Amnesty Journal Mexiko 05. Juni 2009

Keine Lobby, keine Rechte

Die Organisation OPIM setzt sich für die Interessen von Indigenen in Mexiko ein. Ihre Mitglieder zahlen dafür oft einen hohen Preis.

Am Ende der Versammlung erhebt Eusebia ihre Stimme. "Das Einzige, was ich mir wünsche, ist, dass die Militärs aus unserer Region verschwinden und wir in Ruhe unser Leben führen können." Der Wunsch klingt bescheiden und bedeutet doch viel, wenn man Angehörige einer indigenen Gemeinschaft ist und in Guerrero, einem der ärmsten Bundesstaaten Mexikos, lebt.

Eusebia ist die Ehefrau von Raúl Hernández, dem letzten noch inhaftierten Mitglied der OPIM. Die Organisation des Indigenenvolkes Me’phaa wurde 2002 gegründet, um die Rechte von Indigenen zu schützen. Die Aktivisten traten bei einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen für Gerechtigkeit ein, beispielsweise nach der Vergewaltigung von Inés Fernández Ortega und Valentina Rosendo Cantú durch Angehörige des Militärs und der erzwungenen Sterilisation von 14 indigenen Männern. Wegen ihres Einsatzes werden sie systematisch verfolgt und bedroht.

Im April 2008 wurden fünf OPIM-Mitglieder, darunter Raúl Hernández, festgenommen und wegen Mordes angeklagt, obwohl sie erwiesenermaßen unschuldig waren. Amnesty International betrachtet sie als gewaltlose politische Gefangene und setzt sich für sie ein. Nachdem sie fast ein Jahr inhaftiert waren, wurden alle Aktivisten außer Raúl freigelassen.

Vom 20. Oktober bis zum 5. November 2008 reisten Mitglieder der "Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko", der auch Amnesty angehört, in die südlichen Bundesstaaten Guerrero, Oaxaca und Chiapas, um Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Im Gefängnis von Ayutla besuchten sie auch die fünf inhaftierten OPIM-Aktivisten, die ihnen von miserablen Haftbedingungen berichteten.

Ihr Hauptaugenmerk legte die Delegation auf die Verletzungen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Davon betroffen sind vor allem die Indigenen, deren Anteil an der Bevölkerung in diesen Bundesstaaten hoch ist und die mehrfach diskriminiert werden: als Indigene und als ärmste Schicht der Gesellschaft, die keine Lobby hat und somit ihre Rechte kaum geltend machen kann. Dies zeigt sich besonders in den Bereichen Bildung, Wohnung, Nahrung und Gesundheit.

Hinzu kommt der hohe Grad der Militarisierung der Region, die Präsident Calderón unter dem Vorwand der Drogenbekämpfung immer weiter verstärkte. Der Einsatz der Militärs richtet sich jedoch oft gegen die indigene Bevölkerung und führt zu massiven Menschenrechtsverletzungen. Wenn überhaupt, werden diese Verbrechen ausschließlich vor Militärgerichten verhandelt, die die Täter nur in den seltensten Fällen verurteilen. Ein weiteres Bespiel für die Straflosigkeit in Mexiko: In dem Land werden nur ein bis zwei Prozent der Straftaten aufgeklärt.

Schließen sich die Betroffenen in Organisationen wie der OPIM zusammen, um für ihre Rechte zu kämpfen, zahlen sie oft einen hohen Preis. Sie werden bedroht, willkürlich festgenommen, "verschwinden" spurlos oder werden ermordet. Trotzdem – oder gerade deshalb – werden die vier freigelassen OPIM-Mitglieder auch weiterhin für ihre Rechte eintreten, wenngleich die Repressionen ihre Zukunft und die ihrer Organisation unsicher erscheinen lassen. Und das, obwohl Mexiko den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte unterzeichnet und ratifiziert hat. Es ist daher wichtig, auf der Einhaltung dieser Rechte zu bestehen und die staatlichen Akteure vor Ort auf ihre Pflichten hinzuweisen. Dazu sind auch politische Entscheidungsträger in Europa aufgefordert.

Von Heike Gulatz.
Die Autorin ist Amnesty-Mitglied und nahm an der Delegationsreise der "Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko" teil.

Weitere Informationen unter www.mexiko-koordination.de

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