die Büros der YLBHI und des LBH, hatte die Polizei ein geschlossenes Seminar verboten, bei dem die Organisationen eine Diskussion mit Überlebenden über die historische Wahrheit der massiven Menschenrechtsverletzungen des Jahres 1965 veranstalten wollten.

Zwischen 1965 und 1966 wurden Schätzungen zufolge zwischen einer halben und einer Million Menschen ermordet und hunderttausende ohne Anklage für Zeiträume von wenigen Tagen bis zu 14 Jahren festgehalten. Damals ging das indonesische Militär gezielt gegen Mitglieder der PKI und mutmaßliche Verbündete vor. Eine dreijährige Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen von 1965, die von der Nationalen Menschenrechtskommission (Komnas HAM) durchgeführt und im Juli 2012 abgeschlossen wurde, stellte fest, dass die Kriterien schwerster Menschenrechtsverletzungen erfüllt seien und auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß des Indonesischen Gesetzes 26/2000 über Menschenrechtsgerichte begangen worden seien. Komnas HAM und andere Menschenrechtsorganisationen haben eine Reihe von Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, die während dieser Zeit begangen wurden. Darunter fallen rechtswidrige Tötung, Folter, Verschwindenlassen, Vergewaltigung, sexuelle Versklavung, und andere sexualisierte Gewalttaten sowie Sklaverei, willkürliche Inhaftierungen und Festnahmen, Vertreibung und Zwangsarbeit. Viele Betroffene und ihre Familien wurden auch in ihren sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechten verletzt und werden bis heute sowohl im täglichen Leben als auch per Gesetz diskriminiert. Bis heute gibt es keine Hinweise darauf, dass die Regierung ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren der Vorfälle einleiten wird. Versuche auf nationaler Ebene eine Kommission einzurichten, die die Wahrheit ans Licht bringen soll, kommen nicht voran, weil der politische Wille fehlt.

In jüngster Zeit gab es viele Versuche der indonesischen Sicherheitskräfte oder von Bürgerwehr-Gruppierungen, sowohl öffentliche Veranstaltungen als auch Diskussionen hinter verschlossenen Türen zu stoppen, die sich mit dem Thema der massiven Menschenrechtsverletzungen von 1965 auseinandersetzen. In Ambon in der Provinz Maluku sahen sich die Organisatoren einer Diskussion über die Ergebnisse des International Peoples Tribunal (IPT) dazu gezwungen, diese in eine Kirche zu verlegen, nachdem sie am 18. März von der Polizei eingeschüchtert worden waren. Das IPT ist eine zivilgesellschaftliche Initiative, welche auf internationaler Ebene für die massiven Menschenrechtsverletzungen von 1965 sensibilisieren möchte. Erst am 1. August haben lokale Polizei- und Militärkräfte einen Workshop in Jakarta aufgelöst, der sich auch mit den Ergebnissen des IPT beschäftigte. Auch in Bandung und Cirebon (West-Java), Semarang (Java-Zentrum), Surabaya (Ost-Java) und in Yogyakarta wurden Einschüchterungen durch Sicherheitskräfte dokumentiert. In weiteren Fällen versuchten Bürgerwehr-Gruppierungen auf eigene Faust solche Veranstaltungen aufzulösen. Siehe: https://www.amnesty.org/en/documents/asa21/6908/2017/en/

Fortsetzung (Auf Englisch)

According to local human rights organizations, there have been at least 39 cases since 2015 where authorities or vigilante groups had disbanded events and intimidated those involved in events related to the 1965 atrocities.

These restrictions to the rights of freedom of expression and peaceful assembly in relation to the events of 1965 is at odds with initiatives by President Widodo who has pledged to address all past human rights violations and abuses in the country, including those of 1965. In April 2016 the government organized a symposium 'Examining the 1965 Tragedy: A Historical Approach’ (Membedah Tragedi 1965: Pendekatan Kesejarahan), which brought together survivors, scholars, human-rights activists, artists, former members of the Indonesian military and government officials to discuss the events of 1965. One of the key recommendations from the symposium was for the authorities to end all forms of restrictions to the rights of freedom of expression and peaceful assembly in relation to any public discussions related to the 1965 mass human rights violations.

Amnesty International maintains that the victims of the 1965 violations and the families have the right to peacefully assemble to discuss and exchange information and ideas about the past.