Amnesty Journal Ägypten 25. Juli 2011

"Die Revolution ist nicht vorbei"

Online-Aktivisten und Blogger haben entscheidend zur ägyptischen Revolution beigetragen. Noha Atef ist eine von ihnen. Schon lange vor den Protesten hat sie sich für die Menschenrechte eingesetzt – mit einer Website über Folter in Ägypten.

Wie ist die derzeitige Militärregierung einzuschätzen?
Was die Führung der Militärregierung betrifft, bin ich skeptisch. Den Vorsitz hat Mohamed Tantawi, ein ehemaliger Weggefährte von Mubarak. Ich denke nicht, dass es Aufgabe des Militärs ist, ein Land zu verwalten. Außerdem ist auch die Militärpolizei für Fälle von Folter verantwortlich. Noch gibt es kein Parlament, das diese Dinge überwacht, sondern es sind allein die Ägypter, die die Militärregierung unter Druck setzen können.

Vertrauen Sie dem Militär?
Ich vertraue niemandem. Bei den Protesten ging es darum, das ganze Regime zu stürzen und nicht nur Mubarak. Er hat dieses System über 30 Jahre lang aufgebaut. Das lässt sich nicht in drei Monaten einfach abschaffen. Ein gutes Zeichen ist, dass die Menschen weiterhin fordern, alte Gefolgsleute von Mubarak ins Gefängnis zu bringen. Die Revolution ist noch nicht vorbei.

Wann begannen Sie damit, über Folter in Ägypten zu berichten?
2006 wurde ich auf den Bericht einer lokalen NGO aufmerksam. Nachdem ich ihn gelesen hatte, war ich schockiert. Damals redeten nur wenige über Folter. Ein Ziel des Blogs war es deshalb, dieses Problem öffentlich zu machen. Außerdem wollten wir die Haltung der Menschen ändern und sie dafür sensibilisieren, dass auch "einfaches" Schlagen nicht zu ak­zeptieren ist. Aus der Idee ist über die Jahre ein ausführliches ­Archiv entstanden, das Folter der ägyptischen Polizei doku­mentiert.

Welche Bedeutung hatten soziale Netzwerke für die Proteste?
Blogs sind zunächst einmal Medien wie andere auch und können die öffentliche Meinung beeinflussen. Vor allem aber waren sie ein wirkungsvolles Werkzeug, um die Menschen zu mobilisieren und zu motivieren. Während der Proteste wurde das Internet benutzt, um die Demonstrationen zu organisieren – sofern es nicht abgeschaltet war. Aber auch schon in den Jahren vor der Revolution ging es darum, Online-Medien für sich zu nutzen und Informationen über Folter oder Ähnliches zu verbreiten.

Ein sehr bekannter Fall ist Khaled Said, der im Juni 2010 von Polizisten zu Tode geprügelt wurde…
Ja, Khaled Said war in unserem Alter, er kam aus der Mitte der Gesellschaft, und man konnte sich leicht mit ihm identifizieren. Als dann das Bild seines Leichnams über Facebook verbreitet wurde, wurde vielen klar, dass ihnen das Gleiche hätte passieren können. In diesem Moment waren die Leute wütend genug, um etwas zu unternehmen. Ich würde sagen, Khaled Said war eine der Figuren hinter der Revolution.

Welchen Einfluss hatten Frauen bei der Revolution?
Frauen spielten eine fundamentale Rolle. Oft waren sie es, die auf dem Tahrir-Platz über Mainstream-Medien mitteilten, was sich gerade ereignete. Viele waren schon vor den Protesten aktiv und sind es jetzt auch. Es gibt einige berühmte Bloggerinnen, die sehr politisch sind, wie zum Beispiel Shahinaz Abdel Salam oder Nora Younis, die einen Menschenrechtspreis bekommen hat. Außerdem versuchen viele Frauen, mithilfe der Öffentlichkeit Tabus zu brechen, wie Mahasen Saber mit ihrem "Motalakat Radio". In Ägypten werden geschiedene Frauen immer noch ausgegrenzt. Mahasen Saber ist selbst geschieden und hat das zum Thema einer Radiosendung gemacht. Das ist bemerkenswert und ein großer Schritt nach vorne.

Fragen: Ralf Rebmann

Noha Atef ist Journalistin und Bloggerin. Sie hat für mehrere Zeitungen in der arabischen Welt gearbeitet. Ihr Blog "tortureinegypt.net" ist eine der wichtigsten
Quellen für Informationen über Folter in Ägypten. Die 26-Jährige kommt ­ursprünglich aus Kairo und studiert derzeit in Birmingham.

Weitere Artikel