Amnesty Journal 22. Januar 2016

Ich hab nichts anzuziehen

Ich hab nichts anzuziehen

Unschlagbare Preise gegen unsägliche Zustände. Filmszene aus "The True Cost" über die Produktion von Mode

Andrew Morgan untersucht in "The True Cost – Der Preis der Mode" die Bedingungen, unter denen "Fast Fashion" hergestellt wird.

Von Jürgen Kiontke

Wenn einem früher Kleidungsstücke nicht gefielen, tauschte man sie im Laden um. Heute sind sie so billig, dass man sie einfach wegwirft. "Fast Fashion" ist das Zeug, das man etwa bei Handelsketten wie Primark erwirbt.

"Jeden Tag hatte ich neue Tüten, aber nie was zum Anziehen", beschreibt Lucy Siegle dieses Prinzip. Früher sei sie auch ein "Shopping Victim" gewesen, erzählt die englische Journalistin, die seit geraumer Zeit kritisch über die Modeindustrie berichtet. "Gewählte Haut" nennt sie die billigen Stoffstücke. Offensichtlich habe es sich bei großen Teilen der Konsumenten durchgesetzt, genau die mehrmals am Tag zu wechseln.

In den Teilen der Welt, in denen die Ware produziert wird, haben die Modetrends tödliche Folgen: Sei es in den vergifteten Gebieten der Lederindustrie am Ganges oder bei den zu traurigem Weltruhm gekommenen Näherinnen in Bangladesch. Dort stürzte vor zwei Jahren eine der Fabriken ein, die auch für viele deutsche Firmen gearbeitet hat: Rana Plaza. 1.129 Menschen starben. Es gab keinen Arbeitsschutz und keine Bauaufsicht. Wer gegen die Arbeitsbedingungen protestierte, wurde verprügelt. 5.000 Fabriken dieser Art soll es im Land geben.

Lucy Siegle gehört zu den vielen Stimmen, die Regisseur ­Andrew Morgan in seinen Film "The True Cost – Der Preis der Mode" zu Wort kommen lässt. Er hat seine umfangreiche und gute Recherche teilweise drastisch aufbereitet. "The True Cost" leuchtet die Hintergründe der Produktion aus, liefert Fakten und Zahlen zu den größten Modehäusern und den Arbeitsbedingungen. Lange widmet er sich der Näherin Shima aus Bangladesch, die ihr Kind nur einmal im Jahr sieht, weil ihr Arbeitsort so weit entfernt ist. "An dieser Kleidung klebt Blut", sagt sie und meint damit nicht nur die prekären Verhältnisse in ihrem Land.

Ein Beleg dafür sind auch Prügelszenen in Kambodscha, wo Arbeiter für den Mindestlohn kämpfen. Drastisch sind die Bilder aus Indien, wo Arbeiterinnen in der Lederindustrie von schweren Vergiftungen berichten. Das verwendete Chrom zerstört die Haut. Eine irrwitzige Analogie zum Modezirkus – es führt zu Pigmentstörungen, die "America’s Next Topmodel"-Teilnehmerin Chantelle Brown-Young weltberühmt gemacht haben, bei ihr allerdings Folge einer seltenen Krankheit. Die Inderinnen landen nicht auf dem Laufsteg – ihre "Eltern warten darauf, dass ihre Kinder sterben", sagt die Expertin Vandana Shiva.

Kontrastiert wird das Elend mit Modenschauen und Talk­shows sowie Youtube-Videos junger Frauen im "Fast-Fashion"-Fieber. "Guckt mal, was ich heute wieder gekauft hab. Ich hatte nichts mehr anzuziehen." Es werden aber auch Gegenstrategien und Menschenrechtskampagnen vorgestellt – Initiativen wie die "Clean-Clothes-Campaign" finden leider keine Erwähnung. Zu den bemerkenswerten Momenten dieses Films gehört es, dass auch Top-Designerinnen wie Stella McCartney ihre Einschätzung abgeben. Tenor: Wir haben es zwar nicht gleich gemerkt, aber nachhaltige Produktion ist eine Notwendigkeit.

"The True Cost – Der Preis der Mode". F u.a. 2015.
Regie: Andrew Morgan. Kinostart: 21. Januar 2016

Bis zum 3. Juli 2016 zeigt das Deutsche Hygienemuseum Dresden, unabhängig vom Film, die Ausstellung: "Fast Fashion – Die Schattenseiten der Mode".

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