Nach Folter in Hinrichtungsgefahr

Appell an

OBERSTE JUSTIZAUTORITÄT

Ebrahim Raisi, c/o Permanent Mission of Iran to the UN

Chemin du Petit-Saconnex 28

1209 Genf

SCHWEIZ

Sende eine Kopie an

Botschaft der Islamischen Republik Iran

S. E. Herrn Mahmoud Farazandeh

Podbielskiallee 65-67

14195 Berlin

Fax: 030 83 222 91 33


E-Mail: info@iranbotschaft.de

Amnesty fordert:

  • Bitte heben Sie das Todesurteil gegen Arsalan Khodkam auf und gewähren Sie ihm ein faires Gerichtsverfahren, in dem nicht auf die Todesstrafe zurückgegriffen wird und in dem keine unter Folter und Misshandlungen erpressten "Geständnisse" zugelassen werden.
  • Ich bitte Sie außerdem, Arsalan Khodkam Zugang zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl zu gewähren.
  • Bitte ordnen Sie eine unabhängige und unparteiische Untersuchung der von ihm erhobenen Foltervorwürfe an und stellen Sie die mutmaßlich Verantwortlichen in einem fairen Verfahren vor Gericht.
  • Bitte erlassen Sie umgehend ein offizielles Hinrichtungsmoratorium mit dem Ziel, die Todesstrafe ganz abzuschaffen.

Sachlage

Der 47-jährige Kurde Arsalan Khodkam ist in Gefahr, im Gefängnis von Urumieh in der Provinz West-Asderbaidschan hingerichtet zu werden. Er war am 14. Juli 2018 wegen "Spionage" für die Kurdische Demokratische Partei des Iran (KDPI), eine bewaffnete Oppositionsgruppe, zum Tode verurteilt worden. Damals war er ein niedrigrangiger Angehöriger der Revolutionsgarden. Er hat diese Anschuldigungen immer bestritten und erklärt, dass die Behörden ihn der Spionage beschuldigten, nachdem sie erfahren hatten, dass er über Instagram mit einem Verwandten seiner Frau kommunizierte, der Mitglied der KDPI war. Arsalan Khodkam wurde weniger als drei Monate nach seiner Festnahme in einem unfairen Verfahren, das nur 30 Minuten dauerte, aufgrund von "Geständnissen", die er seinen Angaben zufolge unter Folter und anderen Misshandlungen unterzeichnet hatte, zum Tode verurteilt. Er hatte zu keinem Zeitpunkt Zugang zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl. Im Februar 2020 versuchte sein Anwalt Einsicht in die Gerichtsunterlagen zu erhalten, um ein Gnadengesuch vorzubereiten. Die Staatsanwaltschaft teilte dem Rechtsbeistand jedoch mit, er könne Arsalan Khodkam nicht vertreten. Ein Gnadengesuch, das Arsalan Khodkam aus dem Gefängnis gestellt hatte, wurde abgelehnt. Im Mai 2020 wurden seine Familienangehörigen gewarnt, er könne jederzeit hingerichtet werden.

Nach seiner Festnahme am 23. April 2018 wurde Arsalan Khodkam in eine Hafteinrichtung der Revolutionsgarden in der Militärkaserne Almahdi in Urumieh gebracht. Dort hielt man ihn 36 Tage in Einzelhaft ­ ohne Kontakt zu seiner Familie oder einem Rechtsbeistand. Während dieser Zeit wurde er seinen Angaben zufolge wiederholt gefoltert, um ihn zu einem "Geständnis" zu zwingen. Er sagte, er sei wiederholt ausgepeitscht bzw. mit Stöcken geschlagen und mit Fausthieben und Tritten traktiert worden, unter anderem auf den Rücken, wo er ein chirurgisches Implantat hat. Deshalb habe er mehrfach das Bewusstsein verloren. Die Verhörbeamt_innen sollen ihn über lange Zeiträume in schmerzhafter Weise die Hände gefesselt haben. Während dieser Zeit verweigerte man ihm den Gang zu Toilette, so dass er sich einnässte oder den Harn so lange einhielt, bis er Blasen- und Nierenschmerzen hatte. Er gab außerdem an, am Schlafen gehindert worden zu sein.

Arsalan Khodkam wurde von der Abteilung 1 des Militärgerichts in West-Aserbaidschan der "Feindschaft zu Gott" (moharebeh) durch "Spionage" für schuldig befunden. Er traf seinen vom Gericht bestimmten Rechtsbeistand zum ersten Mal während des Gerichtsverfahrens. Dieser habe vor Gericht nichts zu seiner Verteidigung vorgetragen. Die Abteilung 32 des Obersten Gerichtshof wies sein Rechtsmittel im Schnellverfahren zurück, ohne darauf einzugehen, dass unter Folter erpresste "Geständnisse" vor Gericht zugelassen wurden. Ein darauffolgender Antrag auf gerichtliche Überprüfung des Verfahrens wurde am 3. Oktober 2018 zurückgewiesen. Arsalan Khodkam hat bis heute keine schriftliche Fassung des Urteils gegen ihn erhalten. Die Anwendung der Todesstrafe wegen "Spionage" verstößt gegen das Völkerrecht, das die Todesstrafe auf die "schwersten Verbrechen", wie vorsätzliche Tötungen, beschränkt.

Amnesty International wendet sich in allen Fällen, weltweit und ausnahmslos gegen die Todesstrafe, ungeachtet der Schwere und der Umstände einer Tat, der Schuld, Unschuld oder besonderen Eigenschaften des Verurteilten, oder der vom Staat gewählten Hinrichtungsmethode, da sie das Recht auf Leben verletzt und die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen darstellt.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Seit 2018 hat sich die Familie von Arsalan Khodkam an verschiedene staatliche Stellen, darunter den Religionsführer, das Büro der Obersten Justizautorität und mehrere Parlamentsabgeordnete gewandt, um auf das unfaire Gerichtsverfahren gegen Arsalan Khodkam hinzuweisen, und sie gebeten, in dem Fall aktiv zu werden, um sein Leben zu retten. Die Behördenvertreter_innen haben der Familie jedoch immer wieder mitgeteilt, dass es in diesem Fall um eine "Sicherheitsangelegenheit" gehe, so dass nichts getan werden könne.

Amnesty International liegen Informationen vor, nach denen Arsalan Khodkam nach seiner Festnahme in Urumieh tagelang physische Folterungen ausgehalten hat, aber dann Aussagen unterschrieb, in denen er sich selbst belastete, nachdem er psychologischer Folter ausgesetzt wurde, als seine Frau am 28. April 2018 für zwei Tage inhaftiert wurde und man drohte, ihr und ihrem Sohn etwas anzutun. Während der 36 Tage in Einzelhaft soll Arsalan Khodkam erheblich an Gewicht verloren haben. Er wurde danach in das Gefängnis von Urumieh verlegt.

Arsalan Khodam hat angegeben, auf dem rechten Auge erhebliche Einschränkungen der Sehkraft zu haben, weil er während der Verhöre wiederholt ins Gesicht geschlagen worden sei. Zudem leidet er unter heftigen Rückenschmerzen. Die Behörden kommen bislang seinen Bitten nicht nach, in einer medizinischen Einrichtung außerhalb des Gefängnisses untersucht und behandelt zu werden. Im Gefängniskrankenhaus erhält er lediglich Spritzen gegen die Rückenschmerzen.

Folter ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht und ihre Anwendung ist unter allen Umständen verboten. Aussagen, die infolge von Folter, Misshandlungen oder anderen Formen von Nötigung entstanden sind, müssen in Strafverfahren ausgeschlossen werden, es sei denn, als Beweise gegen eine einer solchen Tat verdächtigen Person. Das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren ist auf der Grundlage des Völkergewohnheitsrechts bindend für alle Staaten. Personen, denen ein strafrechtliches Verfahren droht, haben ab dem Zeitpunkt der Festnahme  das Recht, einen Rechtsbeistand zu konsultieren; niemand darf gezwungen werden, gegen sich selbst als Zeuge auszusagen oder sich schuldig zu bekennen; niemand darf aufgrund vager Anschuldigungen inhaftiert werden, jede Person hat das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren vor einem zuständigen, unabhängigen, unparteiischen Gericht und auf ein öffentlich begründetes Urteil. Angesichts der Unumkehrbarkeit einer Hinrichtung müssen in Verfahren, in denen die Todesstrafe verhängt werden kann, die relevanten internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren ganz genau eingehalten werden.

Als Arsalan Khodkam am 23. April 2018 festgenommen wurde, warfen ihm die Revolutionsgarden "Spionage" für die Kurdische Demokratische Partei des Iran (KDPI) vor. Sie machten geltend, er habe die KDPI mit Geheiminformationen über die militärischen Angelegenheiten der Revolutionsgarden versorgt und die KDPI bei bewaffneten Aktionen gegen die Revolutionsgarden unterstützt. Die KDPI ist eine iranisch-kurdische bewaffnete Oppositionsgruppe, die in der Region Kurdistan im Irak ansässig ist. Die Organisation hatte die bewaffneten Aktionen gegen die iranischen Behörden Anfang der 1990-er Jahre eingestellt, sie aber 2016 wieder aufgenommen. Arsalan Khodkam bestreitet die Vorwürfe und gibt an, keine Verbindungen mehr zur KDPI gehabt zu haben, seit er die Gruppe in den frühen 1980-er Jahren verließ. Nach Amnesty International vorliegenden Informationen hat Arsalan Khodkam einmal einen Verwandten, ein Mitglied der KDPI, darüber informiert, dass die Revolutionsgarden Truppen entsenden wollten, um eine Serie von friedlichen gegen die Behörden gerichteten Streiks und Protesten in Baneh in der Provinz Kurdistan, die im April 2018 begonnen hatten, niederzuschlagen. Arsalan Khodkam erklärte, dass er bei seinen anderen Kontakten mit Verwandten keine sensiblen Informationen geteilt habe, sondern lediglich Namen und Positionen von Revolutionsgarden, die er durch seine Arbeit kannte, weitergegeben habe.