Andorra: Aktivistin für reproduktive Rechte vor Gericht

Diese Urgent Action ist beendet.

Am 17. Januar 2024 sprach ein andorranisches Gericht die Menschenrechtsverteidigerin Vanessa Mendoza Cortés frei. Sie war zu Unrecht strafrechtlich verfolgt worden, weil sie sich 2019 vor einem UN-Expertengremium zu den Menschenrechten von Frauen und dem absoluten Abtreibungsverbot in Andorra geäußert hatte.

Das Bild zeigt das Porträtbild einer Frau, ihr Mund ist mit Klebeband zugeklebt

Die andorranische Frauenrechtlerin Vanessa Mendoza Cortés (Archivbild)

Der Menschenrechtsverteidigerin Vanessa Mendoza Cortés droht ein Gerichtsverfahren, weil sie im Jahr 2019 vor einem Expert*innenausschuss der Vereinten Nationen über Frauenrechte in Andorra und konkret über das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche gesprochen hatte. Im Falle einer Verurteilung drohen ihr eine hohe Geldstrafe und ein Eintrag im Vorstrafenregister.

Appell an

Generalstaatsanwalt

Sr. Don Alfons Alberca Sanvinces

Seu de la Justícia

Baixada del Molí, núm 2-4

Andorra la Vella


ANDORRA

Sende eine Kopie an

Botschaft des Fürstentums Andorra

Kärntner Ring 2a/13

1010 Wien

ÖSTERREICH


Fax: 043-1 961 090 950

E-Mail: Ambaixada_Alemanya@govern.ad

oder missio_onu_gva@govern.ad

Amnesty fordert:

Sachlage

Die Menschenrechtsverteidigerin und Präsidentin von Stop Violence (katalanisch: Associació Stop Violències) Vanessa Mendoza Cortés wird strafrechtlich verfolgt, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen hat. Sie setzt sich für die Menschenrechte von Frauen und Mädchen in Andorra ein und hatte das absolute Abtreibungsverbot im Land kritisiert. Im Falle einer Verurteilung drohen ihr eine Geldstrafe von bis zu 30.000 Euro und ein Eintrag in das Vorstrafenregister.

Die strafrechtliche Verfolgung von Vanessa Mendoza Cortés ist als Vergeltungsmaßnahme für ihren Einsatz für die Menschenrechte von Frauen und Mädchen sowie das Recht auf einen sicheren und legalen Schwangerschaftsabbruch in Andorra zu bewerten. Die gegen sie erhobenen Vorwürfe resultieren aus ihrer Zusammenarbeit mit dem Ausschuss der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (UN CEDAW). Diese Zusammenarbeit ist Teil des regelmäßigen und wichtigen Informationsaustausches zwischen dem UN-Gremium und Menschenrechtsverteidiger*innen auf der ganzen Welt.

Im Jahr 2021 ließ die Staatsanwalt bereits zwei der drei ursprünglich gegen sie erhobenen Anklagen, die zu Haftstrafen hätten führen können, fallen. Ihr wird jedoch weiterhin ein Verbrechen "gegen das Ansehen der Institutionen" (Paragraf 325 des Strafgesetzbuchs) vorgeworfen. Somit droht ihr eine Strafe allein für die Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung.

Staatliche Institutionen sollten stets offen gegenüber Kommentaren, Kritik und Überprüfung sein. Nach den internationalen Menschenrechtsnormen und -standards sind Rechtsvorschriften, die auf den Schutz von Ehre und Ansehen abzielen, für die Bürger*innen gedacht und dienen nicht dem Schutz von abstrakten Werten oder staatlichen Institutionen. Paragraf 325 des Strafgesetzbuches, der gegen Vanessa Mendoza Cortés eingesetzt wird, sollte daher aufgehoben und in der Zwischenzeit nicht weiter angewendet werden. Vanessa Mendoza Cortés langwierige strafrechtliche Verfolgung könnte sowohl auf sie als auch auf andere Menschenrechtsverteidiger*innen in Andorra eine abschreckende Wirkung haben.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Vanessa Mendoza Cortés ist Psychologin und Präsidentin der Frauenrechtsorganisation Stop Violence. Ihre Organisation befasst sich mit geschlechtsspezifischer Gewalt, sexuellen und reproduktiven Rechten und setzt sich für das Recht auf sichere und legale Schwangerschaftsabbrüche in Andorra ein.

In dem Land mit rund 77.000 Einwohner*innen besteht ein absolutes Abtreibungsverbot. Andorra und Malta sind die einzigen europäischen Staaten, die an derart strikten Abtreibungsgesetzen festhalten. Das hat zur Folge, dass Menschen, die einen Schwangerschaftsabbruch benötigen, gezwungen sind ins Ausland nach Frankreich oder Spanien zu reisen, um Zugang zu der medizinischen Versorgung zu erhalten, die ihnen zustehen würde. Diejenigen, die aus Kostengründen oder aufgrund ihres unsicheren Rechtsstatus nicht reisen können, sind einem erhöhten Risiko von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Stop Violence unterstützt schwangere Personen beim Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen im Ausland und fordert von Andorra dieselben Möglichkeiten für sichere und legale Schwangerschaftsabbrüche im Land. Vanessa Mendoza Cortés ist Sprecherin der Organisation und in Andorra als Aktivistin bekannt.

Im Oktober 2019 nahm Vanessa Mendoza Cortés an der vierten Sitzung zu Andorra im Ausschuss der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (UN CEDAW) teil. Dort sprach sie über Frauenrechte und die schädlichen Auswirkungen des absoluten Abtreibungsverbots auf Frauen und Mädchen in Andorra. Kurz darauf erstattete die andorranische Regierung bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen Vanessa Mendoza Cortés und gab an, dass ihre Äußerungen vor dem UN-Gremium das "Ansehen und den guten Ruf" der Regierung untergraben hätten.

Die von der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift gegen Vanessa Mendoza Cortés vorgelegten Beweise beziehen sich unter anderem auf den Inhalt des Parallelberichts, den Stop Violence 2019 bei der UN CEDAW eingereicht hatte. Sie beruft sich außerdem auf Medienerklärungen von Vanessa Mendoza Cortés, in denen sie sich kritisch über die Einstellung des Bischofs von Urgell, der gleichzeitig einer der beiden Kofürsten von Andorra ist, bezüglich der Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen sowie über die Einschränkungen von Frauenrechten durch die Regierung äußert. Bisher wurde noch kein Datum für ihr Gerichtsverfahren festgelegt.

Fortsetzung auf Englisch

In July 2020 the public prosecutor charged Vanessa Mendoza Cortés with 'slander with publicity’ (article 172 of the Penal Code), 'slander against the co-princes’ (article 320 of the Penal Code) and 'crimes against the prestige of the institutions’ (article 325 of the Penal Code). These provisions carry heavy penalties, including a potential sentence of up to four years imprisonment and/or a fine of up to EUR 30,000 (circa USD 32,000). In 2021, the prosecutor dropped two of the charges involving prison sentences. In October 2022, a judge issued an indictment against Vanessa Mendoza Cortés for the alleged "crimes against the prestige of the institutions" involving a potential heavy fine and a criminal record if convicted.

Amnesty International is concerned that the Andorran authorities are using defamation laws with the purpose or effect of inhibiting criticism of government or public officials, violating the right to freedom of expression guaranteed under Article 19 of the UN International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR) and Article 10 of the European Convention on Human Rights (ECHR). Current defamation laws in the Andorran penal code that are designed to protect state institutions should be repealed in line with international human rights standards that establish that legal provisions to protect the right to honour and reputation are designed to protect individuals, not abstract values, or state institutions. Defamation and libel should never be criminal offences. However, in December 2022, the Andorran parliament (Consell General, in Catalan) voted against the repeal of article 325 of the Penal Code (crimes against the prestige of the institutions), currently used against Vanessa Mendoza Cortés.

Moreover, according to UN Human Rights Council’s resolutions 12/2 (2009) and 24/24 (2013), acts of intimidation against those who seek to cooperate or have cooperated with the United Nations, its representatives, and mechanisms in the field of human rights, or who have provided testimony or information to them constitute acts of reprisals that should be halted and addressed. The prosecution of Vanessa Mendoza Cortes for exercising her right to freedom of expression and the concerted efforts to delegitimise her actions in defence of the human rights of women and girls, and in particular their sexual and reproductive rights, follow a global pattern of intimidation aimed at preventing women human rights defenders from challenging discrimination and promoting equality, particularly when their work defies traditional structures and patriarchal social norms.

In 2021, during the UN Universal Periodic Review, which assesses the human rights record of UN Member States, Andorra was asked to refrain from carrying out judicial harassment, reprisals and intimidation against human rights defenders, amend the defamation laws and decriminalise and make access to abortion safe and legal in the country.